„Lieber drei Quellen als eine Story“

Michael Zuckerman arbeitet seit mehr als 30 Jahren als Journalist in den USA. Er ist einer der Mit-Begründer von USA Today und hat sich seit geraumer Zeit der investigativen Arbeit veschrieben. Zudem arbeitet er als Projektleiter am Center for Public Integrity, ein Zusammenschluss von investigativen Journalisten, die unabhängig von finanziellen Interessen ihrer Arbeit nachgehen. An der George Washington Universität bringt Zuckerman jungen Journalisten das Recherchieren bei. „Der blinde Fleck“ sprach mit Michael Zuckerman über den investigativen Reporter in den USA.

Der blinde Fleck: Wie würden Sie die Arbeitsbedingungen investigativer Journalisten in den USA beschreiben?

Zuckerman: Während die Leser und Zuschauer immer noch sehr an dem interessiert sind, was wir im investigativen Journalismus produzieren, hat das Interesse bei den Nachrichtenorganisationen abgenommen. Größere Recherchen benötigen schließlich mehr Zeit und auch besonders gut ausgebildete Reporter – die normalerweise mehr Gehalt verlangen. Der Trend geht heutzutage dahin die Kosten und Gehälter klein zu halten, deshalb ist investigativer Journalismus weniger in Mode.

Der blinde Fleck: Was war für Sie die größte Veränderung im investigativen Journalismus der USA?

Zuckerman: Der größte Wendepunkt war natürlich Watergate. Was die Reporter und die Medien damals gemacht haben, hat der Bevölkerung gezeigt, dass es wichtig ist, was wir tun. Denn was wir als Reporter tun hat viel mit der öffentlichen Anerkennung für unsere Arbeit zu tun. Und durch Watergate haben die Amerikaner wirklich verstanden, dass Wahrheit das zentrale Element des Journalismus ist. Und solange etwas wahr ist, geht es nicht darum, wem eine Nachricht schadet. Die Reporter haben bei Watergate nicht den Präsidenten gestürzt, aber sie haben den Amerikanern die Macht gegeben, das zu tun. Damals fing die Öffentlichkeit an, sich für investigativen Journalismus zu interessieren.

Der blinde Fleck: Wie gut werden investigative Journalisten von ihren Redaktionen unterstützt?

Zuckerman: Investigativ arbeitende Reporter werden in traditionellen Zeitungen, Magazinen und dem Rundfunk immer mehr gezwungen, kurzfristig Geschichten neben ihren langwierigen Recherchen zu machen. Aber meine Erfahrung zeigt, dass die Chefs der Top-Newsrooms immer noch investigative Arbeit schätzen und ihr Bestes tun, um sie unter jedweden Umständen zu unterstützen.

Der blinde Fleck: Werden diese Reporter dann auch angemessen für ihre aufwändige Arbeit bezahlt?

Zuckerman: Normalerweise werden sie auch für alle Überstunden entschädigt. Ich denke, dass die Fälle in denen Reporter ihre Recherchen in der Freizeit machen müssen – das sind immer noch Ausnahmen von der Regel.

Der blinde Fleck: Was hält die amerikanische Öffentlichkeit von der Arbeit investigativer Journalisten?

Zuckerman: Da gibt es zwei Meinungen: Auf der einen Seite erkennen sie, dass es wichtig ist, was wir tun. Andererseits gehen wir ihnen durchaus auf die Nerven. Die meisten Menschen lesen Zeitung und Magazine oder sehen die Nachrichten mit dem zugrunde liegenden Wunsch, dass ihre Meinung bestätigt wird. Fühlen sie sich dann bestätigt ist alles gut. Aber die gleiche Person wird wahrscheinlich sagen, dass die Medien nichts taugen, sobald ihr deine Geschichte nicht passt. Es kommt also immer darauf an, ob eine Nachricht mit ihren Interessen konform ist oder nicht. Natürlich werden manche Journalisten für ihre investigative Arbeit mehr oder weniger berühmt. Aber der Großteil arbeitet nach einer Enthüllung weiter im Hintergrund.

Der blinde Fleck: Wie einfach oder schwer ist es, in den USA Quellen zu erschließen und an Dokumente von Behörden zu gelangen?

Zuckerman: Ich habe aus Russland berichtet und hier in den Staaten. In den USA wird ein Reporter niemals für Informationen bezahlen, in Russland ist das aber Gang und Gebe. Hier ist das eine Frage des Vertrauens: Du bekommst deine Dokumente wenn die Quelle dir vertraut. Daraus wird ein langer Kreislauf des Vertrauens, denn auch dein Publikum muss dir vertrauen. Man braucht mindestens ein Dutzend guter Quellen um ein wichtiges Dokument komplett zu bekommen. Wenn man kein Netzwerk hat, wird es komplizierter. Dann hilft nur, immer weiter zu fragen. Generell gilt aber, dass man vorsichtig sein sollte. Jeder, der dir eine Info zukommen lässt, hat auch ein persönliches Interesse daran. Man muss also darauf achten niemandem bei etwas zu unterstützen, wenn es moralisch nicht in Ordnung ist.
Der blinde Fleck: Bietet die investigative Arbeit in den USA denn mehr berufliche Anerkennung als andere journalistische Felder?

Zuckerman: Die meisten Studenten mit denen ich zu tun habe, wollen reich und berühmt werden. Sie wollen keinen investigativen Journalismus machen, weil das meist weder Reichtum noch Ruhm bietet. Weniger als 20 Prozent wollen wirklich investigativ arbeiten. Die anderen möchten Einfluss auf die aktuelle politische Debatte haben oder einfach nur schreiben. Und die Gutaussehenden wollen zum Fernsehen. Ich persönlich erschließe lieber eine wichtige neue Quelle als drei wichtige Stories zu schreiben.

Der blinde Fleck: Können Sie an der Universität den Studenten überhaupt das ABC des investigativen Journalismus vermitteln?

Zuckerman: Es ist alles learning by doing. Ich habe an der besten Kunst-Universität studiert, aber das einzige worin ich wirklich gut bin, sind Strichzeichnungn. Ich bin kein Künstler, sondern ein Schreiber und niemand wird mir das je beibringen. Man muss einfach ein natürliches Talent haben. Wenn du nicht gern mit Menschen redest, geh nicht in den Journalismus. Du musst außerdem gleichzeitig skeptisch sein – und offen für neue Dinge.

Der blinde Fleck: Was müsste Ihrer Meinung nach am amerikanischen investigativen Journalismus verbessert werden?

Zuckerman: Ich glaube, dass es eine öffentliche Wahrnehmung gibt, die investigativen Journalismus mit Sensationslust gleichsetzt. Aber das ist eine falsche Wahrnehmung. Die große Mehrheit der investigativen Journalisten in den Staaten legt besonders viel Wert auf die Standards von Fairness und Genauigkeit. Reporter, die nur auf sensationelle Meldungen aus sind, benutzen manchmal investigative Techniken und können faktisch sicherlich als investigative Journalisten bezeichnet werden. Aber der Mainstream der investigativ arbeitenden Kollegen würde diesen Journalisten aus dem Weg gehen.

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