2009: Top 9

Mangelnde Kontrolle deutscher Rüstungsexporte

Seit Jahren gehört Deutschland zu den weltweit größten Rüstungs-Exporteuren, auch von so genannten „Dual Use“-Gütern, die sich sowohl zivil als auch militärisch nutzen lassen. Eines der Kontrollinstrumente, der jährliche Rüstungsexport-Bericht der Bundesregierung, wird dem Bundestag mit großer Verspätung vorgelegt und auch kaum debattiert. Aufgrund mangelnder Kontrolle landen deutsche Waffen regelmäßig auch in Krisenregionen wie Darfur, Georgien oder Afghanistan. Die sehr aufwändige Recherche des heiklen und komplexen Themas leisten Medien nur in Ausnahmefällen.


Sachverhalt & Richtigkeit

Laut aktuellem Rüstungsexportbericht der Bundesregierung wurden 2007 Ausfuhrgenehmigungen im Wert von insgesamt 8,7 Milliarden Euro (2006: 7,7 Milliarden Euro) erteilt. Deutschland ist weltweit der drittgrößte Rüstungsexporteur, wie aus dem Jahrbuch 2009 des Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) hervorgeht. Der Marktanteil Deutschlands beim Export größerer konventioneller Waffen in den Jahren 2004 bis 2008 lag bei 10 Prozent. Darunter fallen auch immer wieder Lieferungen in problematische Länder wie Indien und Pakistan. Auch in bewaffneten Konflikten tauchen deutsche Waffen auf, zum Beispiel G36-Gewehre von Heckler und Koch in Darfur und Georgien, ausgemusterte Bundeswehrpistolen auf afghanischen Schwarzmärkten, sowie in Form von zahlreichen Komponenten für israelische Panzer.

Gleichzeitig verliert das deutsche Parlament offenbar an Macht. Die Exportberichte der Bundesregierung werden viel zu spät veröffentlicht. Ende 2008 lag beispielsweise der Bericht über 2007 nicht vor, im November 2009 liegt ebenfalls kein Bericht über 2008 vor. Der Rüstungsexportbericht enthält zum Teil kaum aussagekräftige Gesamtsummen. Seit 2003 hat es keine Erörterung der Rüstungsexportberichte im Plenum des Bundestags gegeben.

Die tatsächlichen Ausfuhren werden nicht erfasst, nur die ein Jahr gültigen Genehmigungen. Wann die Firmen diese in welchem Ausmaß nutzen, bleibt unklar. Laut Bundeswirtschaftsministerium ist diese Regelung Teil der Entbürokratisierung. Den Endverbleib von Waffen und Rüstungsgütern lässt sich die Bundesregierung lediglich dokumentarisch versichern, eine langfristige Kontrolle gibt es nicht. Dabei wären physische Kontrollen vor Ort oder auch Sensor-Ortungen per Satellit möglich.

Relevanz

Die mangelnde Transparenz der Rüstungsexportberichte in Verbindung mit dem ökonomischen Erfolg deutscher Rüstungsunternehmen sollte ein Anstoß zu umfassenden Recherchen sein. Die steigenden Exporte von Waffen und Rüstungsgütern und das gleichzeitig schwindende Interesse des Parlaments demonstrieren, wie prekär die Situation eines der sensibelsten Politikfelder ist. Von hoher Relevanz ist auch die moralische Perspektive, denn mit seinen Rüstungsexporten beteiligt sich auch Deutschland an Menschenrechtsverletzungen.

Auch ökonomisch ist der Rüstungsexport relevant, da die deutschen Firmen sehr erfolgreich sind: Zu den größten Exporteuren gehören der europäische Gemeinschaftskonzern EADS, Rheinmetall oder Krauss-Maffei-Wegmann. Rund 80.000 Menschen sind in Deutschland in der Branche beschäftigt, deren Jahresumsatz zuletzt bei 17 Milliarden Euro lag, Tendenz steigend. Rheinmetall-Chef Klaus Eberhardt bezeichnet die Industrie „in vielen Bereichen als Technologieführer.”

Vernachlässigung

Insgesamt finden sich zahlreiche Artikel zum Thema Rüstung. Doch investigative Recherchen oder hintergründige Analysen bilden die Ausnahme. Laut Experten ist die Situation zu komplex. Es ist schwierig, an valide Daten zu kommen. Recherchen vor Ort sind ebenso nötig wie interne Quellen, ob in der Politik oder bei den jeweiligen Unternehmen. Die Medien beschränken sich auf einige wenige Aspekte. Dazu gehören die Veröffentlichungen von Berichten, etwa der Bundesregierung, von SIPRI oder der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE). Typische Themen sind zudem außerordentliche Ereignisse wie die Verwicklungen des Waffenhändlers Karlheinz Schreiber, die nicht gemeldete Mitgliedschaft einiger Bundestagsabgeordneter in Rüstungs-Lobbygruppen oder die positiv beschiedene Anfrage Pakistans nach deutschen U-Booten.

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Quellen

Mathias Brüggmann: „Bundeswehr fordert Schutz vor Sprengfallen“, Handelsblatt, 17.9.2009

Bericht über Handelsblatt-Konferenz „Sicherheitspolitik und Verteidigungsindustrie”

Rheinmetall-Chef Klaus Eberhardt: „Ich bin für mehr Kooperation [in Europa], aber unter deutscher Führung. Denn unsere Industrie ist in vielen Bereichen Technologieführer.”

Prof. Dr. Harald Müller, Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, Gespräch am 3.6.2009

Michael Brzoska, Leiter des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg, Gespräch am 15.6.2009

Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung. Rüstungsexportbericht 2008, www3.gkke.org/index.php

Mathias John, Rüstungsexperte von Amnesty International, Gespräch am 15.6.2009

Jahresbericht des International Center for Conversion (BICC) in Bonn, www.bicc.de/uploads/pdf/publications/jahresbericht/2009/bicc_jahresbericht_2008_2009.pdf

Thomas Reutter: „Wie kommen deutsche Gewehre nach Georgien?“, Report Mainz, 18.8.2008

SIPRI Yearbook 2009, deutsche Kurzfassung, www.sipri.org/yearbook/2009/files/SIPRIYB09summaryDE.pdf


Kommentare

Prof. Dr. Harald Müller, Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung:

„Aus meiner Sicht handelt es sich um ein vernachlässigtes Thema. Die Presse reagiert auf gelegentliche Skandale, Veröffentlichungen anderer oder auf politische Debatten, agiert somit eher reaktiv als aktiv. Die deutschen Rüstungsexporte gehen zwar überwiegend in verbündete und damit gewissermaßen unproblematische Länder. Der Re-Export entzieht sich jedoch der Kontrolle, und das ist problematisch.“

Otfried Nassauer, Leiter und Gründer des Berliner Informationszentrums für transatlantische Sicherheit (BITS), freier Journalist:

„Die Medien werden nur bei etwas sehr Außergewöhnlichem aufmerksam, zum Beispiel bei Großlieferungen in Krisengebiete. Es mangelt an Ressourcen, an Interesse und an einem Problembewusstsein, angesichts der Tatsache, dass trotz der Krise die Rüstungsexporte positiv laufen.“

Christopher Steinmetz, Mitarbeiter von MdB Paul Schäfer (Die Linke):

„Für Medien und Abgeordnete gibt es ein enormes Zugangsproblem zu Informationen, weil die Entscheidungen der Ministerien und Ämter der Geheimhaltung unterliegen. Zudem enthält der Rüstungsexportbericht zu wenig konkrete Daten, zum Beispiel bei Sammelausfuhrgenehmigungen. Endverbleibskontrolle gibt es im Grunde gar nicht, besonders beim Komponentenexport. Letztlich gilt vieles offiziell gar nicht als Rüstungsgut, Motoren und Getriebe zum Beispiel.“