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Gewollt und nicht gekonnt: Was bringt das neue Netzwerkdurchsetzungsgesetz wirklich?

Abstract:

Zurzeit nutzen laut Statista circa 44 Millionen Menschen Soziale Netzwerke (Tendenz steigend). Steigende Nutzerzahlen stellen gleichzeitig die Weichen für mehr Hasskommentare und Beleidigungen. Dieses Problem ist schon länger bekannt, und in einem Punkt herrscht weitgehend Einigkeit: Es muss etwas gegen den Hass getan werden. Die Bundesregierung hat die Verantwortung hierfür den Sozialen Netzwerken überlassen. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) wurde bereits vor drei Jahren (2017) verabschiedet, doch erfüllt bis heute nicht seinen Zweck. Um es zu optimieren, beschloss die Bundesregierung am 19. Februar 2020 einige Novellierungen. Doch auch die geplanten Änderungen werden von mehreren Seiten kritisiert und sind noch nicht verabschiedet. Trotz der gesamtgesellschaftlichen Relevanz findet die Debatte über das Gesetz überwiegend in Fachkreisen statt.

Sachverhalt & Richtigkeit:

Laut §3 Abs. 2 Nr. 2 NetzDG sind die Betreiber Sozialer Netzwerke dazu verpflichtet, „offensichtlich rechtswidrige Inhalte innerhalb von 24 Stunden nach Eingang [einer] Beschwerde [zu] löschen, oder [zu] sperren”. Neben Diesem wurden in dem NetzDG unter anderem zwei weitere Absätze beschlossen: „Anbieter sozialer Netzwerke, die pro Jahr mehr als 100 Beschwerden über rechtswidrige Inhalte erhalten, müssen einen Bericht über den Umgang mit diesen Beschwerden auf ihren Plattformen erstellen und im Bundesanzeiger sowie auf der eigenen Homepage veröffentlichen” (§2 Abs.1 NetzDG). „Bei Verstößen gegen das Gesetz droht ein Bußgeld von bis zu 5 Millionen Euro” (§4 Abs.2 NetzDG). Das Gesetz trat 2017 in Kraft und gilt seitdem für Netzwerke, die im Inland über zwei Millionen registrierte Nutzer aufweisen (ausgenommen sind E-Mail-/Messenger-Dienste).

Viele Fachleute sind sich einig, dass das NetzDG lückenhaft ist. Prof. Dr. Matthias Kurp, Dozent an der HMKW Köln, sieht drei zentrale Probleme: Die Netzwerk-Betreiber können eigenständig entscheiden, was sie löschen möchten und was nicht. Welche Kriterien sie verfolgen, sei daher nicht einsehbar und auch auf gerichtlichem Weg schwer zu überprüfen. Das zweite Problem sieht der Professor darin, dass die Netzwerk-Betreiber nicht dazu verpflichtet sind, die persönlichen Daten der Täter herauszugeben. Deshalb sei es schwierig diese zu identifizieren und strafrechtlich gegen sie vorzugehen. Zuletzt kritisiert der Professor §3 Abs. 2 Nr. 2 NetzDG, da sich die Hasskommentare seiner Meinung nach binnen 24 Stunden noch ungehindert teilen lassen.

Rechtsanwalt Christian Solmecke hat beruflich fast täglich mit Hasskriminalität und Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet zu tun. Auch er findet es problematisch, dass die Plattform-Betreiber die gemeldeten Inhalte eigenständig bewerten. Zudem führt der Anwalt ein weiteres Problem an: Da den Sozialen Netzwerken laut §4 Abs.2 NetzDG Bußgelder drohen, wenn sie ihrer Löschpflicht nicht nachkommen, entfernen sie vorsichtshalber ohne genauere Prüfung zu viele Beiträge. Es kommt zum sogenannten „Overblocking”. Im Zuge dessen werden auch rechtmäßige Beiträge entfernt. So wurde beispielsweise am 13.5.2019 die „Jüdische Allgemeine Zeitung”, aufgrund eines angeblichen Verstoßes gegen Regeln „zum Veröffentlichen von irreführenden Informationen zu Wahlen”, geblockt. Die Zeitung postete auf Twitter folgenden Tweet: „Warum Israels Botschafter Jeremy Issacharoff auf Gespräche und Treffen mit der AFD verzichtet. #AFD#Israel.“ Dieser Vorfall zeigt, dass die Meldefunktion auch missbraucht werden kann. Der Tweet war Auslöser für die komplette Sperrung des Accounts der Zeitung. Das Konto des unbekannten Users, welcher die Studentin über einen Zeitraum von knapp zwei Monaten immer wieder belästigte, wurde jedoch nie gesperrt.

Die Kritiken zeigen, dass das Gesetz seinen Nutzen noch nicht erfüllt. Im Evaluierungsbericht der Bundesregierung ist jedoch zu lesen, dass die mit dem NetzDG verfolgten Absichten „in erheblichem Umfang erreicht” wurden und „das Gesetz seine Wirkung entfaltet” (Evaluierungsbericht, S.30, Zielerreichung). Zusätzlich sieht die Bundesregierung den Grund für die mangelnde Umsetzung nicht in „strukturellen Schwächen des Gesetzes”, sondern weist stattdessen auf die unzureichende Umsetzung durch die Anbieter der sozialen Netzwerke” hin. Im folgenden Verlauf zählt die Regierung dann jedoch auch verbesserungswürdige Aspekte des NetzDG auf. Dazu zählt unter anderem das Overblocking, welches von  Solmecke kritisiert wird. Außerdem sollen die Rechte der Nutzer gestärkt werden. Dies stelle gleichzeitig einen weiteren Sicherungsmechanismus gegen Overblocking dar. Insgesamt sollen mehr Transparenzpflichten in Erwägung gezogen werden (Evaluierungsbericht S.31, Erste Erkenntnisse zu einem möglichen Änderungsbedarf).

Um diese Verbesserungsvorschläge umzusetzen, beschloss die Bundesregierung am 19. Februar 2020 den „Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität” und einige Novellierungen des NetzDG. Diese sollen Anfang 2021 in Kraft treten. So sollen rechtswidrige Inhalte in Zukunft nicht nur gelöscht, sondern bei schweren Fällen auch dem Bundeskriminalamt (BKA) gemeldet werden. Damit strafrechtliche Verfolgung möglich wird, sollen dem BKA zusätzlich auch IP-Adressen übermittelt werden. Meldepflichtig sollen unter anderem werden: das „Verbreiten von Propagandamitteln und Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen” (§§ 86, 86a Strafgesetzbuch (StGB)) und „Volksverhetzung und Gewaltdarstellungen (§§ 130, 131 StGB) sowie Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten” (§ 126 StGB). Zusätzlich sollen Soziale Netzwerke ihre Nutzer künftig darüber informieren, wie und wo sie Strafanzeige und erforderlichenfalls Strafantrag stellen können. Ausgenommen von der Meldepflicht sind Beleidigungen, üble Nachrede und Verleumdung.

Der Entwurf der Reformen lässt Raum für Kritik. So sieht Rechtsanwalt Solmecke, im Hinblick auf die Meldepflicht der Sozialen Netzwerke gegenüber dem BKA, noch Lücken. Auch hier verbleibt der große Prüfungsspielraum der Netzwerk-Betreiber, ab wann die Inhalte meldebedürftig sind. Zudem bestehen „datenschutzrechtliche Bedenken” bei der Übergabe der Nutzerinformationen an die Strafverfolgungsbehörden. Aus Unternehmenssicht bringt die Novellierung ebenfalls nur wenig positive Veränderungen. So beschreibt der Digitalverband Bitkom die durch die Änderungen angestrebten Ziele in seinem Positionspapier zum Thema zwar als „nachvollziehbar” und „richtig”, doch sieht ebenfalls Probleme in Bezug auf Privatsphäre und Meinungsfreiheit. Zudem würden die Unternehmen durch die neuen Anforderungen mit „erheblichen weiteren Compliance- und Berichtspflichten konfrontiert”, welche „kaum zu bewältigen” seien. Auch hinsichtlich der Transparenzberichte kritisiert das Unternehmen, dass die Vorgaben weiterhin sehr unklar und zu unkonkret sind. So würde das Problem nicht beseitigt, sondern „eher noch verstärkt”.

Ob die Novellierung die Schwachstellen des NetzDG wirklich beheben können, wird sich zeigen, wenn sie in Kraft treten.

Relevanz:

Betroffen sind ungefähr 44 Millionen Nutzer in Deutschland (s.u. Quellen). Jeder einzelne von ihnen ist dabei potenzielles Opfer von Hass im Netz. Das NetzDG ist den Wenigsten ein Begriff, dabei sollte es für die Bekämpfung des Hasses essenziell sein. Viele User wissen vermutlich nicht, wie sie gegen Anfeindungen vorgehen können. Dass Experten jedoch einige Bedenken bei der Art der Umsetzung dieses Gesetztes haben, ist erst recht nicht bekannt.

Vernachlässigung:

Bei Netzssuchen nach dem NetzDG lassen sich zwar einige journalistische Beiträge zu diesem Thema finden, allerdings gehen vielen Berichterstattungen hauptsächlich nur auf den Hass im Netz ein. Dabei wurde die Funktion des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes häufig nur am Rande erwähnt und nicht auf dessen Effektivität eingegangen. Ein Beispiel hierfür ist ein Artikel aus dem Spiegel („Erfolgreicher Rausschmiss”, 9.12.2020). Eine Studie hat herausgefunden, dass härteres Vorgehen in Bezug auf Rechtsextremismus erfolgreich ist. Das NetzDG wird hier außen vorgelassen und damit auch nicht auf seine Grenzen eingegangen. Auch das Rechercheprojekt „Hassmachine” des BR, NDR und WDR erwähnt das NetzDG nur am Rande. Es fokussiert sich besonders auf das unzureichende Vorgehen von Facebook gegen Hass im Netz („Die Hassmaschine”, 27.6.2020).

Der Horizont hingegen listet die zu erwartenden Vorteile, welche die Novellierung des Gesetzes mit sich bringen soll. Kritik erfährt das NetzDG hier nur im letzten Absatz durch eine Stellungnahme des Hauptgeschäftsführers der Bitkom („Bundesregierung will Nutzerrechte in Social Media stärken”, 1.4.2017).

Sowohl dieser als auch ein Bericht der FAZ („Facebook wehrt sich gegen Maas Anti-Hass-Gesetz”, zul. aktualisiert 29.5.2017) sind erschienen, als der erste Entwurf des NetzDGs veröffentlicht wurde. Da Facebook als direkt vom Gesetz betroffene Partei wahrscheinlich voreingenimmen ist, sinkt der Mehrwert für die Rezipienten. Die unabhängige Meinung von Experten fehlt. Das angeführte Argument, den Staat in der Pflicht der Überwachung zu sehen, ist jedoch insofern haltbar und gerechtfertigt, als dass die Übertragung der Verantwortung auf die sozialen Netzwerke weitere Probleme mit sich bringt.

Es fehlen unabhängige Berichte, die Meinungen von Experten verschiedener Standpunkte beinhalten. Die Medien müssen Argumente beider Seiten beleuchten, damit sich die Rezipienten eine eigene Meinung bilden können.

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