2024: Top-Thema 10

Allein auf dem Acker – Suizide in der Landwirtschaft

Abstract:

Landwirtinnen und Landwirte leiden aufgrund ihrer hohen Arbeitsbelastungen immer öfter an Depressionen und Burn-outs. Bis zu 4,5-mal häufiger als in anderen Berufsgruppen soll das Risiko eines Burn-outs sein, der in einigen Fällen auch zum Suizid führt. Offizielle Zahlen gibt es hierfür allerdings nicht, obwohl zwei Prozent der erwerbstätigen Deutschen in der Landwirtschaft arbeiten. Fachzeitschriften und Verbände warnen schon länger vor einem berufsspezifischen Suizid-Risiko und versuchen aufzuklären. Doch die Berichterstattung in überregionalen Medien bleibt aus, genauso wie eine Datenerhebung aus öffentlicher Hand.

Sachverhalt und Richtigkeit:

Das Bundesinformationszentrum Landwirtschaft (BZL), Teil der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung, berichtet unter Berufung auf französische Untersuchungen, dass die Suizidrate unter französischen Landwirten mindestens 20 Prozentpunkte höher als die der durchschnittlichen Bevölkerung ist. Für Deutschland hingegen gibt es keine berufsspezifischen Statistiken, was für Präventionsmaßnahmen sehr wichtig wäre. Um das Suizidrisiko der in der Landwirtschaft Beschäftigten zu senken, muss ein Bewusstsein für die Situation der Landwirt:innen entstehen, es müssen Daten erhoben und Hilfsangebote ausgeweitet werden. 

Laut Informationen der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG), meldeten sich 2017 17% der in der Landwirtschaft tätigen Personen wegen Krankheit ab, wobei psychische Störungen die zweithäufigste Ursache für Arbeitsunfähigkeit darstellten – direkt nach Beschwerden des Muskel-Skelett-Systems. Dies markiert einen Anstieg im Vergleich zu 2007, als der Anteil psychischer Leiden bei zehn Prozent lag.

Die genaue Anzahl der Landwirt:innen, die unter psychischen Problemen leiden, ist bisher unklar, und es wird eine hohe Dunkelziffer vermutet. Spezifische empirische Daten für Deutschland fehlen bislang. Eine Umfrage des Online-Portals „agrarheute“ unter über 1.300 Landwirten aus dem Jahr 2018 deutet jedoch darauf hin, dass etwa ein Viertel von ihnen ein erhöhtes Risiko für ein Burnout aufweist.

Landwirt:innen stehen unter enormem Druck, bedingt durch wirtschaftliche Unsicherheiten wie Subventionsabhängigkeit, Preisschwankungen und Naturereignisse. Die Eigenverantwortung für den Hof verstärkt die finanziellen Sorgen durch Investitionskredite und mögliche Ernteausfälle oder Viehseuchen, was das Risiko psychischer Belastungen erhöht.

Landwirt:innen sehen sich verstärkter gesellschaftlicher Kritik ausgesetzt, insbesondere in der Nutztierhaltung, und erleben dadurch ein erhöhtes Risiko psychischer Belastungen. Ihre berufliche Isolation erschwert das Erkennen und Ansprechen dieser Probleme. Zudem tragen persönliche Anfeindungen und die Angst vor Stigmatisierung in einem traditionellen Umfeld zu einer erhöhten Gefahr von Depressionen und Burnout bei. Angesichts dieser Situation ist eine gezielte Unterstützung für die Betroffenen sowie eine stärkere gesellschaftliche Sensibilisierung für ihre psychischen Herausforderungen essenziell. Der SVLFG sind diese Probleme schon länger bekannt. Mit landwirtschaftlicher Familienberatung, Workshops zur Stressbewältigung, telefonischen Einzelfallcoachings und einer Krisenhotline versucht die Sozialversicherung das Thema der psychischen Gesundheit aus der Tabu-Zone zu holen und den Betroffenen niedrigschwellige Hilfe anzubieten. Aufklärungsarbeit dieser Art sollte zusätzlich aber auch außerhalb der Fachkreise stattfinden und auf eine breite Öffentlichkeit stoßen. Nur so können Angehörige lernen, selbstverletzendes Verhalten zu erkennen und Betroffene sich trauen, Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Relevanz:

Etwa zwei Prozent aller Erwerbstätigen in Deutschland arbeiten laut Umweltbundesamt in der Landwirtschaft. Weitaus mehr Existenzen hängen vom Wohlergehen dieser Berufsgruppe ab. Mit der Betrachtung des Selbstversorgungsgrads für Nahrungsmittel, der in Deutschland bei 86 Prozent liegt, wird die Bedeutung der heimischen Agrarproduktion für die Versorgungssicherheit klar. Spätestens nach den bundesweiten Bauernprotesten im Januar 2024 weiß die Politik, wie viel Einfluss die Landwirt:innen auf die Stimmung in der Bevölkerung haben.

Vernachlässigung:

In Deutschland gibt es keine Daten zu den Suizidraten in der Landwirtschaft, obwohl seit langem bekannt ist, dass sich die psychischen Belastungen häufen. Branchenspezifische Medien, wie das Magazin ‚Agrarheute‘ des Deutschen Landwirtschaftsverlages (DLV) oder das Magazin ‚topagrar‘ des Landwirtschaftsverlags Münster (LV), berichten bereits seit Jahren über die Suizidgefahr in diesem Berufszweig. Doch das Thema wird nur vereinzelt und in abgeschwächter Form von den überregionalen Medien aufgegriffen. Im März 2024 erschien eine ZDF-Doku über Depressionen und Burnout auf dem Bauernhof. Die Tagesschau berichtete im Mai 2023 online über das Burnout-Risiko der Landwirtinnen und Landwirte, erwähnt jedoch Suizid nicht als mögliche Konsequenz. SWR2 berichtete in einer Reportage im Januar 2023 ebenfalls über die hohe psychische Belastung und erwähnt auch Suizide, jedoch nur am Rande.