2024: Top-Thema 07

Das Weltsozialforum: Ein Gegenmodell zum Weltwirtschaftsforum Davos

Abstract:

Das Weltsozialforum (WSF) ist eine seit 2001 stattfindende globalisierungskritische Veranstaltung, die von zahlreichen (internationalen) NGOs getragen wird. Es findet jährlich an verschiedenen Orten des „globalen Südens“ statt und bietet einen offenen Raum für einen friedlichen Austausch – hauptsächlich über soziale, wirtschaftliche sowie umweltpolitische Themen. Das WSF plädiert für eine Globalisierung „von unten“, dabei argumentieren und protestieren die Teilnehmenden gegen den Neoliberalismus. Obwohl das Weltsozialforum und die dort diskutierten Inhalte nicht an Relevanz verloren haben, verliert es an medialer Aufmerksamkeit und finanzieller Unterstützung, was dessen Fortbestehen gefährdet. 

Sachverhalt & Richtigkeit:

Das Weltsozialforum (WSF) versteht sich als Gegenveranstaltung zum Weltwirtschaftsforum in Davos und den Gipfeln der Welthandelsorganisation (WTO) sowie der G7. Es fand erstmals 2001 in Porto Alegre, Basilien, statt. Seitdem befassen sich die Teilnehmenden jedes Jahr mit Themen von globaler Bedeutung, unter anderem Menschenrechten, sozialer Gerechtigkeit, Selbstbestimmung der Völker, Medienfreiheit und Umwelt- sowie Klimaschutz. Das Weltsozialforum soll unser Verständnis von Globalisierung erweitern: Das in Proto Algre entwickelte Motto lautet: Um outro mundo é possível („Eine andere Welt ist möglich“).

Beim Kampf gegen die sozialen Ungleichheiten erweitert das WSF die Perspektive der Arbeiterbewegung um die Perspektive der Frauenbewegung sowie die der Aktivist:innen, die sich für alternativen Formen des Wirtschaftens, den ökologischen Umbau der Gesellschaft und für Medienfreiheit einsetzen. Das Forum bringt soziale Bewegungen aus dem “globalen Norden” und dem “globalen Süden” zusammen und lässt sie auf Augenhöhe diskutieren. Gewerkschaften und Graswurzel-Bewegungen sollen Wege finden, ihre unterschiedlichen Organisationsformen zu nutzen, um gemeinsam mehr zu erreichen.

Statt großen Konzernen, Superreichen und autokratischen Regierungen noch mehr Macht und Reichtum zu verleihen, sollte die Globalisierung in den Augen der Initiator:innen vor allem als gemeinsames, verantwortungsbewusste Handeln zum Wohle aller verstanden werden.  Es dient in erster Linie dem Erfahrungsaustausch und zielt auf pragmatische Lösungen. Die bisher veranstalteten Weltsozialforen fanden ausschließlich in Ländern außerhalb Europas statt, was die Gegensätzlichkeit zum Weltwirtschaftsforum verdeutlichen soll. Im Jahr 2024 etwa trafen sich die Teilnehmenden in Kathmandu.

Relevanz:

Das Weltsozialforum bietet Menschen aller Nationen die Möglichkeit, sich auf Augenhöhe auszutauschen und in den Dialog zu treten. Die drei wesentlichen Bereiche Soziales, Wirtschaft und Umwelt werden im Zusammenhang betrachtet und eine Gegenposition zur Ideologie des Neoliberalismus – wie er unter anderem auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos oder der WTO und den G7 vertreten wird – zu formulieren. Das WSF bietet Sozialen Bewegungen und Organisationen Raum, sich ohne Zwang zur Entscheidungsfindung austauschen und zu vernetzen. Das soll zu einem besseren Verständnis beitragen, den Zusammenhalt stärken und die Zuversicht auf eine bessere Zukunft stärken.

Dorothea Haerlin, eine ehemalige Teilnehmerin des Weltsozialforums, beschreibt das Weltsozialforum als „großes Familientreffen“ und eine positive sowie bereichernde Erfahrung. Ein solches zivilgesellschaftliches Zusammenkommen biete viele Vorteile. Es kann aber nur gewährleistet werden, wenn dem genügend (mediale) Aufmerksamkeit zukommt. Denn sie trägt dazu bei, dass Staaten oder internationalen Institutionen dem Weltsozialforum Unterstützung zukommen lassen. Insbesondere die finanzielle Unterstützung ist nötig, um das Weltsozialforum am Leben zu halten. Auch könnte die mediale Aufmerksamkeit dazu beitragen, dass sich weitere Länder beteiligen. Dabei sollten nicht nur die thematischen Inhalte des Forums im Fokus stehen und dessen Potential, sondern auch die steten Entwicklungsschritte, die das WSF selbst durchläuft.

Seit 40 Jahren verdienen die reichsten ein Prozent der Weltbevölkerung mehr als das Doppelte des Einkommens der unteren Hälfte der Weltbevölkerung. Im Jahr 2021 lebt nur etwa die Hälfte der Weltbevölkerung (49,4 %) in einer Demokratie. Mehr als ein Drittel der Weltbevölkerung lebt unter autoritärer Herrschaft. Die Relevanz des WSF hat sich angesichts von Kriegen, Pandemien, Klimakatastrophen, Energiekrisen und der Einschränkungen der Medienfreiheit in den letzten Jahren noch einmal deutlich erhöht.

Vernachlässigung:

In den ersten Jahren seiner Gründung war das Weltsozialforum medial sehr präsent, insbesondere, weil es einen Gegenentwurf zum äußerst bekannten Weltwirtschaftsforum in Davos bildete. Mit dem WSF wurde eine neue Idee des Austauschs über globale Themen in die Welt gesetzt. Die Berichterstattung nahm aber im Laufe der Jahre merklich ab. In einem Interview der Deutschen Welle von 2018, äußert sich Francisco Marí, Begleiter des WSF und Referent für Welternährung bei der Organisation „Brot für die Welt“, dass „die große Aufmerksamkeit fehlt“. So berichtete die Tagesschau zum letzten Mal 2012 in ihrer Hauptsendung über das Weltsozialforum. Der letzte Artikel zum Thema in der Frankfurter Allgemeine wurde im Jahr 2005 veröffentlicht. Obwohl der NDR und der Spiegel auch in den vergangenen Jahren über das WSF berichteten, ist der Umfang der Berichterstattung deutlich geringer als etwa die über das Weltwirtschaftsforum.