2024: Top-Thema 02

Tech-Monopole und der Internet-Friedhof: Gefahren für die Demokratie

Abstract

Auf den ersten Blick verheißen die Weiten des Internets Diversität, Partizipation und offene Diskussionsräume. Doch weit gefehlt! Das Internet ist fest in der Hand weniger Monopolisten. Der mit Abstand größte Teil des nicht nur deutschsprachigen Internets ist ein Friedhof: Webangebote abseits von YouTube, Facebook & Co. finden praktisch keine Aufmerksamkeit. Zu diesem Ergebnis kommt der Medienwissenschaftler Martin Andree auf Basis empirischer Analysen, und er betont die demokratiegefährdenden Auswirkungen dieser Tatsache. Doch kaum jemand berichtet darüber, denn die großen Medienbetriebe haben offensichtlich kein Interesse, dass die Öffentlichkeit erfährt, wie überschaubar die Nutzung auch ihrer eigenen Onlineangebote ist.

Sachverhalt & Richtigkeit:

Big Tech – namentlich vertreten durch die US-Tech-Konzerne Google, Amazon, Meta und Apple – dominiert das Internet. Heute liegt bspw. der Marktanteil der Google-Suchmaschine in europäischen Ländern, je nach Messung, zwischen 80 und 90 Prozent. Währenddessen führt YouTube das Ranking der meistbesuchten Internetseiten in Deutschland mit weitem Abstand an. Die ersten zehn Plätze in dieser Rangliste belegen fast ausschließlich die Onlineangebote der US-amerikanischen Big-Tech-Konzerne. Dabei bündeln Google (bzw. Alphabet) und Facebook (Meta) mehr als ein Drittel der gesamten digitalen Aufmerksamkeit bei sich. Aus Deutschland schafft es nur web.de auf die Rangliste. Der größte Teil des deutschsprachigen Internetangebots ist verwaist, ein echter „Internet-Friedhof“, wie der Medienwissenschaftler Martin Andree es nennt.

Der Forscher konnte erstmalig in einer Sekundäranalyse auf die Daten des Online-Panels der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) zurückgreifen und so untersuchen, wie lang User:innen tatsächlich pro Monat bestimmte Internetangebote nutzen. Das Ergebnis ist ernüchternd. Eines der meistgenutzten deutschsprachigen Internetangebote, die Nachrichtenseite spiegel.de, erreicht nur eine durchschnittliche Nutzungszeit von 18 Minuten – pro Monat. Das ist nur etwas mehr als eine halbe Minute pro Tag. Weitaus verheerender sieht es bei anderen journalistischen Angeboten im Netz aus: So beträgt die Verwendungsdauer von sueddeutsche.de lediglich neun Minuten im Monat – oder 17 Sekunden am Tag.

Auch jenseits des Journalismus ist die Nutzung von Internetseiten abseits der großen Tech-Firmen kümmerlich gering. Egal ob Webseiten von globalen Markenherstellern oder von Bloggern, ihre Nutzung fällt gemessen an den Verweildauern der Rezipient:innen kaum ins Gewicht. „Wir haben es mit einer völlig toten Wüstenlandschaft zu tun“, bringt es Martin Andree auf den Punkt. Seine Schlussfolgerung: Es ist „völlig egal, ob Anbieter noch Inhalte auf die registrierten 16 Millionen Domains stellen“.

Grund dafür sind eine ganze Reihe an Tricks, die Big-Tech-Konzerne anwenden, um die Konkurrenz aus dem Markt zu drängen. Andree nennt diese „Flywheel der kollektiven Verarschung”. Dazu zählen geschlossenen Systeme der Social-Media-Apps, In-App-Browser und die Verhinderung von Outlinks, mit denen User auf Angebote außerhalb der Big-Tech-Apps kommen können, eine Algorithmus-gesteuerte Nutzerführung, Traffic-Manipulationen, die eklatante Bevorzugung der eigenen Angebote und die Monopolisierung der Nutzerdaten. Aber warum ist das überhaupt bedenklich?

Die Antwort ist vielschichtig. Laut Andree beispielsweise „sind sowohl der private Rundfunk als auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk als auch die Zeitung natürlich Grundlage unserer öffentlichen Meinungsbildung“, und diese Idee spiegelt sich auch in der Dialektik zwischen Politik und Medien wider. Zwar hat es Andree zufolge „die Abhängigkeit [zwischen Politik und Medien] immer gegeben”, doch durch die sinkende „Anbietervielfalt” sei diese heute stärker ausgeprägt als je zuvor. Erschwerend kommt hinzu, dass die Big-Tech-Konzerne die Nutzungsbedingungen weitgehend autonom festlegen können und damit eine Art „Privatisierung des Rechts“ (Andree) betreiben: Auch Streitfälle zum Beispiel auf dem Amazon-Marketplace fallen dann nicht mehr unter nationales Recht, sondern werden nach Vorstellung des Plattform-Betreibers geregelt.

Nicht nur auf nationaler, sondern auch auf internationaler Ebene liegt eine Lösung dieser Probleme in weiter Ferne. Etwa auf europäischer Ebene konnten auch die in jüngster Vergangenheit erlassenen Rechtsvorschriften zur Medienregulierung wie der „Digital Services Act“ oder „Digital Markets Act“ an der Kartellisierung und Monopolisierung des Internets in Europa nichts ändern.

Aber wenn Plattformen wie Facebook, die sowohl Werbung schalten als auch gleichzeitig darüber entscheiden können, wer diese Werbung überhaupt sieht, auch noch einen Marktplatz anbieten, an dem die beworbenen Produkte verkauft werden und somit alle Teile des Vertriebsnetzes beherrschen, sind daraus entstehende Konsequenzen kaum abzuwenden. KI kann dabei zusätzlich als Brandbeschleuniger wirken, etwa wenn es um die Produktion von neuem, schnellem Content geht, der die User noch stärker dem Netzwerkeffekt aussetzt und damit Plattformen unabhängiger von (menschlichen) Kreatoren macht. Und was passiert erst, wenn die Plattformen sich entscheiden, einseitig die Regeln zu ändern? Wenn die Tools plötzlich bei kritischen Nachfragen aussetzen; wenn relevante Interviewpartner:innen von der digitalen Medienlandschaft verschwinden? Wenn Inhalte und Postings qualitätsjournalistischer Medien einfach ausgeschlossen und von den großen Plattformen nicht mehr ausgespielt werden? Was bleibt dann noch von der „Grundlage unserer öffentlichen Meinungsbildung”? Die Monopolstellung der Big-Tech-Konzerne im Internet ist demokratiegefährend.

Relevanz:

Die Monopolstellung der Big-Tech-Konzerne wird noch drastischer, während die Verteilung des akkumulierten Traffics immer enger wird. KI wirkt für diese Entwicklung noch zusätzlich als Brandbeschleuniger. Meinungsbildung findet heute schon weitgehend im digitalen Raum und im Internet statt. Wenn die Internetangebote weitgehend in der Hand privatwirtschaftlicher, ausländischer Tech-Konzerne liegen, ist die freie Meinungsbildung bedroht. Die Relevanz dieses Problems liegt auf der Hand, und das nicht nur in Bezug auf die öffentliche Meinungsbildung, sondern auch in Hinblick auf Fragen der Rechtssetzung und der öffentlichen Verwaltung, des Wirtschaftslebens und schließlich auch der Privatsphäre.

Vernachlässigung:

Über die Auswirkungen der Monopolstellung der US-amerikanischen Big-Tech-Konzerne wurde nur vereinzelt berichtet von der Boersenzeitung, FAZ, Welt und DW. Einen Beitrag in der Süddeutschen Zeitung hat der Medienwissenschaftler Martin Andree selbst verfasst. Die Mehrheit der Bevölkerung aber hat seine Untersuchung und die Informationen über die demokratiegefährenden Folgen aber nicht erreicht. Der Bezug zu den Schwierigkeiten, die gerade auch KI betreffen – also die treibenden Effekte einer steigenden Monopolisierung der Medienlandschaft – fehlt gänzlich. Außerdem wird kaum aufgearbeitet, inwieweit Chancen bestehen, die mit diesen Technologien ermöglicht werden können.