2021: Top 10

Umsetzung erlassener Richtlinien der   Europäischen Union zur Terrorismusbekämpfung

Abstract:

Die Gefahr durch den international organisierten Terrorismus hat sich insbesondere seit einer Reihe von Anschlägen nach 2015 deutlich gesteigert. Nicht bzw. nur unzureichend umgesetzte Richtlinien der Europäischen Union durch die Mitgliedsländer verhindern die Effektivität der internationalen Terrorismusabwehr und können die Sicherheit der europäischen Bürger*innen gefährden. Die Europäische Union (EU) teilt sich mit ihren Mitgliedsländern die Zuständigkeit für die gemeinsame Sicherheitspolitik. Dementsprechend kann die Union Richtlinien erlassen, die innerhalb eines bestimmten Zeitraumes von den Mitgliedsstaaten in nationales Recht umgesetzt werden müssen. Im Bereich der Terrorismusabwehr hat die EU bereits einige Maßnahmen erlassen, die die Zusammenarbeit und den Schutz vor (internationalem) Terrorismus stabilisieren und verbessern sollen. Es zeigt sich jedoch, dass eine Vielzahl der erlassenen Richtlinien innerhalb des gesetzten Zeitrahmens nicht oder nur unvollständig in nationales Recht implementiert wurde. Monatliche, durch die Europäische Kommission veröffentlichte, Dossiers demonstrieren eine Vielzahl von offenen Vertragsverletzungsverfahren (Infringement Procedures). Es zeigt sich, dass die gemeinsame Terrorismusabwehr der Mitgliedsländer der Union und damit die Sicherheit der europäischen Bürger*innen schon deutlich weiter und stabiler sein könnte, es aber scheinbar an politischem Willen fehlt, die beschlossenen Maßnahmen praktisch umzusetzen. Die Medien informierten die Bürger*innen darüber nur unzureichend.

Sachverhalt & Richtigkeit:

Die Europäische Union (EU) beruht auf dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit. Dementsprechend fußt jede Tätigkeit auf Verträgen (u.a. Vertrag von Lissabon, Charta der Grundrechte der EU, etc.), die von allen Mitgliedsstaaten auf freiwilliger und demokratischer Basis angenommen werden. Aus diesen Verträgen geht als oberstes Ziel die Förderung des Friedens, der europäischen Werte und des Wohlergehens der Bürger*innen hervor.

Zudem ist die EU ein aktives Gebilde, das sich ständig weiterentwickelt, um die festgelegten Werte und Ziele besser umsetzen zu können. Sie übernimmt dabei jedoch nicht die Funktion eines übergreifenden Staates. Nach dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit und der Subsidiarität, kann die Union Richtlinien und Verordnungen in den Zuständigkeitsbereichen erlassen, die ihr durch die von allen Mitgliedsstaaten ratifizierten EU-Verträge verliehen wurden. Dabei gibt es unter anderem „ausschließliche Zuständigkeiten“ und „geteilte Zuständigkeiten“, unter die auch die Sicherheit und das Recht fallen. Außerdem gibt es noch „unterstützende Zuständigkeiten“ und „besondere Zuständigkeiten“, unter die die Festlegung und Umsetzung der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik fällt. Solche Richtlinien und Verordnungen haben gemeinsam, dass sie für alle Mitgliedsstaaten gelten. Sie unterscheiden sich aber folgendermaßen: Verordnungen sind verbindliche Rechtsakte, die alle EU-Länder in vollem Umfang umsetzen müssen. Richtlinien legen dagegen ein zu erreichendes Ziel fest, dass durch nationale Gesetzgebung erreicht werden muss.

Wird ein Gesetz verabschiedet, muss es je nachdem, ob es eine Verordnung oder eine Richtlinie ist, innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens in den Mitgliedsländern implementiert werden. Die Beaufsichtigung der vollständigen, korrekten und zeitlich vorgesehenen Implementierung liegt bei der europäischen Kommission. Für Fälle, in denen das EU-Recht nicht ordnungsgemäß angewendet oder eine Richtlinie zum vorgesehenen Zeitpunkt nicht vollständig in nationales Recht umgesetzt wird, gibt es seit 2008 das Projekt „EU-Pilot“. Es ist eine Online-Plattform, mit der die Kommunikation zwischen den Mitgliedsstaaten und der Kommission verbessert und Probleme in der Anwendung des EU-Rechts gelöst werden sollen, bevor es zu einem Vertragsverletzungsverfahren („Infringement Procedure“) kommt. Bei potenziellen Verstößen gegen das EU-Recht können Vertragsverletzungsverfahren vermieden werden, wenn sich das Mitgliedsland freiwillig dem Standpunkt der Kommission anschließt. Kann das Problem nicht gelöst werden, und es kommt zu keiner Einigung, so kann die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten.

Jeden Monat wird ein Dossier auf der Seite der Europäischen Kommission veröffentlicht, das einen Überblick über die offenen Infringement Cases vorlegt und den derzeitigen Sachstand darlegt. Einmal im Jahr wird zusätzlich ein allgemeines Dossier zu der Bilanz und Entwicklung der offenen und geschlossenen Vertragsverletzungsverfahren erstellt.

Seit den Anschlägen auf die „Twin Towers“ am 11.09.2001 wird Terrorismus international als zentrale sicherheitspolitische Herausforderung gesehen, so auch in der EU. Die Anzahl der Anschläge durch international organsierte Organisationen, besonders durch jihadistische Terrormilizen wie dem „Islamischen Staat“, aber auch durch ethno-nationalistische und separatistische Terrorgruppen, sowie anarchistischer und rechtsextremistischer Terrorismus, hat seit 2015 deutlich zugenommen. Seitdem hat die Union einige Maßnahmen in den Bereichen Prävention, Schutz und Verfolgung ergriffen, die den Terrorismus bekämpfen sollen. Die Terrorismusbekämpfung und die Gewährleistung der Sicherheit ist zwar primär die Aufgabe der einzelnen Mitgliedsstaaten, jedoch bietet die EU einen Mehrwert in Hinblick auf Zusammenarbeit und Koordination. Da sich terroristische Vereinigungen durch die fortschreitende Globalisierung immer besser international organisieren können, ist es notwendig, dass auch die Mitgliedsstaaten der EU zusammenarbeiten. Ein Land alleine kann nicht gegen eine international organisierte terroristische Vereinigung vorgehen.

Jüngste Maßnahmen der EU nach einer Reihe von Anschlägen in 2015 sind unter anderem:

  • Verbesserter Informationsaustausch
  • Verschärfte Kontrollen an den Außengrenzen
  • Prävention der Radikalisierung über das Internet
  • Verbesserte Kontrolle von Feuerwaffen
  • Digitalisierung der justiziellen Zusammenarbeit
  • Strafrechtliche Verfolgung von terroristischen Straftaten
  • Unterbindung der Terrorismusfinanzierung
  • Harmonisierung der Verwendung von Fluggastdaten
  • Stärkung der Zusammenarbeit mit Nicht-EU-Ländern.[1]

Ein konkretes Beispiel ist die PNR[2]-Richtlinie. Durch diese sollen personenbezogenen Daten von Fluggästen, die von den Fluggesellschaften erfasst und gespeichert werden, an die Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedsstaaten übermittelt werden. Die Daten sollen dann im Zuge der Terrorismusbekämpfung verwertet werden. Die Richtlinie wurde 2016 erlassen und die Mitgliedsstaaten hatten zwei Jahre Zeit, um die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft zu setzen. Dem Dossier der Infringement Procedures, im Juni 2020, lässt sich jedoch entnehmen, dass Spanien auch vier Jahre später die Richtlinie nicht implementiert hat. Das Verfahren geht nun vor den Europäischen Gerichtshof. Zudem lässt sich dem Dossier entnehmen, dass Tschechien und Österreich ebenfalls erst im Jahr 2020 die Richtlinie vollständig eingeführt haben. In den Dossiers lassen sich zahlreiche weitere Beispiele für nicht vollständig oder gar nicht eingeführte Richtlinien in Bezug auf die Terrorismusbekämpfung finden, sowie langwierige Prozesse der Implementierung ausmachen.

Besonders vor dem Hintergrund der wachsenden Bedrohung des internationalen Terrorismus, ist es aber notwendig, dass die Mitgliedsstaaten zusammenarbeiten und eine Einheit bilden. Es sieht so aus, als könne deutlich mehr umgesetzt werden, als bisher geschehen ist. Dabei geht es vor allem um Probleme mit der zeitgetreuen und korrekten Umsetzung von erlassenen Richtlinien.

Die Mitgliedsstaaten haben, auf freiwilligem und demokratischem Weg, durch das Abschließen von Verträgen, der Europäischen Union Zuständigkeiten übertragen und ihr damit die Möglichkeit gegeben, Richtlinien und Verordnungen zu erlassen, unter anderem für eine bessere Zusammenarbeit und für das Erreichen der gemeinsamen Werte und Ziele. Das Erlassen von Gesetzten alleine nützt aber nicht viel, wenn innerhalb eines oder mehrerer Länder der politische Wille fehlt, diese auch konform umzusetzen. Die Bekämpfung des Terrorismus funktioniert nur dann gut, wenn sich kein Land den Richtlinien entzieht. Das scheint bisher trotz formeller und verpflichtender Zielvorgaben nicht ausreichend gegeben.

Relevanz:

Die Bedrohung durch Terrorismus ist in den letzten Jahren sehr deutlich geworden. Viele Anschläge sind religiös oder politisch motiviert. Die Gefahr ist allgegenwärtig und jeder Einzelne ist betroffen, ob als Besucher eines Berliner Weihnachtsmarktes (2016) oder Zuschauer eines Fußballspiels in Paris (2015). Durch die internationale Vernetzung verschiedener Terrorgruppen und den deutlichen Anstieg terroristischer Attentate in den europäischen Mitgliedsländern wird ersichtlich, dass die Terrorabwehr schon lange nicht mehr das Problem einzelner Länder ist. Es ist eine Aufgabe, die auf europäischer und damit auf gemeinsamer Ebene gelöst werden muss. Die EU hat die Pflicht, in Zusammenarbeit mit den verschiedenen Ländern und deren Behörden für die Sicherheit ihrer Bürger*innen zu sorgen. Die Anschläge sind nicht nur auf einzelne Ziele gerichtet, sondern vor allem auf die Werte und den Frieden innerhalb der EU und damit auf die Stabilität der europäischen Gemeinschaft. Um diese Bedrohungen abzuwenden, und um die politische Stabilität der Union zu schützen, ist es für alle Mitgliedsstaaten unerlässlich zusammenzuarbeiten.

Vernachlässigung:

Zu Beginn der Recherche ging es erstmal darum, welche Maßnahmen die Europäische Union (EU) im Allgemeinen ergriffen hat, um Terrorismus innerhalb der Mitgliedsstaaten zu verhindern. Weitere Recherchen auf unterschiedlichen Webseiten sowie ein Gespräch mit einem deutschen Staatsanwalt haben ergeben, dass die EU sich im Zusammenhang mit Terrorismusbekämpfung einige Ziele gesetzt hat.

Informationen über konkrete Maßnahmen ließen sich jedoch nur mit tiefgründiger Recherche ausfindig machen. Einige Websites, hauptsächlich die des Europäischen Parlaments und die der Europäischen Kommission, sowie einzelne tagesaktuelle Medien dokumentieren stellenweise das Erlassen von neuen Richtlinien in Bezug zur Terrorismusabwehr auf EU-Ebene. Über die tatsächliche Umsetzung von Richtlinien innerhalb der Mitgliedsländer wurde bisher aber noch nicht berichtet.

Eine Assistentin einer Abgeordneten des Europäischen Parlaments berichtete von einer monatlichen Veröffentlichung von Dossiers zur Umsetzung von EU-Richtlinien, die die Europäische Kommission herausgibt. Diese Dossiers sind zwar theoretisch öffentlich zugänglich, jedoch muss man zunächst überhaupt erstmal wissen, dass es sie gibt und man danach explizit suchen muss, um nähere Informationen zu bekommen. Der Zugriff auf diese Dossiers wird dadurch erschwert. Ähnlich ist es bei der Suche zur Umsetzung von konkreten Richtlinien. Auch sie wird durch erforderliche Fachkenntnisse (z.B. im Zusammenhang mit Status, Infringement Type und Infringement Number) erschwert. Letztendlich ließen sich die Dossiers zum Thema Sicherheitspolitik finden. Es hat sich herausgestellt, dass die tatsächliche Umsetzung jener Richtlinien oftmals aus langwierigen Prozessen besteht. Die erlassenen Ziele werden teilweise nicht korrekt, unvollständig oder gar nicht umgesetzt.

Obwohl es sich um ein gesellschaftlich relevantes Thema handelt, hat es noch keine Berücksichtigung in den Medien gefunden und wurde bisher vernachlässigt.

[1] Europäischer Rat, Rat der Europäischen Kommission, 2021

https://www.consilium.europa.eu/de/policies/fight-against-terrorism/

[2] Passenger Name Records

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