2013: Top 8

Voluntourismus: Geschäfte mit der guten Tat im Ausland

Gerade junge Leute wollen ihren Urlaub oder die Zeit nach dem Schulabschluss darauf verwenden, anderen Menschen in Entwicklungsländern zu helfen. Kommerzielle Reiseveranstalter bieten darum sogenannten „Voluntourismus“ an. Doch anders als bei spezialisierten Hilfsorganisationen werden die Interessenten hier weder überprüft noch ausreichend auf ihren Aufenthalt vorbereitet. Kritische Tourismus-Organisationen stellen die Nachhaltigkeit und Wirksamkeit dieser meist auf kurze Zeit angelegten Einsätze in Frage. Gerade bei Tätigkeiten in Waisenhäusern oder Schulen wird diskutiert, ob der verursachte Schaden nicht den Nutzen des Voluntourismus übersteigt. Tourismusexperten sehen Aufklärungsbedarf.

Sachverhalt und Richtigkeit:
Voluntourismus macht den Wunsch zur guten Tat zum Geschäft. Anders als bei Organisationen wie „weltwärts“, einer Initiative der Bundeszentrale für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, werden deren Interessenten nicht sorgfältig ausgewählt oder einem Bewerbungsverfahren unterzogen. Der Sehnsucht junger Menschen nach Verbesserung der Welt stehen häufig völlig anders geartete, konkrete Probleme entgegen: Entwicklungsländer und Entwicklungshilfeorganisationen benötigen Handwerker und Ingenieure, aber nicht unbedingt Schüler und Studenten. Das machen sich Reiseveranstalter wie Travelworks oder Startravel zunutze. Sie schicken die jungen Leute aus Westeuropa nach Ghana oder Indien, Costa Rica oder Tansania, um dort auf Plantagen oder in Naturschutzprojekten, in Schulen oder Waisenhäusern zu arbeiten. Doch dort verursachen die gemeinnützigen Urlauber oft eher Schwierigkeiten: Sie nehmen Einheimischen die Arbeit weg oder hinterlassen durch den ständigen Wechsel der Bezugspersonen traumatisierte Kinder und Jugendliche. Ein großes Manko ist die fehlende Qualifikation der Helfer. Experten sind der Meinung, dass gerade im sozialen Bereich eine Ausbildung passend zum Projekt vorhanden sein müsse. Werden bei der Initiative „weltwärts“ prinzipiell keine unqualifizierten Leute in gesundheitliche Projekte entsandt, so braucht man bei dem kommerziellen Reiseveranstalter STA Travel keine Qualifikationen für derartige Programme. Das Prinzip „learning by doing“ ist hier fehl am Platze. Die Kürze des Aufenthalts der jugendlichen Helfer stellt wohl ebenfalls ein Problem dar: Man könne nicht innerhalb einer so kurzen Zeit eine Kultur und deren Menschen kennen und verstehen lernen. Viele Experten stellen darum die Nachhaltigkeit und Wirksamkeit dieser kurzen Einsätze in Frage.
Im schlimmsten Fall könne sogar die Gefahr der sexuellen Ausbeutung oder des sexuellen Missbrauchs bestehen. Darauf weist Ecpat, die Arbeitsgemeinschaft zum Schutz der Kinder vor sexueller Ausbeutung, hin.
Ein großes Problem sieht die Tourismusforscherin Felizitas Romeiß-Stracke darin, dass der Voluntourismus zu einem Geschäft geworden ist. Viele Menschen profitieren von der Armut anderer. So ist laut Unicef die Zahl der Waisenkinder gesunken, die Anzahl der Waisenhäuser allerdings ist um 75 Prozent gestiegen.
Trotz der vielen Nachteile des Voluntourismus darf man die Chancen und das Potenzial, das in dieser Art des Tourismus steckt, nicht vernachlässigen. Denn viele Organisationen sind froh um eine helfende Hand und sind auf die Spenden der Voluntouristen angewiesen. Außerdem fördern die Freiwilligen die Wirtschaft eines Landes, da sie Geld haben, das sie für Mitbringsel, Essen und Trinken ausgeben.

Relevanz:
In Zeiten der Globalisierung weltumspannender Mobilität ist Reisen für den guten Zweck ein Geschäftsmodell geworden, dass eine sehr große Zahl vor allem junger Leute magisch anzieht. Kritische Tourismusorganisationen wie Tourism-Watch oder Fairunterwegs betonen die Wichtigkeit der Aufklärung größerer Bevölkerungsteile über die negativen Aspekte dieser Art des Reisens. Urlaub mit gutem Gewissen ist so nicht möglich.

Vernachlässigung:
Das Thema wird auf Seiten, die sich speziell mit Tourismus beschäftigen, viel diskutiert. Allerdings haben die eine eher geringe Reichweite. Außerdem haben Medien, wie die Bild, der Stern oder die Zeit nur vereinzelt und nicht immer kritisch darüber berichtet. Da Reisejournalismus zumeist reiner Tourismusjournalismus ist, werden solche problematische Themen auf Reiseseiten zumeist ausgeblendet.

Quellen:

Alina Bube, „Erst Waisenhaus, dann Safari“, 22.11.2012, stern.de, der Artikel bezieht sich insbesondere auf die Nachteile des Voluntourismus;

weltsichten.org, „Gutes tun im Wohlfühlurlaub“, 05.2011;

Martin Lohmann, Tourismusforscher, 24.07.2011, Interview in der Thüringer Allgemeinen über das Reisen in Armutsgebiete;

Nikola Schiekel, „Volunteer- Tourismus: Risiken und Chancen“, 18.6.2009, Tourism Watch;

Tourism Concern, „Should i visit an orphanage?“, 1.5.2013;

Charlotte Gerlach, „Auf Sinn Safari“, 11.10.2012, Stern Artikel;

Simon Hurtz, „Im Slum auf Selbstsuche“, 12.6.2012, Zeit Campus;

Anna Löhlein, „Gute Reise, Gutes Gewissen“, 21.1.2013, Bild;

Sta Travel, Reiseveranstalter, http://www.statravel.de/work-and-travel-volunteer.htm, zuletzt abgerufen am 03.07.2013;

Travelworks, Reiseveranstalter, http://www.travelworks.de/freiwilligenarbeit-afrika.html, zuletzt abgerufen am 03.07.2013;

Mechthild Maurer, Geschäftsführerin bei Ecpat, Gespräch am 31.5.2013;

Jasmin Frare, Mitarbeiterin der Organisation „Schule fürs Leben“, Gespräch am 11.6.2013;

Antje Monshausen, Mitarbeiterin bei Tourism Watch, Gespräch am 28.5.2013;

Nina Sahedeva, Autorin bei fairunterwegs.org, Einreicherin des Themas, E-Mails am 16.04. und 29.5.2013

Kommentare:
Antje Monshausen, Tourism Watch:
Tourismus ist generell in den Medien vernachlässigt und es gibt kaum kritischen Reisejournalismus. Tourismus hat eine „Weiße Weste“. Denn die meisten Leute reisen in den Urlaub, um Spaß zu haben und ihre freie Zeit zu genießen. Da hat schlechte Berichterstattung keinen Platz. Nachhaltiges Reisen ist ein neuer Trend in der Gesellschaft. Und hochkritisch, da kommerzielle Reiseanbieter Voluntourismus anbieten. Für sie ist es ein Produkt, das sie verkaufen möchten. Das heißt man handelt mit der Armut in den Entwicklungsländern. Die Reiseunternehmen nehmen jeden Kunden, den sie kriegen können. Ein Auswahlverfahren findet deshalb nicht statt. Diese Art von Tourismus braucht ein hohes Maß an Vorbereitung und Nachbereitung, um negative Entwicklung zu bearbeiten. Es besteht eine Gefahr darin, dass Voluntouristen den Einheimischen Arbeitsplätze wegnehmen, da sie umsonst Englischunterricht geben und Schulen bauen. Sexuelle Ausbeutung ist dabei auch ein großes Thema, denn ca. 2 Millionen Kinder werden im Tourismus sexuell ausgebeutet. Tourismus ist eigentlich ein hochrelevantes und komplexes Thema für die Politik, wird aber von den Politikern kaum aufgegriffen. Viele denken nicht an die vielfältigen Auswirkungen, die durch Tourismus, insbesondere dem Voluntourismus und Billiganbietern entstehen. Ein ernstes  Interesse der Menschen fehlt an Waisenkindern in Kambodscha, da es sie nicht direkt betrifft. Deshalb sollten Reisende und Reiseveranstalter sich ihrer Verantwortung bewusst werden.

Mechthild Maurer, Geschäftsführerin bei Ecpat:
Aus Deutschland ist offiziell kein Kindermissbrauchsfall von Voluntouristen gemeldet. Allerdings gibt es eine erhebliche Grauzone, da Zahlen von NGO´s, die nicht von „weltwärts“ unterstützt werden, nicht aufgelistet sind. Es ist aber bekannt, dass viele Freiwillige mit sexueller Gewalt in Berührung kommen. Ein Beispiel ist ein 19-Jähriger der miterlebte, wie ein Mädchen in der Schule, in der er unterrichtete, vergewaltigt wurde. Wenn der Einsatz einen in eine Dorfschule führt, muss man darauf vorbereitet sein in ein sehr gewalttätiges Umfeld zu kommen. In geregelten NGO´s gibt es dafür eine sehr gute Vorbereitung, bei Reiseveranstaltern oder anderen NGO´s eher weniger. Dier Berichterstattung in den Medien ist positiv, da es ein relativ neues Thema ist. Es sollte allerdings mehr darüber geschrieben werden. Vor allem, dass nicht nur Gutmenschen in diesen Programmen unterwegs sind. Sexueller Missbrauch, insbesondere im Bereich Tourismus, ist wahnsinnig mit Tabus belastet.
Es ist schwierig in den Medien einen Spagat zwischen Sensationalität und sachlicher Aufklärung zu machen. Eigentlich sollten nur geeignete Informationen in die Medien gelangen, die nicht sensationsfördernd sind. Das führt allerdings bei den meisten dazu, dass das Thema schnell wieder vergessen wird. Das Problem ist: Wenn man nur anhand von Sachinformationen aufklärt, wird es nicht richtig wahrgenommen, wenn man allerdings nur Sensation benutzt, wird es nicht ernst genommen.