Top Ten der vergessenen Nachrichten 2019

(Foto: Johann W. Bantz/Unspleash)
(Foto: Johann W. Bantz/Unspleash)

Die Jury der Initiative Nachrichtenaufklärung e. V. präsentiert jährlich zehn Nachrichten oder Themen, die in der medialen Berichterstattung zu kurz gekommen sind. Es handelt sich um Sachverhalte, die für die deutsche Öffentlichkeit relevant sind, über die aber bislang in Presse, Funk, Fernsehen und Internet kaum Debatten geführt werden. Hier können Sie einen eigenen Themen-Vorschlag einreichen.

Die Top Ten des Jahres 2019 wurden am 27. Februar zusammen mit der Nachrichtenredaktion des Deutschlandfunks in Köln vorgestellt.  Wir freuen uns immer über die Weiterverbreitung unserer Top Ten und stellen Ihnen auf Anfrage gerne weiterführende Informationen zur Verfügung.

Top 1: JEFTA  Das größte Freihandelsabkommen der Welt

Das Handelsabkommen zwischen Japan und der EU (JEFTA: Japan-EU Free Trade Agreement) stand lange Zeit völlig im Hintergrund der öffentlichen Wahrnehmung, obwohl es weitgehend zeitgleich mit den Abkommen TTIP und CETA verhandelt wurde und obwohl sich hier zwei der größten Wirtschaftsräume der Welt zu einer Freihandelszone vereinen. Da Freihandelsabkommen aber das Potential haben, die Souveränität der beteiligten Nationalstaaten einzuschränken, sowie der Vorwurf im Raum steht, dass sie Demokratien unterminieren, sollten solche Abkommen transparent gestaltet sein – und öffentlich diskutiert werden.

Top 2: Kriminalitätsbekämpfung in der Europäischen Union mithilfe des Fluggastdatengesetzes 

Grenzenloses Europa ohne Kontrollen? Nicht im Luftverkehr. Im Sommer 2017 hat die Bundesregierung das „Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2016/681“ beschlossen. Die Richtlinie des EU-Parlamentes und Rates vom Frühjahr 2016 regelt die Sammlung und Verarbeitung von Fluggastdaten (so genannter PNR-Daten) durch Luftfahrtunternehmen. Eigentliches Ziel der Datensammlung ist der europaweite Austausch zur Verhütung von Straftaten und Kriminalität. Datenschützer bemängeln allerdings die anlasslose, mehrjährige Vorratsdatenhaltung. Über das Ausmaß der EU-Richtlinie und ihrer Folgen für den Datenschutz berichteten bislang nur wenige Medien.

Top 3: Venezuela und das Völkerrecht  kein Thema?

Der venezolanische Parlamentspräsident Juan Guaidó hat sich selbst zum Interimspräsidenten Venezuelas ausgerufen, während gleichzeitig Nicolás Maduro faktisch weiter als Präsident amtiert, nach einer Wahl, die nicht den Mindestanforderungen an freie Wahlen entsprach, und einer Amtseinführung, die gegen die venezolanische Verfassung verstieß. Viele westliche Staaten wie die USA und auch Deutschland haben Guaidó als neuen Präsidenten anerkannt. Völkerrechtlich ist diese Anerkennung jedoch äußerst fragwürdig. Darüber wird in deutschen Medien jedoch wenig und nachrangig berichtet.

Top 4: Steigende Konzentrationen von Arzneimittelrückständen im Leitungswasser  

Leitungswasser gilt in Deutschland als das am strengsten kontrollierte Lebensmittel. Es unterliegt strengeren Vorgaben als die viel teureren Mineralwässer. Jedoch gelten die vermeintlich strengen Kontrollen und Grenzwerte längst nicht für alle schädlichen Stoffe. Grenzwerte gibt es beispielsweise nicht für Medikamente, da davon ausgegangen wird, dass sie in nur sehr geringen Mengen im Wasser vorkommen. Experten sind sich allerdings weitgehend einig: In der Zukunft sind höhere Konzentrationen von Medikamentenrückständen im Leitungswasser zu erwarten. Was nötig wäre, das wäre eine vierte Reinigungsstufe in den Klärwerken sowie ein aufgeklärteres Verbraucherverhalten und ein verantwortungsbewussteres Produzentenverhalten. Über dieses Problem wird in deutschen Medien nahezu nicht berichtet.

Top 5: Stiftungs(un)wesen  Almosen statt Sozialpolitik?

Die Zahl der Stifter in Deutschland steigt immer weiter, doch ob der Nutzen für die Gesellschaft so enorm ist, dass eine stetig wachsende Masse angeblich wohltätiger Stifter gerechtfertigt ist, wird in Gesellschaft und Politik weder ausreichend belegt noch öffentlich diskutiert. Wohltätigkeit allein steht bei vielen Stiftern nicht im Vordergrund. Es sind vielmehr die Möglichkeiten, subventioniert vom Steuerzahler auf Bildung, Wissenschaft, Kultur, Medizin, Politik und Soziales Einfluss zu nehmen, die den Stiftern zu Gute kommen. Auch dienen gemeinnützige Stiftungen dazu, den Fortbestand von Unternehmen zu sichern oder PR zugunsten von Unternehmen zu machen.

Top 6: Kinderarbeit für das Brautgeld  Das Sumangali-System in Südindien

Das Wort „Sumangali“ bedeutet übersetzt „glückliche Braut“. Im südlich gelegenen Tirupur in Indien bedeutet es jedoch für viele junge Frauen Sklaverei in Spinnereien, da sie zum Arbeiten in ein Camp geschickt werden, um mit dem Lohn den Brautpreis an den Ehemann bezahlen zu können. Die betriebene Form der Ausbeutung betrifft schätzungsweise 300.000 Mädchen. Während die Medien häufig über die Zustände in Textilfabriken berichten, werden die Produktionsbedingungen des „Sumangali“- Prinzips in der Berichterstattung stark vernachlässigt.

Top 7: Botswana – Wohlstand und Demokratie in Afrika

Die aktuelle Afrikaberichterstattung ist gemäß den Nachrichtenfaktoren weithin von negativen Meldungen bestimmt. Positive Entwicklungen, etwa in Ostafrika (innere Entwicklung Äthiopiens, Friedensregelung mit Eritrea) oder auch in Westafrika (wiederholte friedliche Machtwechsel nach Wahlen in Ghana) finden dagegen kaum Beachtung. Ein besonderes Beispiel für eine langjährige positive Entwicklung ist Botswana. Trotz der langjährigen Frontsituation während des Anti-Apartheid-Kampfes sowie einer der höchsten HIV-Raten der Welt (zwischenzeitlich 25% in der Altersgruppe 15-49) ist es Botswana gelungen, Demokratie und Rechtsstaat zu erhalten und größere gewalttätige Auseinandersetzungen zu vermeiden und Menschen- und Bürgerrechte besser zu schützen als fast alle anderen Länder Afrikas. Der Rohstoffreichtum (hier vor allem Diamanten), in anderen Staaten Quelle von Korruption und Gewalt, wurde hier überwiegend für sinnvolle Entwicklung eingesetzt, wozu allerdings die vergleichsweise geringe Bevölkerung von derzeit nur gut zwei Millionen beigetragen hat.

Top 8: Gefährliche Cocktails – Falsche Medikation bei Senioren

Viele Senioren bekommen falsche Medikamente oder Medikamentendosen, die schädlich für sie sein können. Mögliche Folgen sind etwa Symptome wie Schwindel oder Verwirrung, die auch zu Stürzen führen können. Andere Medikamente können die Organe schädigen. Vielen Patienten ist nicht bekannt, dass zahlreiche Arzneimittel für Menschen ab 65 Jahren möglichst vermieden werden sollten. Auch über Lösungsansätze für dieses Problem berichten die Medien kaum.

Top 9: Polizeiliche Hürden bei der Ermittlung von Cyber-Kriminalität

Laut polizeilicher Kriminalstatistik hat die Zahl der Computerdelikte seit 2003 enorm zugenommen. Bankkonten werden ausspioniert, E-Mail-Konten gehackt, private Daten ausgelesen. Während die Täter sich weiter spezialisieren und immer raffinierter arbeiten, verbringt die Polizei zu viel Zeit mit der Sichtung und Auswertung der Beweismaterialien. Nur knapp die Hälfte der Straftaten kann aufgeklärt werden. Im Extremfall liegt die Quote sogar nur bei 25 Prozent. Wenn die Ermittlungen nicht mangels Beweislage eingestellt werden, verjähren die Delikte und die Täter kommen ohne Strafe davon. Während polizeiliche Lobbyverbände für verfassungsrechtlich umstrittene Befugniserweiterungen und Zugriffsmöglichkeiten auf Rechner von Verdächtigen plädieren, deuten parlamentarische Anfragen auf personelle Engpässe und Mängel in der Alltagsaustattung der Ermittlungsbehörden hin. Hierüber wird die Öffentlichkeit aber nicht informiert.

Top 10: Weibliche Genitalbeschneidung in Deutschland

Weibliche Beschneidung, auch weibliche Genitalverstümmelung genannt (female genital mutilation, Abk.: FGM), ist im Zuge der Migration auch in Deutschland ein Thema. In Deutschland leben ungefähr 47.300 Frauen und Mädchen, die von weiblicher Genitalbeschneidung betroffen sind. Etwa 5.700 Mädchen gelten hier als bedroht. Über diese Zahlen und die Dringlichkeit weiterer Aufklärung über FGM weiß in Deutschland nur eine Minderheit ausreichend Bescheid.