2023: Top-Thema 01

Die Verdunklung der Meere in Küstennähe

Abstract:

Die marinen Ökosysteme werden immer fragiler und stehen unter einem enormen Nutzungsdruck. In den vergangenen Jahren verdunkelten sich in mehreren küstennahen Regionen weltweit die Ozeane, was die Nahrungssuche aller Lebewesen erschwert und damit die Nahrungskette bedroht. Die Verdunklung küstennaher Meeresbereiche (engl.: Coastal Darkening/Coastal Ocean Darkening) stellt eine Reduzierung der Lichtverfügbarkeit in der Wassersäule dar. Das noch weitgehend unerforschte Phänomen hat in den verschiedenen Regionen unterschiedliche Treiber. Menschliche Nutzung trägt direkt und indirekt zur Verdunklung bei, durch Fischfang und Schifffahrt, durch Eintrag von Dünger aus der Landwirtschaft und Einleitung von Abwässern sowie Ausbaggerungen, aber auch durch den Klimawandel (Rußablagerungen nach Waldbränden). Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt in der Nähe von Küsten – die zu den produktivsten und biologisch reichsten Gebieten der Erde zählen – und ist somit von dem komplexen Phänomen betroffen. Trotzdem ist die Verdunklung der Meere in Küstennähe medial fast völlig vernachlässigt.

Sachverhalt & Richtigkeit:

Küstengebiete zählen zu den produktivsten und biologisch reichsten Gebieten der Erde. Weltweit verdunkelten sich in den vergangenen Jahren immer wieder Teile der Ozeane und Küsten. Die Küstenverdunklung ist ein noch größtenteils unbekanntes Phänomen, dass für die Verfärbung der Meere verantwortlich ist. Schätzungsweise leben 60% der Weltbevölkerung im Umkreis einer Küste und sind demnach betroffen.

In erster Linie beschreibt das Phänomen eine Änderung der Lichtverfügbarkeit in der Wassersäule. Die Wassersäule ist ein abgegrenzter Wasserkörper, der sich von der Wasseroberfläche bis zu den Sedimenten am Meeresboden erstreckt. Diese Lichtveränderung ist auf ein verändertes Aufkommen von sich im Wasser befindenden Substanzen zurückzuführen. Somit stellt die Veränderung eine Bedrohung für die marinen Nahrungsnetze dar.

Laut Dr. Jochen Wollschläger (Institut für Chemie und Biologie des Meeres (ICBM)) spricht man nicht von „der weltweiten Küstenverdunklung“. Im Gegenteil: Die Treiber, die über die Lichtverfügbarkeit entscheiden, sind regional unterschiedlich. Die Verdunklung ist nicht in allen Weltmeeren wiederzufinden. Den Forschern ist das Phänomen durch den Limnologischen Bereich und die Brownification von Seen bekannt geworden. Mögliche Ursachen für die Verdunklung sind Substanzen im Wasser, der Klimawandel oder die Eutrophierung, also die Anreicherung von Nährstoffen in nährstoffarmen Gewässern, die durch menschliche Aktivitäten ausgelöst wird.

Grundsätzlich gilt: Je tiefer man taucht, desto dunkler wird das Wasser, denn Licht nimmt mit der Tiefe ab. Das liegt an der Absorption und Streuung von Licht am Wasser selbst und den sich im Wasser befindenden Substanzen. Zu den Substanzen zählen kleine Partikel, wie aufgewirbelter Sand oder Schlick, Mikroalgen oder gelöstes organisches Material. Das sogenannte gelöste organische Material sind verrottete Pflanzen, gelöste Erde oder Moos. Es gelangt über Flüsse und Regenwasser in die Küstenökosysteme und Fjorde der Welt. Alle Substanzen können dafür sorgen, dass Licht absorbiert und somit verschluckt wird.

Dies ist beispielweise bei Moos im Inland der Fall. Es absorbiert das Licht, nachdem Eintreten ins Wasser und sorgt aufgrund seiner eigenen Farbigkeit für die Änderung der Wassertransparenz.

Bereits vorliegende Untersuchungen weisen darauf hin, dass die Verfärbung des Wassers mit einer veränderten Konzentration der Substanzen zusammenhängt. Der Grad der Verfärbung lässt sich an einer hohen oder niedrigen Konzentration festmachen. Das erklärt, wieso das Phänomen regional unterschiedlich vorkommen und aussehen kann. In norwegischen Fjorden wird das gelöste Material durch den Klimawandel und Starkregenereignisse ins Wasser geschwemmt.

Der Klimawandel ist ebenfalls verantwortlich für die Veränderungen im Wasser. Starke Regenfälle, Niederschläge, Stürme und das Auftreten von Permafrostböden sorgen für ein erhöhtes Aufkommen von Substanzen und Nährstoffen. Dazu zählen Organischer Kohlenstoff, Eisen und Partikel in Süßgewässern. Regen und Sturm erzeugen einen braunen und lichtblockierenden Schlamm, der direkt ins Wasser gespült wird.

Weltweit werden immer mehr Klimaereignisse und Naturkatastrophen wahrgenommen. Zu den bekanntesten Klimaereignissen der letzten Jahre zählen unter anderem die Waldbrände in Australien. Auch sie können Auslöser der Küstenverdunklung sein.

Denn Waldbrände, wie zum Beispiel in Australien (2020) verursachen Rußpartikel. Die Rußpartikel und die aus ihnen herausgelösten Substanzen werden wie das organische Material durch starken Regen und Sturmereignisse ins Meer gespült. Dadurch führen auch sie zur Verfärbung des Wassers und der Schwebeteilchen.

Forscher vertreten die Auffassung, dass die globale Erwärmung folgendes Risiko für die Küstengewässer mit sich bringt: Das Vorkommen einer Algenblüte könnte stark beschleunigt werden.

Eine Verdunklung, die durch organisches Material, Trübstoffe oder vor allem einer Algenvermehrung hervorgerufen wurde, sorgt dafür, dass mehr Nährstoffe ins Wasser gelangen. Die sogenannten Algenblüten haben demnach eine Auswirkung auf die Wasserqualität. Eine Algenblüte ist die Vermehrung von Algen, durch die sich die Wasseroberfläche und Transparenz verfärbt. Algen verfügen über gewisse Nährstoffe. Somit zählen sie zu den Faktoren, die die Photosynthese und Primärproduktion beeinflussen können. Je mehr dieser Nährstoffe und Substanzen sich im Wasser befinden, desto größer ist der Verlust des Lichts.

Eine geringe Lichtverfügbarkeit schafft neue Herausforderungen für alle Lebewesen. Denn ohne ausreichendes Licht sind sie an der Nahrungsfindung gehindert. Somit entsteht ein Mangel an Nahrung für kleine Fische und Kleinstverbraucher. Aber auch die größeren Lebewesen benötigen das Licht zur Orientierung. Das Licht dient nämlich als Orientierungspunkt bei der Jagd. Dadurch entsteht bei Lebewesen, die Licht zum Jagen benötigen, ein Nachteil gegenüber Tieren, die keines benötigen.

Küsteneutrophierung ist ebenfalls ein Treiber, durch den wir Menschen zur Verdunklung beitragen. Das menschliche Einwirken, zu dem Bootsfahrten im Sommer, das Austragen von Düngemittel, Ausbaggerungen oder die Grund- und Kleinfischerei gehören, verursacht eine starke Störung in den Meeresböden.

Sedimente, wie Sand und Schlick werden durch unser Einwirken aufgewirbelt. Sie sorgen für eine trübere Wasserfarbe und können somit Auswirkungen auf die Meereschemie haben.

Beim Ausfahren von Düngemittel für landwirtschaftliche Flächen kommt hinzu, dass sich durch das Düngemittel Algenblüten bilden können. Die undurchlässige Schicht auf der Wasseroberfläche verhindert dann das Eindringen des Lichts in den Küstenorganismus. Der Küstenorganismus wird demnach geschädigt.

Relevanz:

Der Küstenschutz ist eine wichtige Aufgabe, der sich angenommen werden muss. Nicht nur die Meere stehen unter enormen Nutzungsdruck, sondern auch die Ökosysteme werden immer fragiler. Die Küstenverdunklung stellt weltweit ein weitreichenderes Problem für das gesamte Nahrungsnetz und den Küstenorganismus dar. Ökosysteme sind für die Photosynthese und die Primärproduktion der Wassersäule essenziell auf das Licht angewiesen. Überlebenswichtige Aufgaben, wie die Biomasseproduktion, hängen von der Lichtverfügbarkeit für den Organismus ab. Aquatische Primärproduzenten tragen zu ca. 50% der Sauerstoffgewinnung bei. Ist diese gestört, fällt die Basis des marine Nahrungsnetzes auseinander. Die Meereschemie geht kaputt und führt somit zu einer tiefgreifenden Veränderung des Ökosystems. Eine geringe Primärproduktion führt ebenso zu einem Mangel an Nahrung für Fische und Kleinstverbraucher. Zudem erschwert sich die Nahrungsfindungen und Jagd für Lebewesen durch eine knappe Lichtverfügbarkeit und eine geringe Primärproduktion. Der Abbau von giftigen Chemikalien kann auch nur noch teilweise erfolgen, wodurch die Meereschemie an Schaden nimmt und der Küstenorganismus tiefgreifende Veränderungen erleidet. Dabei gehören Küstengebiete zu den produktivsten und biologisch reichsten Gebieten der Erde, die ideale Vorrausetzungen für Lebewesen bieten.

Vernachlässigung:

Die klassischen Medien, wie Zeitungen, Radio, Nachrichtendienste oder das Fernsehen behandeln das Thema Küstenverdunklung gar nicht. In Fachzeitschriften oder Magazinen, wie z.B. im Hakai Magazin, wird das Phänomen seit Mai 2021 nicht mehr thematisiert: Doug Johnson veröffentlichte den ersten Artikel (10.02.21) über die Problematik an den Küsten. Im Hakai Magazin schilderte er die Auswirkungen für die Meere und ihre Bewohner. Sein Artikel diente als Grundlage für weitere Beiträge anderer Internetseiten. Der Nachrichtedient EcoWatch oder die US-amerikanische Zeitschrift The Atlantic orientierten sich daran. Dabei wurde der Artikel allerdings nur abgedruckt oder in Teilen verändert publiziert. Auch im Internet gibt es selten Beiträge über das Phänomen. Die Website Modern Diplomacy verfasste einen kurzen Kommentar zur Thematik und ihrer Auswirkungen für den Meeresspiegelanstiegt (24.02.2021). Ihr Kommentar stützt sich auf das Forschungsprojekt der Universität Oldenburg (2016-2020). Das Projekt startete 2016 unter der Leitung von. Prof. Oliver Zielinski und beschäftigt sich mit der Verdunklung und der Wasseroptik.

Im Rahmen des Projekts wurde ein Sonderband mit allen Ergebnissen auf der Internetseite „Frontiers“ veröffentlicht.

Dennoch gibt es Artikel, die sich mit der Lichtverfügbarkeit beschäftigt haben. Diese richten ihren Blick aber nur auf die Gesamtlichtverfügbarkeit. Der Blick nach dem spezifischeren Innen, wie beispielweise der Küstengewässer, fehlt dabei. NGOs wie die WWF beschäftigt sich zwar mit dem Küstenschutz legen jedoch ihren Schwerpunkt anderweitig fest. Sie behandeln zwar den Küstenschutz, berichten aber eher über den Küstenschutz vor Flutkatastrophen oder die Mangroven. Die Verfärbung des Wassers und ihre Bedrohung für Lebewesen und Küstenorganismen werden dabei nicht thematisiert.

Im Allgemeinen gibt es kaum Artikel zur Küstenverdunklung oder ihren Folgen. Doch dass eine Verdunklung der Meere ebenso wichtig ist, wie beispielweise Korallenriffe oder Mangrovenwälder findet sich in den Medien nicht thematisiert. Das Thema wird von den (klassischen) Medien weitestgehend ignoriert oder ohne eigenen Einsatz abgewickelt. Der Fokus von NGOs liegt auf dem Schützen einzelner Gebiete.