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Unzuverlässiges Gütesiegel führt zu Gewalt bei der Pferdeausbildung

Das Geschäft der Gestüte geht zu Lasten der Pferde, obwohl viele unter dem Schutz eines Siegels stehen. Die Deutsche Reiterliche Vereinigung, kurz FN, zertifiziert Gestüte und vergibt das sogenannte FN-Gütesiegel. Das garantiert eine harmonische Ausbildung und eine korrekte Haltung der Pferde, und – wenig verwunderlich – erhöht den Kaufpreis eines zertifizierten Pferdes. Doch nicht immer hält das Siegel, was es verspricht, und Pferdekäufer stellen fest, dass das Pferd trotzdem eine gewaltsame, mit Schmerzen verbundene Ausbildung durchlaufen hat, die einen gefahrlosen Umgang mit dem Pferd dauerhaft verhindert. Ein der der Gründe sind unzureichende Qualitätskontrollen der Gestüte auf die Einhaltung der Versprechen und die Verlässlichkeit des Siegels. Während über andere Siegel in der Presse oft berichtet wird, findet die Missachtung der Richtlinien des Pferdesiegels kaum Beachtung. Dabei sind vier Millionen Reitsportler und über eine Million Pferde betroffen.

Sachverhalt & Richtigkeit:

 Vermehrt kommt es in Deutschland zu Fällen, in denen Reiter ein Pferd auf einem ausgezeichneten Gestüt kaufen und im Nachhinein feststellen, dass das Pferd, entgegen der Richtlinien des FN-Gütesiegels, ungenügend und unter erheblicher Gewalteinwirkung ausgebildet worden ist. So erging es auch Frau Dagmar B., die im Februar 2015 den elfjährigen Islandwallach „Gandur“ beim mehrfach prämierten und ausgezeichneten Gestüt „Kronshof“ in der Lüneburger Heide für 8.000€ gekauft hat.
Wenig später, zeigten sich erste Anzeichen falscher Haltung und Ausbildung, wie beispielsweise Bissverletzungen, Muskel-, Maul- und Flankenverletzungen durch Reiten mit unkorrekten Methoden. Und dies, trotz einer vom „Kronshof“ beauftragten tierärztlichen Vorkaufsuntersuchung, durch den Hoftierarzt Dr. Elmar Thiemann, welchem die später festgestellten Symptome und Auffälligkeiten normalerweise sofort hätten auffallen müssen. „Gerade bei einem prämierten Hof, wie dem „Kronshof“, erwartet man doch, dass man sich darauf verlassen kann, dass die Pferde dort gut behandelt werden“, beklagt sich Dagmar B. Die erfahrene Reiterin kaufte ihre vorherigen Pferde auf einem kleineren, privat geführten Hof, für deutlich weniger Geld, dafür aber auch nicht vollständig ausgebildet und beritten. Dieses Mal wollte sie ein ausgebildetes Pferd, mit dem sie einfach ins Gelände gehen kann. Sie wusste um die FN-Kennzeichnung des Gestüts war bereit, mehr Geld zu zahlen. Doch was genau zeichnet das FN-Gütesiegel aus? In erster Linie, ist neben Haltung, oder Fütterung der Pferde, die so genannte FN-Ausbildungsskala von enormer Bedeutung. Diese bezeichnet eine Übersicht wichtiger Punkte, die bei der Ausbildung eines Pferdes nach FN-Standards, von hoher Bedeutung sind. Das übergeordnete Ziel dieser Skala und damit der gesamten Pferdeausbildung, ist ein durchlässiges Pferd, also ein Pferd das in körperlicher und psychischer Hinsicht zu einem angenehmen, gehorsamen und vielfältig ausgebildeten Pferd trainiert wurde. Basis dieser Skala, ist die „Zwanglosigkeit“, was bedeutet, die physische und psychische Entspannung, die auf jeder Stufe der Ausbildung erhalten bleiben muss, um die vollständige Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit des Pferdes zu erhalten. Ein Verlust dieser Zwanglosigkeit, hat somit immer auch den Verlust der Losgelassenheit des Pferdes zur Folge.
Doch ist die Ausbildungsskala auch ein wesentlicher Bestandteil einer jeden beruflichen Ausbildung in dieser Branche? „Im Jahr 2015 haben ca. 600 Menschen die Ausbildung zum Amateur-Ausbilder beim FN absolviert. Davon 206 die Ausbildung zum Pferdewirt und 30 als Pferdewirtschaftsmeister“, weiß FN-Generalsekretär Sönke Lauterbach. „Die Ausbildungsskala ist zu 100% ein wesentlicher Bestandteil. Bei jeder Reitausbildung, die der FN anbietet. Die Ausbildungsskala stellt keine juristische Verbindlichkeit dar. Das bedeutet, nicht jedes Zucht- und Ausbildungsgestüt ist automatisch an die Ausbildungsskala des FN gebunden und von staatlicher Seite dazu verpflichtet, die Ausbildung nach FN-Richtlinien durchzuführen. Doch die Höfe, die registriertes Mitglied beim Dachverband sind, sind es allemal. „Im Rahmen einer Berufsausbildung, die beim FN absolviert wird, ist die Ausbildungsskala ein verbindlicher Teil, und jeder, der sich nicht daranhält, erhält auch keine Kennzeichnung“, so Lauterbach. Das Gestüt, auf dem Dagmar B. ihren Wallach gekauft hat, müsste sich durch die Mitgliedschaft der Deutschen Reiterlichen Vereinigung an die Ausbildungsmethoden nach FN-Richtlinien halten, also auf harmonische Weise und ausgerichtet nach der Natur des Pferdes dieses zu trainieren. Viele Reiter verlassen sich beim Kauf eines Pferdes auf diese Kennzeichnungen und vertrauen darauf, für ihr Geld ein gut ausgebildetes Pferd zu erhalten. Doch vermehrt stellen sie im Nachhinein fest, dass dem Tier Schmerzen und Verletzungen psychischer, sowie physischer Natur zugefügt wurden und ein einfacher Umgang, sowie gefahrloses, harmonisches reiten, schlichtweg nicht möglich ist.
„Der monetäre Wert der Pferde, die nach der FN-Ausbildungsskala trainiert wurden, steigt im Vergleich zu einem unausgebildeten Pferd im Schnitt um etwa 10 Prozent“, weiß Dr. Edmund Haferbeck, Leiter der Wissenschafts- und Rechtsabteilung der PETA-Organisation Deutschland. In dieser Branche entspricht das einer Summe von zwischen 800€ und 1.500€ und zum Teil sogar noch größere Summen. Je nach Abstammung, Rasse und Qualifikation des Pferdes. „Auf die Auszeichnungen ist erfahrungsgemäß immer weniger Verlass. Ich habe häufiger mit Fällen zu tun, in denen Betroffene aufgrund dessen ihren Rechtsanspruch geltend machen wollen.“, erklärt Frank Beer, Anwalt mit dem Schwerpunkt Pferderecht. Auch hinsichtlich regelmäßiger Kontrollen, fühlen sich die Betroffenen regelrecht im Stich gelassen. Unangekündigte Kontrollen der Zucht- und Ausbildungsbetriebe, in einem engen zeitlichen Turnus sind Fehlanzeige. „Die registrierten Pferdebetriebe, werden in einem Abstand von zwei bis drei Jahren kontrolliert. Diese Kontrollen sind allerdings angekündigt. Faktoren wie Sauberkeit und Futtermittel spielen hierbei auch eher eine größere Rolle“, so Lauterbach. Und das obwohl die Ausbildungsskala doch ein so wesentlicher Bestandteil des Siegels ist.

Dies verdeutlicht auch noch einmal die fehlende Transparenz der Deutschen Reiterlichen Vereinigung in Bezug auf ihre Gütesiegel und Kennzeichnungen und den damit verbundenen Richtlinien, die erfüllt sein müssen. Der Verlass auf die Kennzeichnungen und Gütesiegel, für deren Erhalt die Höfe sogar teilweise hohe Beitrage zahlen, ist hier also definitiv nicht gegeben. Dagmar B. hat sich an einen Anwalt für Pferderecht gewandt und in einem kosten- und zeitaufwendigen Rechtsstreit, eine Nachbesserungsaufforderung aussprechen lassen und anschließend auf Minderung des Kaufpreises geklagt hat. Beim Amtsgericht Lüneburg bekam sie Ende 2015 Recht. Der zuständige Richter Dr. Gütschow begründete sein Urteil wie folgt: „Der bei der Beklagten erworbene Isländer-Wallach „Gandur“, entspricht nicht der im Kaufvertrag zugesicherten Eigenschaft als „gut ausgebildetes Reitpferd“ mit der Einschränkung „temperamentvoll“ und „nicht anfängergeeignet“, da der Wallach ungenügend ausgebildet worden ist und zudem aufgrund fehlender Bemuskelung und einer körperlichen Schiefe, Beckenschiefstand, sowie einer Verknöcherung am Kiefer, nicht in der Lage ist, vernünftig ohne Schmerzreaktionen geritten zu werden.“ Dagmar B. bekam wegen der erheblichen Auffälligkeiten des Pferdes 2000 € erstattet, was 25 Prozent des ursprünglichen Kaufpreises entsprach. Sie hat durch langwieriges, aufwendiges Training dafür gesorgt, dass das Pferd wieder zu reiten ist.

Relevanz:

 

Betroffen sind neben den knapp vier Millionen deutschen Reitern, auch die rund 1,1 Millionen Privatpferde in Deutschland, sowie die 3.400 Zuchthengste und 54.182 Reitpferde und Zuchtstuten. Besonders auch die insgesamt 24.269 registrierten Reitpferdefohlen aus dem Jahr 2015, die in den nächsten Jahren in das Alter kommen, in welchem sie beritten, ausgebildet und anschließend verkauft werden. Hinzu kommen ca. 30.000 Menschen die, laut Angaben einer Allensbacher Marktanalyse den Reitsport als potenzielle Pferdekäufer angesehen werden können. Zusätzlich dazu sind ca. 10.000 Betriebe in Deutschland betroffen, die das Pferd direkt, oder indirekt als Hauptgeschäftgegenstand nutzen, sowie dazu knapp 300.000 Menschen in Deutschland, die ihren Lebensunterhalt direkt, oder indirekt durch Pferde und Pferdesport verdienen.

Vernachlässigung:

 Es gibt einige, wenige Artikel, wie z.B. „Wir nähern uns dem Zirkus“, erschienen am 10.10.2005 im Spiegel, die sich mit den schlimmen Reitmethoden, vor allem im Dressurreiten beschäftigen. . Die meisten anderen Artikel sind bereits über zehn Jahre alt und Tageszeitungen, die das Thema aufgreifen legen den Fokus vermehrt auf verletzte Reiter, statt leidender Tiere. Vgl. die Welt 13.09.2007, „Der Tod sitzt immer mit im Sattel“. Allein bei taz.de ist ein Artikel zu diesem Thema „Kontrolle durch Schmerz“, Ende 2015 erschienen. In Fachzeitschriften und Magazinen wie der „Cavallo“, oder dem „Pferdesport Journal“ findet das Thema schon etwas mehr Aufmerksamkeit und wird häufiger diskutiert. Im Artikel „Zum Tod von Benjamin Winter“, wird ein Interview mit dem FN geführt und darüber diskutiert, ob die Ausbildungsmethoden noch zeitgemäß seien. Hierzu ist allerdings weder ein Datum, noch ein Autor zu finden. Auch die Recherche in verschiedenen Pressedatenbanken wie z.B. Pressemonitor.de brachte keine Suchergebnisse. Das Thema der fehlenden Transparenz des FN-Siegels gegenüber Reitern und Käufern, sowie die gewaltsame Ausbildung von Reitpferden trotz FN-Kennzeichnung findet in der allgemeinen Presse offensichtlich keinen Niederschlag.

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Quellen:

Persönlicher Bericht der Informantin Frau Dagmar B.;
Weitere persönliche Gespräche mit Betroffenen (insges. zwei Fälle);

E-Mail-Verkehr und Telefoninterview mit Sönke Lauterbach, Fa. FN-Deutsche Reiterliche Vereinigung;
E-Mail-Verkehr und Telefoninterview mit Dr. Edmund Haferbeck, Fa. PETA-Deutschland

Telefonat mit Hannah Kampe, Ostheopathin, Pferdefachtherapeutin;
Telefonat mit Frank Beer, Anwalt mit Schwerpunkt Pferderecht

Kommentar:

„Im Rahmen einer Berufsausbildung, die beim FN absolviert wird, ist die Ausbildungsskala verbindlicher Teil der Ausbildung und jeder der sich nicht daranhält, besteht die Ausbildung nicht und erhält auch keine Kennzeichnung […]“ (Sönke Lauterbach/Generalsekretär der Deutschen Reiterlichen Vereinigung)

„Dem Pferd zugefügte Schäden, sind sicherlich sofort erkennbar. Einige vielleicht erst bei genaueren tierärztlichen Untersuchen, aber andere hingegen, wie z.B. Muskel- und Maulverletzungen sind auf den ersten Blick erkennbar.“ (Hannah Kampe/ Ostheopathin, Pferdefachtherapeutin)

„Der monetäre Wert der Pferde, die nach der FN-Ausbildungsskala trainiert wurden, steigt im Vergleich zu einem unausgebildeten Pferd im Schnitt um etwa 10 Prozent“. (Dr. Edmund Haferbeck/Leiter der Wissenschafts- und Rechtsabteilung der PETA-Organisation Deutschland)