„Wo der Boulevard sich mit Kaiser Franz verbündet …“

Jens Weinreich ist einer der bekanntesten Sportjournalisten Deutschlands. Nach sechs Jahren als Ressortleiter Sport der Berliner Zeitung kündigte er im Frühjahr 2008 seinen Job, um als freier Journalist mehr Zeit für die Recherche kritischer Themen zu haben. Seitdem arbeitet er für verschiedene überregionale Medien und bloggt auf jensweinreich.de. Im Interview spricht Weinreich über die Geschäfte des DFB, die Bild-Zeitung und harte Recherchen an fremden Orten.

In seinem Blog hat Weinreich mittlerweile nach eigenen Angaben zwischen 1000 und 10000 Besucher am Tag: „Durchaus exklusives Publikum: Sportfunktionäre weltweit, Kommunikatoren aus der Medienbranche.“ Sportpolitische Themen finden in Deutschland manchmal nur oder fast nur in seinem Blog statt. Allein zur Debatte um Claudia Pechstein sind in seinem Blog mittlerweile weit über 1000 Kommentare abgegeben worden, auch von Wissenschaftlern. Im Sportjournalismus sieht er Defizite in der Einstellung vieler Entscheider und Journalisten. Sport ist für viele noch immer kein kritisch zu würdigender Berichterstattungsgegenstand, sondern lediglich Unterhaltung.

Welche Themen werden im Sport vernachlässigt?
Jens Weinreich: Der DFB und seine wirtschaftlichen Geschäfte sind eine heilige Kuh, die niemand schlachten will. Welche Geschäfte mit dem Fußball gemacht werden, wer da wie beteiligt ist, da geht keiner ran. Auch keiner der sogenannten „football writer“. Beispiel Fußball WM 2006: Da hat niemanden interessiert, wo das Geld hinfließt. Wo der Boulevard sich mit Franz Beckenbauer verbündet, wird nicht kritisch nachgefragt. Und, auch wenn es für manchen langweilig sein mag: Die Finanzierung Olympischer Spiele – gerade jetzt am Beispiel München. Das ist ein absolut vernachlässigtes Thema, da beißt niemand zu.

Warum werden diese Themen vernachlässigt?
Weinreich: Der Fußball und der Boulevard haben gleiche Interessen. Die eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Die Bild-Zeitung geht nie an die Grundfeste, nie dahin, wo es wehtut, Bild ist sportpolitisch irrelevant. Erstens liegt es also an der allgemeinen Verquickung von Interessen. Zweitens ist das aber auch ein journalistisch-strukturelles Problem bis in die größten Qualitätsmedien hinein: Wollen wir Sport nur als Unterhaltung? Es gibt eine Tendenz der Hierarchien – Chefredakteure, Intendanzen – die Sport nicht kritisch betrachten wollen. Das ist in der Sportberichterstattung ein wirkliches Problem. Ich bezweifle, dass alle Hierarchen eine kritische Aufklärung wollen. Dabei ist doch Journalismus genau dafür da, für Aufkärung.

Liegt es nur an der Struktur, den Hierarchien? Oder fehlt auch den Sportjournalisten selbst der Blick auf solche Themen?
Weinreich: Es fehlt in allen Bereichen. Es gibt kein richtiges Bewusstsein dafür, dass der Sport auch kritisch betrachtet werden müsste. Beim Thema Doping ist in den vergangenen Jahren etwas in Gang gekommen. Durch die Arbeit eines kleinen Kreises von Journalisten ist eine öffentliche Diskussion entstanden und jetzt räumen selbst Hierarchien dem Thema Platz ein. In seiner Gesamtheit ist der Sportjournalismus deshalb aber noch lange nicht kritisch. Ich vermisse diese kritische Einstellung aber nicht nur im Sport, sondern insgesamt im Journalismus. Und in der Diskussion um die Zukunft des Journalismus. In der Diskussion geht es immer wieder um Finanzierung und Vermarktung, darum, wie wir unser finanzielles Überleben sichern können. Aber nicht darum, welche heißen Themen wir setzen müssen, um relevant zu bleiben.

Welche Probleme gibt es, speziell im Sport, bei der Recherche?
Weinreich: Wenn es darum geht, wer Dreck am Stecken hat bei den Geschäften mit dem Sport,  kann man nicht nur vom Schreibtisch recherchieren. Auch wenn man täglich zwölf bis 14 Stunden im Internet ist. Bei solchen Recherchen musst du Leute treffen, musst unterwegs sein, musst schräge Sachen machen. Auch mal mit Leuten, von denen du das nie gedacht hättest, eine Nacht durchsaufen an fremden Orten. Die Geschäfte mit dem Sport funktionieren wie die Finanzwirtschaft – global. Die Funktionäre reisen mit Diplomatenpässen durch die Welt: von Dubai nach Panama nach Vancouver und in die Schweiz. Der Journalismus hat ohnehin keine Chance da hinterherzusteigen. Aber wenn man dann nichtmal die Chance hat, wenigstens ab und zu „on the road“ zu sein, dann sieht es ganz schlecht aus. Alles hängt an der Finanzierung.

Sind gute Recherchen im Sportjournalismus nicht finanzierbar?
Weinreich: Es gibt schon noch Beißer, die recherchieren wollen. Auch unter den Sportjournalisten. Wenn man die auftreibt und Ihnen alle Möglichkeiten gibt, dann kommt auch etwas dabei heraus. Aber wer gibt einem solche Möglichkeiten? Sich mal zwei, drei Wochen ergebnisoffen mit einer Recherche zu befassen. Beim Spiegel ist so etwas quantitativ wohl noch möglich, ob es getan wird, weiß ich nicht. Und bei den öffentlich-rechtlichen Sendern ist es möglich. Ob es getan wird? Ich sehe wenige Resultate. In Tageszeitungen sehe ich kaum die Bereitschaft, in Recherche zu investieren. Und als freier Journalist ist das ohnehin nicht möglich. Das, was aufwändig ist, lohnt sich nicht. Zu wenige Journalisten setzen sich mit den wirklich kritischen Themen auseinander. Und die, die sich überlegen, damit anzufangen, werden abgeschreckt, weil der Aufwand nicht belohnt wird.

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