Versäumte Chancen – Selbstkritik im Schatten des Nahostkonflikts

Ein Beitrag von Leonard Nürnberg und Clemens Tinner

Der 7.Oktober war eine Zäsur. Das sieht man vor allem an der Berichterstattung: Seit über einem halben Jahr nun ist der Nahostkonflikt omnipräsent im medialen Diskurs und polarisiert die Gesellschaft wie kein anderes Thema. Es ist also nur folgerichtig, dass sich das 8. Kölner Forum für Journalismuskritik auf einem Panel, welches unte dem Titel „Zwischen Kritik, Polemik und Hetze – Wie reden über den Nahost?“ stattfand, dem Thema angenommen hat.  

 Die Diskussionsteilnehmer, bestehend aus Kai Hafez (Kommunikationswissenschaftler an der Universität Erfurt), Nazih Musharbash (Präsident der deutsch-palästinensischen Gesellschaft) Deborah Schnabel (Leiterin der Gedenkstätte Anne Frank) und Benjamin Hammer (Deutschlandfunkjournalist und ehemaliger ARD-Nahost-Korrespondent), nahmen unterschiedliche Positionen ein. Während Hafez und Musharbah eher Kritisierten, äußerte sich Schnabel moderat. Hammer nahm, als einziger Panelist aus dem Maschinenraum des Medienbetriebs, eine defensive Haltung an.

Mehr Versachlichung weniger Emotionalisierung

Große Einigkeit herrschte in der Diagnose, dass die Diskussion über Nahost viel zu emotionalisiert sei und es einer Versachlichung bedürfe. Deborah Schnabel hob dabei das Problem expliziter Gewaltdarstellungen in den Sozialen Medien hervor. Es bestehe die Gefahr, dass diese hochemotionalen Inhalte „Parallelrealitäten“ bei Menschen, die sich ausschließlich über entsprechende Kanäle informieren, erzeugen würden.

Kritik der einseitigen deutschen Berichterstattung

Kai Hafez diagnostizierte eine „diskursive Schieflage“ in der deutschen Berichterstattung mit pro israelischem Bias was auch international stark kritisiert werde. Deutschland schaffe es nicht die Palästinenser mit der nötigen Empathie in die Berichterstattung miteinzubeziehen. Musharbash teilte diese Kritik. Es gebe kaum Berichte über das wahre Leben der Palästinenser. Musharbash verwies außerdem auf seine Erlebnisse mit Interviews, in denen er Medienkritik übte und später darauf angesprochen wurde, ob er dankbar wäre, dass die Medien seine Kritik umsetzten. Eindrucksvoll entgegnete er, dass es „die verdammte Pflicht“ der Journalisten sei, bestmögliche Berichterstattung zu leisten und er dafür nicht dankbar sein müsse.

Sowohl Havez als auch Musharbash betonten außerdem die Notwendigkeit eines lösungsorientierten Friedensjournalismus. Dieser habe in der momentanen Lage große Defizite. Gleichzeitig müsse man die eigene Kriegsberichterstattung hinterfragen. Es bestehe ebenso eine partielle Blindheit für Sachverhalte aufgrund einer blinden Loyalität mancher Redaktionen.

Kaum Raum für Selbstkritik

Das Forum bezeichnet sich als Plattform für Journalismuskritik, daher hätte man annehmen können, dass insbesondere der DLF, als Gastgeber, sich der während des Forums geäußerten Kritik annehmen und mögliche Lösungsansätze darstellen würde. Auch wenn er die enorme Verantwortung der Medien beim Nahost-Thema betonte, präsentierte sich Hammer, seines Zeichens der einzige Medienvertreter des Panels, jedoch optionslos. Auf die Kritik der blinden Loyalität antwortete er, man solle nicht „die Medien“ pauschalisieren. Ebenfalls ging er nicht weiter auf einen möglichen Ausbau des Friedensjournalismus ein. Er bemängelte, dass es keine unabhängigen Quellen gebe und man deshalb auf Informationen der israelischen Regierung und der Hamas nicht verzichten könne. Allerdings liege es in der Verantwortung der Journalisten diese einzuordnen.  Auch wenn Hammers Einwände durchaus berechtigt sind wirkte es, als wolle er die geäußerte Journalismuskritik relativieren und den Status Quo der Berichterstattung als alternativlos darstellen. So konnte der Eindruck entstehen die Veranstaltung mehr ein Zusammentreffen, um bekannte Probleme bei einem Glas Wasser zu beklagen, anstatt proaktiv Lösungen zu diskutieren. Mechthild Geue von Internationalen Versöhnungsbund äußerte sich am Rande des Forums dazu wie folgt:

„Ich finde es absurd dass die Möglichkeit eines Friendensjournalismus einfach so abgetan wurde wenn wenige Minuten danach zwei Friedensinitiativen mit dem Günter-Wallraff Preis ausgezeichnet werden. Diese Bewegungen sind ja auch nur zwei von vielen. Da zeigt sich dass es doch andere Quellen gibt. Diesen mutigen Menschen eine Stimme zu geben, was ist denn sonst die Aufgabe von Journalisten?

In der Tat zeigt die Ehrung der palästinensischen und israelischen Frauensfriendensinitiativen „Women of the sun“ und „Women Wage Peace“ dass es durchaus Alternativen gibt um über Nahost zu reden. Es scheint allerdings als würden solche Initiativen es nicht auf die Agenda der meisten deutschen Medienhäuser schaffen.

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