2013: Top 3

UN-Welternährungsprogramm ist intransparent

Eine der größten humanitären Organisationen der Welt, das Welternährungsprogramm (WEP) der Vereinten Nationen, hilft bei Hungersnöten in aller Welt. Die Nahrungsmittel, die in Krisenregionen geliefert werden, sollen dabei möglichst vor Ort bei Kleinbauern eingekauft werden. Zugleich hat das WEP aber die Vorgabe, immer die günstigsten Anbieter zu wählen. Am günstigsten können aber in der Regel nur Großkonzerne liefern. Wie das WEP diesen Widerspruch in seiner Beschaffungspolitik in der Praxis auflöst, ist nicht nachprüfbar. Die Verwendung der Mittel wird nicht offengelegt. Deutschland ist der sechstgrößte Geldgeber, dennoch berichten die Medien hierzulande nur vereinzelt über bestimmte Hilfsprojekte oder Großspenden.

Sachverhalt & Richtigkeit:
Das Welternährungsprogramm (WEP, auch WFP für engl. World Food Programme) der Vereinten Nationen hat zum Ziel, akute Hungersnöte, ausgelöst durch Krisen, Kriege und Naturkatastrophen, durch Lieferungen von Nahrungsmitteln sowie durch Logistik- und Infrastruktur-Leistungen zu lindern. Es wird finanziert durch staatliche und private Spenden.
Der gesamte Spenden-Etat des WEP betrug im Jahr 2012 fast 4 Mrd. US-Dollar. Der Großteil der Spenden kommt von einzelnen Staaten. 64 Millionen Dollar stammten 2012 von privaten Spendern. Nach eigener Darstellung hat das WEP 2012 rund 2,1 Millionen Tonnen Nahrungsmittel im Wert von 1,1 Mrd. Dollar angekauft. Die UNO-Organisation müsse jedes Jahr rund 100 Millionen Hungernde in über 75 Ländern unterstützen. Die wichtigsten bereitgestellten Nahrungsmittel des WEP im Jahr 2012 waren Weizen (20 Prozent), Mais (20 Prozent), Nahrungsmittelmischungen (13 Prozent), Reis (12 Prozent) und Hirse (10 Prozent).
Die Nahrungsmittel sollen möglichst in der Nähe der Gegenden gekauft werden, in denen sie gebraucht werden, also bevorzugt lokal und regional. Durch das Pilotprojekt „Purchase for Progress“ (P4P) sollen landwirtschaftliche Kooperativen und Kleinbauern unterstützt werden, um insbesondere in Entwicklungsländern Landwirtschaft und Marktentwicklung zu fördern. Im Jahr 2013 sollen 500.000 einkommensschwache Kleinbauern von der seit 2008 laufenden Initiative profitieren, um auf den Agrarmärkten Fuß zu fassen und als wettbewerbsfähige Anbieter auf den Märkten zu agieren. Es gibt jedoch keine öffentlich zugänglichen Quellen, um nachprüfen zu können, ob das WEP eher bei Kleinbauern oder doch bei großen, transnationalen Nahrungsmittelkonzernen einkauft. Die offizielle Strategie der UN-Organisation (siehe Factsheet „Lokale Einkäufe des WFP“), Nahrungsmittel zum besten Preis zu erwerben, hat Folgen für die Nahrungsmittelproduktion in den Entwicklungsländern, weil Kleinbauern im Kostenwettbewerb mit großen Lebensmittelproduzenten meist das Nachsehen haben. Kleinbauern können oft nicht die verlangten Mengen zu einem konkurrenzfähigen Preis liefern.
Angesichts einzelner Berichte über Großlieferanten des WEP kann der Eindruck entstehen, dass die UN-Organisation entgegen ihrer eigenen Darstellung handelt, Kleinbauern zu fördern. Unter anderem das Schweizer Unternehmen Glencore tritt, beispielsweise im „Food Tender Award 2011“, immer wieder als Lieferant des WEP in Erscheinung und ist nicht der einzige Großlieferant, wohingegen kleine Lieferanten kaum ins Gewicht fallen. Im Food Tender Award-Überblick sowie anderen frei zugänglichen Quellen werden keine kleinen Lieferanten genannt. Da die finanziellen Ausgaben des WEP öffentlich nicht nach Lieferanten aufgeschlüsselt sind, ist nicht nachvollziehbar, ob und welche deutschen und internationalen Konzerne an das WFP liefern.
Mit Blick in die jährlichen „Food Procurement Reports“ lässt sich der Vorwurf bezüglich der Größe der Handelspartner nach Ansicht der deutschen Dependance des WEP in Berlin entkräften. Dort geht man davon aus, dass über Großlieferanten und große Projekte schlicht mehr berichtet wird als über kleinere Maßnahmen. Laut Procurement Report 2012 sei in 93 Ländern eingekauft worden, darunter in 75 Entwicklungsländern. Aus diesen seien 77 Prozent des Gesamtwertes der eingekauften Waren bezogen worden. Die größten Anteile (in USD) an den gelieferten Nahrungsmitteln entfielen auf die Herkunftsländer Indien, Indonesien, Pakistan, Türkei und Italien. Die genaue Herkunft beziehungsweise der Verkäufer bleiben aber auch hier unklar.
Im Jahr 2012 beteiligte sich die Bundesrepublik Deutschland mit 150 Millionen Euro am Etat des WEP. Damit war Deutschland der sechstgrößte Geldgeber, nach den USA, der EU-Kommission, Kanada, England und Japan. Hinzu kamen private Spenden aus Deutschland im Umfang von 15 Mio. Euro. Die deutsche Tochter des Unilever-Konzerns hat über die Margarine-Marke „Rama“ beispielsweise im Jahr 2010 in Zusammenarbeit mit einem ihrer Kunden 370.000 € an das Welternährungsprogramm gespendet. 2012 wurden aus Deutschland lediglich 2.400 Tonnen an Nahrungsmitteln mit einem Verkaufswert von 2,24 Millionen US-Dollar an das WEP geliefert. Bezogen auf die Gesamtmenge an angekauften Nahrungsmitteln durch das WEP ist dieser Anteil marginal. Die Zahlungen aus Deutschland umfassen nach Auskunft von WEP Berlin hauptsächlich Infrastruktur- und Logistikdienstleistungen sowie Maßnahmen zur Wasserversorgung.
Die Hersteller der bezogenen Waren werden nicht benannt. Deutsche Unternehmen seien nur in geringem Maße an der Versorgung beteiligt. Welche Unternehmen dies sind, wird vom WEP in Berlin nicht veröffentlicht. Die Veröffentlichung entsprechender Daten liege im Ermessen der jeweiligen Auftragnehmer. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, in dessen Ressort die Zahlungen der BRD an die UN-Organisation fallen, gibt ebenfalls keine Informationen weiter. Amtliche Zahlen liegen nicht vor. Als Teil der Vereinten Nationen unterliegt das WEP als Internationale Organisation dem Völkerrecht und genießt als solche einen Sonderstatus. Dies ist auch ein Hindernis für journalistische Auskunftsaussprüche, etwa nach dem Informationsfreiheitsgesetz.

Relevanz:
Das WEP ist eine Non-Profit-Organisation und nach eigenen Angaben die größte humanitäre Organisation der Welt. Die Bundesrepublik Deutschland ist seit einigen Jahren der sechstgrößte Geldgeber des WEP. Bei einem derart starken Engagement ist es legitim, nach der Verwendungsweise der eingesetzten Mittel zu fragen. Die Transparenz und der freie Zugang zu den entsprechenden Informationen sind nicht vollständig gegeben. Als wesentlicher Geldgeber sowie wichtiger Akteur in der UN ist von Interesse, wie mit den Beiträgen genau verfahren wird. Die Beschaffungspolitik und die Lieferanten sollten deshalb nachprüfbar sein.

Vernachlässigung:
Es wird zwar vereinzelt über das Engagement einzelner Konzerne (z.B. Glencore) berichtet, ebenso über das Welternährungsprogramm im Allgemeinen. Eine Berichterstattung über die Herkunft der Nahrungsmittelankäufe und die Art der Produzenten findet jedoch ebenso wenig statt, wie die konkrete Mittelverwendung von Spenden des deutschen Staates. Die Informationspolitik des WEP-Büros in Berlin trägt nicht zur Transparenz bei.

Quellen:

Angela Barandun, „Agrarsparte in der Kritik.“ 27.02.2012, Tages-Anzeiger (Schweiz);

Johannes Dieterich, „Die Lebensmittelpreise explodieren“, 15.08.2011, Stuttgarter Zeitung;

Bundesgesetzblatt Teil II Nr. 34. S.941-953. Bonn 1980. Online unter: http://www.un.org/Depts/german/uebereinkommen/ar22-a-dbgbl.pdf, zuletzt abgerufen am 03.07.2013;

Deutscher Bundesrat: Verordnung zu dem Abkommen vom 17. Mai 2011 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und dem Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen für das Büro des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen in der Bundesrepublik Deutschland. Drucksache 20/13, http://www.bundesrat.de/cln_330/sid_2858586B94D4670C9EE96BAB85738FC9/SharedDocs/Drucksachen/2013/0001-0100/20-13,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/20-13.pdf, zuletzt abgerufen am 1.07.2013;

Jost Maurin, taz-Redakteur, E-Mail vom 03.05.2013;

Dieter Reinhardt, Universität Duisburg-Essen, Gespräch am 13.06.2013 und E-Mail vom 20.06.2013;

Katharina Weltecke, Pressesprecherin WFP Berlin, Gespräch am 18.01.2013 und 26.02.2013;

Ständige Vertretung bei FAO, WFP und IFAD, „Rekordzahlungen der deutschen Bundesregierung“. Online unter: http://www.rom-io.diplo.de/Vertretung/romio/de/07/WFP-Zuwendungen-Seite.html, zuletzt abgerufen am 03.07.2013;

World Food Programme. Food Procurement Annual Report 2012. Online unter:
http://documents.wfp.org/stellent/groups/public/documents/communications/wfp255336.pdf, zuletzt abgerufen am 03.07.2013;

World Food Programme. Contributions to WFP 2012. Online unter:
http://www.wfp.org/about/donors/year/2012, zuletzt abgerufen am 03.07.2013;

World Food Programme. Purchase for Progress – Chancen für Kleinbauern. Online unter:
http://de.wfp.org/content/purchase-progress-chancen-f%C3%BCr-kleinbauern, zuletzt abgerufen am 03.07.2013;

World Food Programme. Food Procurement Map. Online unter:
http://www.wfp.org/procurement/food-procurement-map, zuletzt abgerufen am 03.07.2013;

World Food Programme. Factsheet „Who we are“. Online unter:
http://documents.wfp.org/stellent/groups/public/documents/newsroom/wfp255900.pdf, zuletzt abgerufen am 03.07.2013;

World Food Programme. Factsheet Lokale Einkäufe. Online unter:
http://documents.wfp.org/stellent/groups/public/documents/newsroom/wfp255896.pdf, zuletzt abgerufen am 03.07.2013;

World Food Programme. Food Tender Awards 2011. Online unter:
http://www.wfp.org/procurement/food-tender-awards/2011, zuletzt abgerufen am 03.07.2013;

Kommentare:
Jost Maurin, taz-Redakteur:
„Mir sind keine deutschen Lieferanten des WEP bekannt. Ich habe dazu allerdings auch noch nicht recherchiert. Ob das Thema relevant ist, hängt davon ab, ob die Lieferbeziehungen in irgendeiner Weise problematisch sind. Bisher habe ich dafür keine Anzeichen.“

Dieter Reinhardt, Politikwissenschaftler an der Universität Duisburg-Essen:
„Das Welternährungsprogramm will ja zu den niedrigstmöglichen Preisen einkaufen. Falls es langfristige Lieferbindungen mit Staaten oder Lieferanten gibt, die ein deutsches Engagement nicht möglich machen, sollte dies transparent gemacht werden. Wo deutsche Beiträge fließen, muss erkennbar sein, wie diese verwendet werden.“