2012: Top 8

Miserable Zustände in europäischen Haftanstalten

Trotz allgemein geltender Menschenrechte, wie die der Vereinten Nationen und der Europäischen Union, sind die Haftanstalten in vielen Ländern Europas geprägt von menschenunwürdigen Bedingungen: Zellen sind völlig überbelegt, es mangelt an Hygiene und sanitären Einrichtungen, und Gefangene sind Gewalt seitens des Gefängnispersonals ausgesetzt. Das Problem der Überbelegungen haben fast alle Staaten Europas, denn in den letzten Jahren hat sich die Tendenz entwickelt, Menschen sofort – auch bei geringen Straftaten oder bloßem Verdacht – zu inhaftieren. Das stellen Experten des „Europäischen Komitees zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe“ des Europarates (kurz: CPT) fest. Oft werden Verdächtige viel zu lange in Untersuchungshaft festgehalten, weil sich viele Gerichtsverfahren über Monate hinziehen. Obwohl es hier in erster Linie um die Bedingungen in Haftanstalten anderer europäischer Staaten geht, ist das Thema auch für Deutschland relevant. Denn viele der Länder, in deren Haftanstalten

menschenunwürdige Bedingungen herrschen, sind Mitglied der Europäischen Union oder haben ein Abkommen mit der EU und pflegen einen engen politischen Kontakt zu Deutschland. Über die miserablen Bedingungen in europäischen Haftanstalten haben deutsche Medien in den vergangenen Jahren nur wenig berichtet. Eine Ausnahme bildet die Diskussion über die Inhaftierung der Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko in der Ukraine. Eine Auseinandersetzung mit den allgemeinen Haftbedingungen im Land über den Einzelfall hinaus fand jedoch kaum statt.

Sachverhalt & Richtigkeit

Jede Regierung ist für die Organisation ihrer Haftanstalten selbst verantwortlich. Trotz allgemein geltender Menschenrechte, wie sie von den Vereinten Nationen und der Europäischen Union formuliert wurden, sind die Haftanstalten in vielen Ländern Europas geprägt von menschenunwürdigen Bedingungen: Zellen sind völlig überbelegt, es mangelt an Hygiene und sanitären Einrichtungen, und Gefangene sind von Seiten des Gefängnispersonals Gewalt ausgesetzt. Das Problem der Überbelegungen haben fast alle Staaten Europas, denn in den letzten Jahren hat sich ein Trend dazu entwickelt, Menschen sofort – auch bei kleinen Straftaten oder dem bloßen Verdacht – zu inhaftieren. Das stellen Experten des „Europäischen Komitees zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe“ des Europarates (kurz: CPT) fest. Oft werden Verdächtige viel zu lange in Untersuchungshaft festgehalten, weil sich Gerichtsbeschlüsse über Monate hinziehen. Verstärkt hat sich diese Entwicklung seit den Terroranschlägen des 11. September 2001. In vielen

Ländern besteht nicht nur das Problem der Überbelegung. Zwei der Länder, in deren Gefängnissen es eine Reihe von beachtlichen Mängeln gibt, sind Griechenland und die Ukraine.

In griechischen Gefängnissen sitzen drei- bis viermal so viele Häftlinge wie vorgesehen. Dieser hohen Anzahl steht zu wenig Personal gegenüber, weshalb die Häftlinge kaum kontrolliert werden können. Das Ergebnis sind extremer Drogenhandel und Gewalt unter den Häftlingen sowie gegenüber den Gefängnismitarbeitern, berichten das CPT und der griechische Journalist Wassilios Awestopoulos. Auch die sanitäre und medizinische Versorgung ist unzureichend: Die Zellen sind viel zu klein, oft ohne Toilette und fließend Wasser. Häufig stehen nicht genügend Betten zur Verfügung. Frauen und Männer werden oft gemeinsam eingesperrt. Zudem ist der Umgang der Gefängnismitarbeiter mit den Häftlingen von„erniedrigender Natur“, schreiben die Mitarbeiter des CPT, die in regelmäßigen Abständen die europäischen Gefängnisse besuchen und die Gefangenen befragen. Bei den Durchsuchungen nach Drogen zum Beispiel müssten sich die Häftlinge komplett ausziehen. In Anwesenheit von anderen Häftlingen würden daraufhin alle Körperöffnungen nach Drogen durchsucht.

In den Gefängnissen der Ukraine herrschten ähnlich menschenunwürdige Bedingungen, berichten das CPT und Amnesty International. Die Zellen dort seien viel zu klein und dunkel. Die Häftlinge würden – unabhängig von ihrer Tat – als Schwerverbrecher behandelt und in jeder erdenklichen Situation in Handschellen gelegt, obwohl dies nur passieren sollte, wenn akute Gefahr besteht. Auch todkranke Insassen werden in ukrainischen Gefängnissen nicht anders behandelt. Den Berichten zufolge werden sie oftmals nicht einmal mehr medizinisch versorgt, und ihnen wird ein letztes Treffen mit der Familie verweigert. So wie in Griechenland ist auch in der Ukraine die Gewalttätigkeit des Sicherheitspersonals eines der Hauptprobleme – sie zeigt sich in vielen Fällen schon bei der Vernehmung auf der Polizeiwache.

Die Regierungen der beiden Länder ändern nichts an den Bedingungen in ihren Haftanstalten, was an

fehlenden finanziellen Mitteln, aber auch am fehlenden Interesse liegen dürfte. Als zentrales Argument, warum sich die Bedingungen nicht verbessern lassen, werden stets die unzureichenden Mittel angegeben.

Relevanz

Obwohl es hier in erster Linie um die Bedingungen in europäischen Haftanstalten geht, ist das Thema auch für Deutschland relevant. Denn viele der Länder, in deren Haftanstalten menschenunwürdige Bedingungen herrschen, pflegen einen engen politischen Kontakt zu Deutschland und sind Mitglied der Europäischen Union (Griechenland) bzw. streben eine Assoziierung mit der EU an (Ukraine). Außerdem ist Griechenland ein beliebtes Urlaubsziel der Deutschen. Es kann deshalb vorkommen, dass deutsche Touristen in Untersuchungshaft genommen werden. Nach Griechenland kommen zudem viele illegale Einwanderer. Viele Flüchtlinge aus Tunesien und anderen afrikanischen Staaten steuern Griechenland als nächstgelegenes EU-Land an. Gelangen diese Flüchtlinge wiederum nach Deutschland, und wird dort ihr Asylantrag abgelehnt, werden sie zurück nach Griechenland abgeschoben – die griechischen Haftbedingungen haben somit auch eine ethische Dimension für Deutschland, das Menschen folglich in ein Land mit menschenunwürdigen Haftbedingungen ausweist.

Vernachlässigung

Über die miserablen Bedingungen in europäischen Haftanstalten haben deutsche Medien in den vergangenen Jahren nur wenig berichtet. Wird dieses Thema doch einmal aufgegriffen, so finden hauptsächlich deutsche und französische Gefängnisse, Regierungsgefängnisse in Russland sowie italienische Flüchtlingsauffanglager Beachtung. Zu diesen haben in den vergangenen drei Jahren unter anderen die Süddeutsche Zeitung (SZ), die Frankfurter Rundschau (FR) und die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) Artikel veröffentlicht. Über die Bedingungen in anderen europäischen Ländern wie Griechenland und Ukraine wurde hingegen kaum berichtet, obwohl dort menschenunwürdige Zustände herrschen. Nur vereinzelt findet sich ein Artikel über Gefängnisse in Griechenland, so etwa 2009 in der Wochenzeitung Die Zeit. Einige Länder sind also in den deutschen Medien überrepräsentiert, während andere Länder kaum Beachtung finden.

Dies liegt in vielen Fällen an mangelnden Beweisen. Journalisten dürfen griechische Gefängnisse in der Regel nicht betreten. Selbst wenn ein Journalist die Genehmigung bekommt, darf er keine Bilder oder andere Aufzeichnungen machen. Es gibt also insgesamt kaum Bild- und Filmmaterial über das Innere von griechischen Gefängnissen. Damit wird dieses Thema für die meisten Medien uninteressant, denn ohne Bilder wird in vielen Fällen kein Artikel gedruckt – ein Fernsehbeitrag ist erst recht ausgeschlossen. Die mangelnde Berichterstattung liegt demnach häufig nicht an fehlendem Interesse der Journalisten, sondern an zu wenig Informationen und Bildmaterial.

Mit dem Beginn der Fußball-Europameisterschaft in Polen und der Ukraine nahm auch die Berichterstattung über die seit Monaten inhaftierte ehemalige Ministerpräsidentin Julia Timoschenko in der Ukraine zu. Über ihren Hungerstreik berichteten unter anderen Spiegel Online und Die Zeit: „Sie hatte aufgehört zu essen, um zu protestieren: gegen ihre Verurteilung und gegen ihre unmenschliche Behandlung im Gefängnis.“ Spiegel Online schreibt sogar von Misshandlung. Weitere Ausführungen zu der Thematik an sich gibt es jedoch nicht. Im Zeit-Artikel steht, dass Journalisten Rundgänge durch das Gefängnis untersagt seien, daher geht der Autor in der Folge nicht ausführlicher auf die Haftbedingungen ein.

Quellen

Institut für Menschenrechte: „Menschenrechtsinstrumente“,

http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/de/menschenrechtsinstrumente.html, abgerufen am 26.6.2012 (führt alle wichtigen Menschenrechtsinstrumente auf, mit denen Menschenrechtsbestimmungen definiert, durchgesetzt und kontrolliert werden)

Europarat, Europäisches Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender

Behandlung oder Strafe: „Länderberichte“, www.cpt.coe.int, abgerufen am 26.6.2012

(erklärt die Arbeit des CPT und die durch das CPT festgelegten Standards, Liste der Länderberichte)

Patrick Müller, Mitarbeiter des CPT des Europarates in Straßburg, Gespräch am 3.1.2012.

Wassilios Aswestopoulos, freier Journalist in Deutschland und Griechenland, Gespräch am 5.3.2012.

Simone Zander, Weißrussland-Expertin von Amnesty International, Gespräch am 29.3.2012.

Spiegel Online: „Griechenland will Graben gegen Migranten bauen“, 4.8.2011, http://www.spiegel.de/politik/ausland/fluechtlinge-griechenland-will-graben-gegen-migranten-bauen-a-778335.html, abgerufen am 2.7.2011

Kommentare

Patrick Müller, Mitarbeiter des „Europäischen Komitees zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe“ (CPT) des Europarates in Straßburg:

„In den griechischen Gefängnissen ist vieles außer Kontrolle geraten. Es gibt drei- bis viermal so viele

Häftlinge wie vorgesehen, es gibt viel zu wenig Personal, und die medizinische Versorgung ist sehr schwierig. In den Gefängnissen dort kann alles passieren – Drogenhandel, Gewalt und ähnliches.“

Wassilios Aswestopoulos, freier Journalist in Deutschland und Griechenland:

„Die momentanen Verhältnisse sind absolut grauenhaft. Aber es ist sehr schwierig für Journalisten, darüber zu berichten. Als die Sache mit den Flüchtlingen hochaktuell war, gab es immer mal wieder Journalisten, die darüber berichten wollten, die kamen dann aber oft nicht rein. Es gibt eben keine Bilder, und damit auch keine Aufklärung.“

Simone Zander, Weißrussland-Expertin von Amnesty International:

„Generell würde ich mir wünschen, dass das Thema mehr in den deutschen Medien vertreten ist. Wenn darüber berichtet wird, dann ist es meist nur eine kleine Randnotiz, ein kurzer Nebensatz, wenn Prominente in der Ukraine inhaftiert sind.“