2012: Top 7

Gekaufte Kundenbewertungen im Internet

Viele Menschen kaufen heute Waren in Online-Shops – doch die Kundenbewertungen, auf die sie sich dabei häufig verlassen, werden systematisch und auf illegale Weise gefälscht und manipuliert. In den vergangenen Jahren ist eine Schattenbranche von Dienstleistern entstanden, die sich im Auftrag von Herstellern als Kunden ausgeben und bezahlte Wertungen im Netz abgeben: Dabei werden eigene Produkte gelobt, die Konkurrenz schlechtgemacht, obwohl eine solche Praxis gegen geltendes Recht verstößt. Recherchen haben ergeben, dass dieses Falschvoten nur selten erkannt und von den Betreibern der Verkaufsportale entfernt werden. Branchenkenner schätzen, dass rund ein Drittel der Online-Kundenbewertungen gefälscht sind. Doch vielen Konsumenten ist das nicht bewusst.

Sachverhalt & Richtigkeit

Im Internet hat sich eine Schattenbranche etabliert, die im Auftrag von Unternehmen versucht, durch strategische Manipulation von Suchmaschinen, Bewertungsportalen, Blogs und Social Media Umsatz zu generieren. Dabei wird echtes Kundenverhalten zugunsten der bewerteten bzw. beworbenen Produkte und Dienstleistungen vorgetäuscht. Das geschieht zum einen durch positive oder bei der Konkurrenz abgegebene negative Kundenbewertungen auf Bewertungs- und Verkaufsportalen. So sollen potenzielle Käufer den Eindruck gewinnen, ein Produkt sei besonders hoch- bzw. minderwertig.

Auch im Bereich der „Suchmaschinenoptimierung“ wird versucht, mit teils wettbewerbswidrigen Methoden kommerzielle Anbieter künstlich zu fördern und ihre Position in den Trefferlisten von Suchergebnissen zu verbessern. Dies geschieht häufig mit so genannten Backlinks, den Rückverweisen auf kommerzielle Angebote, die massenhaft und teils maschinell auf Internetseiten von Agenturen platziert werden. Diese Agenturen arbeiten in einer Werbe-Grauzone und verheimlichen bei ihren Aktivitäten häufig ihre wahren Auftraggeber und Identitäten.

In vereinzelten kürzeren Berichten und Experimenten haben Fachredaktionen bislang nachweisen können, dass gefälschte Kundenbewertungen nur zu einem sehr geringen Prozentsatz von Online-Shops und Bewertungsportalen erkannt und gelöscht werden. Die Undercoverrecherche des jungen Journalisten Thomas Roß für die Zeitschrift „Audio Video Foto Bild“ zeigte zuletzt, dass das Fälschen von Kundenbewertungen in der Branche  keine Seltenheit ist und zudem kaum geahndet, geschweige denn überhaupt festgestellt wird. Mitarbeiter der Zeitschrift gaben sich als Hersteller von Elektronikprodukten aus und bestellten erfolgreich bei Text-Agenturen „gefakte“ Kundenbewertungen – sowohl positive über die eigenen Produkte, als auch negative über die eines Konkurrenten. Der Zeitschrift zufolge wurde kein einziger dieser knapp 100 Texte von den Betreibern der fraglichen Portale gelöscht. Die wettbewerbswidrigen Dienstleistungen wurden den Journalisten mit ordentlichen Rechnungen bescheinigt.

Die Recherchen deuten darauf hin, dass auch große Produkthersteller diese Praxis nutzen. Langjährige Branchenkenner schätzen, dass rund ein Drittel der im Internet abgegebenen Kundenbewertungen gefälscht sind. Obwohl die Praxis teils illegal ist und gegen geltendes Wettbewerbsrecht verstößt, wird sie nur selten geahndet. Mit der technischen Weiterentwicklung verändern sich zudem ständig die Methoden der Bewertungs- und Backlink-Texter. Anbieter von digitalen Plattformen für den Kundenaustausch sind häufig nicht in der Lage oder willens, die gezielt platzieren Bewertungen und Berichte zu identifizieren und zu löschen.

Relevanz

Die verschiedenen Arten der Manipulation gehen zulasten des Verbrauchers, der häufig nicht mehr in der Lage ist, anhand von Kundenbewertungen oder den „Rankings“ von Suchmaschinen eine ansatzweise objektive Kaufentscheidung zu treffen. Diese Problematik gewinnt an Bedeutung, je mehr Handel ins Internet abwandert, und je mehr sich dort der Kampf um Kunden verschärft. Denn die „Fakes“ können auch die Absatzzahlen von Produktherstellern gefährden, wenn diese im Internet zu Unrecht gefälschte negative Bewertungen bekommen.

Vernachlässigung

Zahlreiche Berichte beschränken sich auf Service-Aspekte wie einfache Tipps, mit deren Hilfe sich gefälschte Bewertungen und dubiose Internetshops angeblich erkennen lassen. Der Öffentlichkeit ist zwar bekannt, dass in diesem Bereich vieles in einer Grauzone abläuft und prinzipiell manipulierbar ist, doch systematische Recherchen, die die ökonomische Wertschöpfungskette dieser Manipulationen nachzeichnen, gibt es bislang nicht. Eine Ausnahme bildet dabei die Undercoverrecherche von Thomas Roß, der für die Zeitschrift „Audio Video Foto Bild“ bewies, wie einfach es ist, gegen Bezahlung  massenhaft positive oder negative Bewertungen von Agenturen verfassen zu lassen.

Quellen

Stephan Dörner: „Web-Bewertungen – Der Propagandakrieg im Internet“, 22.2.2012, Handelsblatt Online, http://www.handelsblatt.com/technologie/it-tk/it-internet/web-bewertungen-agenturen-manipulieren-im-web/6239550-3.html, abgerufen am 26.6.2012

Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V.: „Pressemitteilung: Erst ins Internet, dann zum Händler“, 13.4.2012, http://www.bitkom.org/de/presse/8477_71833.aspx

(Branchenstudie von Bitkom zur Bedeutung von Bewertungsportalen)

Jakob Schlandt: „Manipulation bei Online-Bewertung – Virtuelles Doping fürs Hotel“, 21.1.2011, Frankfurter Rundschau (FR) Online,

http://www.fr-online.de/wirtschaft/manipulation-bei-online-bewertung-virtuelles-doping-fuers-hotel,1472780,6600906.html, abgerufen am 26.6.2012

(konkrete Beispiele von Portalen, die Hotels bewerten, verblüffende Zahlen)

WISO-Redaktion: „Hotel-Bewertungsportale – Mehr Dichtung als Wahrheit?“, 30.1.2012, ZDF

http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/1547300/WISO-Sendung-vom-30.-Januar-2012#/beitrag/video/1547300/WISO-Sendung-vom-30.-Januar-2012, abgerufen am 26.6.2012

Astrid Herbold: „Social-Media-Marketing – Gekaufte Fans“, 18.2.2012, Tagesspiegel, http://www.tagesspiegel.de/medien/social-media-marketing-kommunikation-und-trickserei-wie-social-media-agenturen-ihren-kunden-aufmerksamkeit-verschaffen/6224036-2.html, abgerufen am 26.6.2012

Miriam Bunjes: „Falle Internet: Gekaufte Freunde, bezahlte Tipps“, 2.2.2012, Evangelisch.de, http://www2.evangelisch.de/themen/medien/falle-internet-gekaufte-freunde-bezahlte-tipps56819, abgerufen am 4.7.2012

Christian Solmecke: „E-Commerce – LG Hamburg zur Zulässigkeit von Schleichwerbung in einem Blog“, 27.4.2012, Rechtsanwalts-Blog,

http://www.wbs-law.de/e-commerce/schleichwerbung-in-blog-23872/, abgerufen am 26.6.2012

(mögliche juristische Folgen)

Thomas Roß, freier Journalist u.a. für „Audio Video Foto Bild“, Gespräch am 15.6.2012

Thomas Roß: „Exklusiv-Report: Gefälschte Kunden-Bewertungen“, Heft 6/2012, „Audio Video Foto Bild“, zusammengefasst u.a. hier zu lesen:

http://www.stern.de/digital/online/gefaelschte-produktbewertungen-in-online-shops-tausche-meinung-gegen-geld-1820700.html, abgerufen am 26.6.2012

Achim Himmelreich,  Mitglied des Expertenrats des Bundesverbandes der Digitalen Wirtschaft und Mitarbeiter der Beratungsfirma „Mücke Sturm & Company“ mit Schwerpunkt E-Commerce, Gespräch am 20.6.2012

Kommentare

Thomas Roß, freier Journalist u.a. für „Audio Video Foto Bild:

„Ich habe den Eindruck, dass die Öffentlichkeit nicht Bescheid weiß über diese Fälscher im Netz. […] Man redet in der Branche nicht gern darüber. […] Ich hatte vor meiner Recherche auch mit ganz vielen Firmen gesprochen und gefragt: Naja, wie schaut’s aus, seid ihr eigentlich schon mal angesprochen worden von solchen Text-Agenturen? Das haben einige dann auch bestätigt. Die wollen natürlich nicht zitiert werden, aber die haben schon gesagt, dass sie auf Messen immer wieder von Agenturen angesprochen werden, ob da nicht Interesse besteht da was zu machen, weil das ja alle machen so zusagen. […] Was diese Text-Agenturen zum Teil auch unter der Hand gesagt haben, mit wem sie auch zusammenarbeiten und was sie schon gemacht haben, es wurde immer so angedeutet und nicht ganz konkret, dann muss ich schon sagen: Das ist schon ein Phänomen, dass alle Bereiche im Internet betrifft, in denen es irgendwie um Kundenbewertungen geht.“

Achim Himmelreich, Mitglied des Expertenrats des Bundesverbandes der Digitalen Wirtschaft und Mitarbeiter der Beratungsfirma „Mücke Sturm & Company mit Schwerpunkt E-Commerce:

„Wir sehen, dass der Verbraucher in dieser Hinsicht mündiger wird, aber das ändert nichts daran, dass die Aufklärungsarbeit weitergehen muss. […] Eine Gefährdung für die digitale Gesellschaft ist das nicht. Man muss sehen, dass hier nur althergebrachte Vorgänge ins Digitale transportiert werden. Wenn Sie in einen Laden gehen, wird der Verkäufer ein bestimmtes Produkt möglicherweise auch in den höchsten Tönen loben, nur um es zu verkaufen. Und das versuchen einige Leute natürlich auch ins Digitale zu transportieren. Sicherlich gibt es im Digitalen da mehr Möglichkeiten. Aber gerade die jungen Menschen, die mit dem Internet aufwachsen, können gefälschte Bewertungen schon allein am Jargon gut erkennen. Und diese Benutzergruppe wird mit der Zeit natürlich immer größer.“