Weiterbildung zum Hungerlohn
Wer als Dozent Weiterbildungskurse im Auftrag des Arbeitsamtes gibt, verdient oft so wenig Geld, dass er selbst auf zusätzliche Unterstützung angewiesen ist. Betroffene und Gewerkschaften berichten von geringer Bezahlung und schlechten Arbeitsbedingungen. In den Medien kommt das Thema kaum vor, dabei haben die Arbeitsbedingungen der Ausbilder auch Auswirkungen auf die Weiterbildung vieler Arbeitsloser.
Sachverhalt & Richtigkeit
Dozenten, die für Bildungsträger arbeiten, tun dies unter immer schlechteren Bedingungen – die Anforderungen werden höher, die Bezahlung geringer. Betroffene sowie die Bildungsgewerkschaft GEW berichten, dass Dozenten nur noch Zeitverträge bekommen, dass es keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gibt und unbezahlte Überstunden in diesem Sektor normal sind. Statistiken, die dies beweisen könnten, gibt es nach Aussage des Statistik-Service der Agentur für Arbeit nicht.
Bildungsträger bieten für die jeweiligen Arbeitsagenturen Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen an, welche die Arbeitsagenturen für ihre Klientel zahlen, um deren Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Die durch die Zeitverträge unsichere Arbeitssituation führe dazu, dass dies hingenommen werde. Zudem habe sich der Konkurrenzkampf um die Maßnahmen der Arbeitsmarktagenturen verschärft: Diese schreiben Maßnahmen aus, worauf sich mehrere Bildungsträger bewerben – dies hat nach Untersuchungen der GEW zur Folge, dass viele Anbieter sich unter Wert verkaufen und noch weniger Geld in die Bezahlung ihrer Dozenten investieren. Eine Stellungnahme war weder vom DGB Bildungswerke Düsseldorf noch von anderen Bildungsträgern zu bekommen.
Weil die Maßnahmen der Arbeitsagenturen immer befristet sind, damit der Träger für jede neue Maßnahme gewechselt werden kann, sind auch die Verträge der Dozenten befristet. Im Gegensatz zur Schulbildung ist der Weiterbildungsmarkt nicht institutionalisiert. Laut GEW gibt es so genannte „Regelarbeitsverträge“, diese würden jedoch in den meisten Fällen nicht eingehalten. Obwohl viele der Dozenten eine Hochschulausbildung hätten, seien Fälle bekannt, in denen aufstockend Hartz IV beantragt werden musste.
Der GEW zufolge zeigen Untersuchungen, dass sich durch die schwierigen Arbeitsbedingungen der Dozenten auch die Qualität der Weiterbildungsmaßnahmen für Arbeitslose verschlechtert.
Relevanz
Unter schlechten Arbeitsbedingungen leiden nach Schätzungen der GEW etwa 1500 Dozenten in Deutschland. Betroffen sind aber auch die knapp drei Millionen deutschen Arbeitslosen, die aufgrund der Probleme in dem System keine optimale Weiterbildung erhalten.
Vernachlässigung
In der Wochenzeit „Die Zeit“ erschien 2010 ein ausführlicher Artikel zum Thema. Dieser zog jedoch keine Folgeberichterstattung nach sich. Ein Problem ist auch, dass sich viele der betroffenen Dozenten nicht mit ihrem Namen und Gesicht in die Medien trauen, weil sie Sorge haben, danach keine Arbeit mehr zu finden
Quellen
Bognanni, Massimo: „Wenn Fortbildung zur Billigware wird“, 27.5.2010, Zeit Online, http://www.zeit.de/wirtschaft/2010-05/arbeitsagentur, abgerufen am 27.6.2012
Mirjam Hillebrand, Pressesprecherin der Agentur für Arbeit Chemnitz, Gespräch am 26.6.2012
Eva-Maria Simon, Wirtschaftsjournalistin, Mitglied bei den „Weitwinkel Reportern“, E-Mail-Wechsel am 28.6.2012
Stephanie Odenwald, Vorstandsmitglied der Bildungsgewerkschaft GEW, Gespräch am 27.6.2012
Prof. Dr. Volker Faust, Psychiater von der Stiftung Liebenau, E-Mail-Wechsel am 2.7.2012
GEW: „Schwarzbuch. Beschäftigung in der Weiterbildung“,
http://gew.de/Binaries/Binary65354/Schwarzbuch_WEB.pdf, abgerufen am 27.6.2012
Uwe Dörwald, Einreicher des Themas, Gespräch am 14.6.2012
Janine Betz, Statistik-Service der Agentur für Arbeit, E-Mail-Wechsel am 26.6.2012
Betroffene, Gespräche am 15., 26. und 27.6.2012
Marie – Luise Achilles, Arbeitsinitiative Kirchheim, E-Mail-Wechsel am 2.7.2012
Kommentare
Stephanie Odenwald, Vorstandsmitglied der Bildungsgewerkschaft GEW:
„Untersuchungen zu Folge, sind gerade in öffentlich geförderten Weiterbildungsmaßnahmen, wie Integrationskursen, die Arbeitsbedingungen immer schlechter. Es gibt circa 1500 Menschen die von einem Hungerlohn leben müssen und ich weiß von Kollegen, dass sie teilweise so wenig verdienen, dass zusätzlich eine Hartz IV-Aufstockung beantragt werden muss. Für die Beschäftigten der Weiterbildung ist diese Situation sehr zermürbend.“
Mirjam Hillebrand, Pressesprecherin der Agentur für Arbeit Chemnitz:
„Ich kenne in der Arbeitsagentur keine Fälle, in denen Fortbilder zu Arbeitslosen wurden, aber aus meinem privaten Bekanntenkreis weiß ich über die Problematik zwischen Dozenten und Bildungsträgern Bescheid. In meiner Position als Pressesprecherin der Arbeitsagentur kann ich wenig zu der Problematik zwischen den Weiterbildern und ihren Vorgesetzten sagen.“
Eva-Maria Simon, Wirtschaftsjournalistin, Mitglied bei den „Weitwinkel Reportern“:
„Es handelt sich hier um ein sehr interessantes Thema, welches unterrepräsentiert zu sein scheint. Persönlich finde ich das Thema höchst interessant, habe aber keine empirischen Untersuchungen gemacht, sodass ich konkret sagen könnte ob in diesem Thema etwas Greifbares steckt.“
Guten Tag,
Ihren Beitrag schätze ich und möchte als Betroffene hinzufügen, dass nachdem ich in Baden-Würtemberg bis 2011 in der GEW, in der SPD und direkt an der VHS Heidelberg e.V. als Dozentenvertreterin gewählt worden war, noch weit Schlimmeres zu berichten habe. Dozentinnen, die sich in der Dozentenvertretung ernsthaft engagiert haben, sind immer davon bedroht, Ihre Aufträge zu verlieren. Ich habe einen schriftlichen Beschluss des Vorstands der VHS Heidelberg e.V., in dem mir mitgeteilt wurde, dass ich keine weiteren Aufträge mehr erhalten werden….den Grund nennt man nicht. Da ich aber nicht nur eine erfahrene, als auch sehr beliebte Kursleiterin war, kann es an meiner Arbeitsleistung nicht gelegen haben.
Des Weiteren werden an den VHSen in Ba-Wü auch noch weitere Regelungen praktiziert, die sich negativ auf die Situation der in der WB/EB-Beschäftigten auswirken: das sogenannte Baden-Würtemberger Modell. Im Ländle spart man gern, z.Bsp. auch Personalkosten. Die wenigen festen Anstellungen in der WB/EB werden grundsätzlich an verbeamtete Schul-Lehrer vergeben, die sich versetzen lassen oder beurlaubt sind. So sparen die VHSen bis zu 50% der Personalkosten. Die Stellen werden in der Regel auch nicht öffentlich ausgeschrieben, sondern nur in Amtsblättern der staatlichen Schulen! So zumindest wird es im Raum Emmendingen gehandhabt. Nur unter Protest hat man mir eine Stellenauschreibung für eine 75 %-Stelle im Bereich der Bildungsplanung ausgehändigt und dazu gesagt, dass ich sowieso keine Chance hätte, da ich als nicht-Beamtin zu teuer sei.
Die Ausbeutung ist gewollt und strukturell zementiert. ich kann nicht anders, als dieses Vorgehen Versklavung von Staats wegen zu nennen, denn die Honorar werden nicht verhandelt. Sie werden festgelegt. Und das unternehmerische Risiko wird gleichzeitig budesweit ganz selbstverständlich auf dem Kursleitenden abgewälzt- kein Unterricht – keine Kohle! Mir wurde schon mal durch die VHS am Abend vor einem Training ein ganzes Tagesseminar abgesagt, weil sich ein Teilnehmer krank gemeldet hatte. Ohne Ausgleich. Ohne….mir fehlen die Worte. Aber das Schlimmste finde ich sind die vielen Kolleginnen, denn es sind vorwiegend Frauen, die sich gern weiterhin brav ausnehmen lassen. Selbst wenn sie keinen gutverdienenden Gatten haben. Man tut die Arbeit ja, weil man die Menschen liebt und wie schon das Sprichwort sagt: Brave Mädchen kommen in den Himmel -böse Mädchen kommen zwar überall hin – doch die sind selten an der VHS und geben Integrationskurse oder Bewerbungstrainings für das JobCenter.