2012: Top 4

Weiterbildung zum Hungerlohn

Wer als Dozent Weiterbildungskurse im Auftrag des Arbeitsamtes gibt, verdient oft so wenig Geld, dass er selbst auf zusätzliche Unterstützung angewiesen ist. Betroffene und Gewerkschaften berichten von geringer Bezahlung und schlechten Arbeitsbedingungen. In den Medien kommt das Thema kaum vor, dabei haben die Arbeitsbedingungen der Ausbilder auch Auswirkungen auf die Weiterbildung vieler Arbeitsloser.

Sachverhalt & Richtigkeit

Dozenten, die für Bildungsträger arbeiten, tun dies unter immer schlechteren Bedingungen – die Anforderungen werden höher, die Bezahlung geringer. Betroffene sowie die Bildungsgewerkschaft GEW berichten, dass Dozenten nur noch Zeitverträge bekommen, dass es keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gibt und unbezahlte Überstunden in diesem Sektor normal sind. Statistiken, die dies beweisen könnten, gibt es nach Aussage des Statistik-Service der Agentur für Arbeit nicht.

Bildungsträger bieten für die jeweiligen Arbeitsagenturen Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen an, welche die Arbeitsagenturen für ihre Klientel zahlen, um deren Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Die durch die Zeitverträge unsichere Arbeitssituation führe dazu, dass dies hingenommen werde. Zudem habe sich der Konkurrenzkampf um die Maßnahmen der Arbeitsmarktagenturen verschärft: Diese schreiben Maßnahmen aus, worauf sich mehrere Bildungsträger bewerben – dies hat nach Untersuchungen der GEW zur Folge, dass viele Anbieter sich unter Wert verkaufen und noch weniger Geld in die Bezahlung ihrer Dozenten investieren. Eine Stellungnahme war weder vom DGB Bildungswerke Düsseldorf noch von anderen Bildungsträgern zu bekommen.

Weil die Maßnahmen der Arbeitsagenturen immer befristet sind, damit der Träger für jede neue Maßnahme gewechselt werden kann, sind auch die Verträge der Dozenten befristet.  Im Gegensatz zur Schulbildung ist der Weiterbildungsmarkt nicht institutionalisiert. Laut GEW gibt es so genannte „Regelarbeitsverträge“, diese würden jedoch in den meisten Fällen nicht eingehalten. Obwohl viele der Dozenten eine Hochschulausbildung hätten, seien Fälle bekannt, in denen aufstockend Hartz IV beantragt werden musste.

Der GEW zufolge zeigen Untersuchungen, dass sich durch die schwierigen Arbeitsbedingungen der Dozenten auch die Qualität der Weiterbildungsmaßnahmen für Arbeitslose verschlechtert.

Relevanz

Unter schlechten Arbeitsbedingungen leiden nach Schätzungen der GEW etwa 1500 Dozenten in Deutschland. Betroffen sind aber auch die knapp drei Millionen deutschen Arbeitslosen, die aufgrund der Probleme in dem System keine optimale Weiterbildung erhalten.

Vernachlässigung

In der Wochenzeit „Die Zeit“ erschien 2010 ein ausführlicher Artikel zum Thema. Dieser zog jedoch keine Folgeberichterstattung nach sich. Ein Problem ist auch, dass sich viele der betroffenen Dozenten nicht mit ihrem Namen und Gesicht in die Medien trauen, weil sie Sorge haben, danach keine Arbeit mehr zu finden

Quellen

Bognanni, Massimo: „Wenn Fortbildung zur Billigware wird“, 27.5.2010, Zeit Online, http://www.zeit.de/wirtschaft/2010-05/arbeitsagentur, abgerufen am 27.6.2012

Mirjam Hillebrand, Pressesprecherin der Agentur für Arbeit Chemnitz, Gespräch am 26.6.2012

Eva-Maria Simon, Wirtschaftsjournalistin, Mitglied bei den „Weitwinkel Reportern“, E-Mail-Wechsel am 28.6.2012

Stephanie Odenwald, Vorstandsmitglied der Bildungsgewerkschaft GEW, Gespräch am 27.6.2012

Prof. Dr. Volker Faust, Psychiater von der Stiftung Liebenau, E-Mail-Wechsel am 2.7.2012

GEW:Schwarzbuch. Beschäftigung in der Weiterbildung“,

http://gew.de/Binaries/Binary65354/Schwarzbuch_WEB.pdf, abgerufen am 27.6.2012

Uwe Dörwald, Einreicher des Themas, Gespräch am 14.6.2012

Janine Betz, Statistik-Service der Agentur für Arbeit, E-Mail-Wechsel am 26.6.2012

Betroffene, Gespräche am 15., 26. und 27.6.2012

Marie – Luise Achilles, Arbeitsinitiative Kirchheim, E-Mail-Wechsel am 2.7.2012

Kommentare

Stephanie Odenwald, Vorstandsmitglied der Bildungsgewerkschaft GEW:

„Untersuchungen zu Folge, sind gerade in öffentlich geförderten Weiterbildungsmaßnahmen, wie Integrationskursen, die Arbeitsbedingungen immer schlechter. Es gibt circa 1500 Menschen die von einem Hungerlohn leben müssen und ich weiß von Kollegen, dass sie teilweise so wenig verdienen, dass zusätzlich eine Hartz IV-Aufstockung beantragt werden muss. Für die Beschäftigten der Weiterbildung ist diese Situation sehr zermürbend.“

Mirjam Hillebrand, Pressesprecherin der Agentur für Arbeit Chemnitz:

„Ich kenne in der Arbeitsagentur keine Fälle, in denen Fortbilder zu Arbeitslosen wurden, aber aus meinem privaten Bekanntenkreis weiß ich über die Problematik zwischen Dozenten und Bildungsträgern Bescheid. In meiner Position als Pressesprecherin der Arbeitsagentur kann ich wenig zu der Problematik zwischen den Weiterbildern und ihren Vorgesetzten sagen.“

Eva-Maria Simon, Wirtschaftsjournalistin, Mitglied bei den „Weitwinkel Reportern“:

„Es handelt sich hier um ein sehr interessantes Thema, welches unterrepräsentiert zu sein scheint. Persönlich finde ich das Thema höchst interessant, habe aber keine empirischen Untersuchungen gemacht, sodass ich konkret sagen könnte ob in diesem Thema etwas Greifbares steckt.“