2011: Top 7

Doping im Fußball

Doping existiert auch im Fußball. Anders als in anderen Sportarten wie dem Radsport oder der Leichtathletik erfährt diese Problematik jedoch kaum journalistische Aufmerksamkeit. Angesichts der hohen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Relevanz sowie der medialen Bedeutung des Fußballs ist eine vorbehaltlose Auseinandersetzung und Aufklärung jedoch notwendig. Durch ihre teilweise unreflektierte Berichterstattung verharmlosen manche Medien das Problem. Einzelfälle werden zwar thematisiert, eine systematische Beschäftigung mit den Hintergründen fehlt jedoch.

Sachverhalt & Richtigkeit

Hinweise auf verbreitetes Doping im Fußball gibt es seit mehreren Jahrzehnten. Spätestens seit Toni Schumachers Buch „Abpfiff“ aus dem Jahr 1987, in dem er detailliert von Dopingpraktiken in der Bundesliga (unter anderem Aufputschmittel) berichtet, muss jedem interessierten Zuschauer und erst Recht Journalisten klar sein, dass Doping im Fußball verbreitet ist. Immer wieder wird darauf verwiesen, dass Doping im Fußball nichts bringt, weil es ein taktisches Spiel ist. Das ist wissenschaftlich gesehen Unsinn. Auch im Fußball kommt es auf eine gute Athletik an, auf Schnelligkeit und Ausdauer.

Thomas Kistner schreibt in „Spritzensport Fußball“, dass Spieler laut einer dänischen Studie heute 15 Prozent der Spielzeit Vollgas geben – früher waren es sieben bis acht Prozent. Ingesamt legen Spieler mittlerweile zwölf Kilometer pro Spiel zurück, mehr als doppelt so viel wie früher. Für Doping-Experten ist es kein Geheimnis, dass Doping im Fußball viel bringt. Der Mainzer Sportwissenschaftler Perikles Simon sagte beispielsweise im ARD-Radiofeature, dass die Ausdauerleistungsgrenze mit dem Blutdopingmittel EPO um zehn bis 15 Prozent steigt. „Diese zehn Prozent Steigerung ist nichts weiter als ein Feldspieler mehr an Laufleistung. Da spielen jetzt auf einmal zwölf gegen elf und nicht mehr elf gegen elf.“ Schon die Helden von Bern sollen sich 1954 mit dem Aufputschmittel Pervitin gedopt haben – dafür gibt es mittlerweile zahlreiche Indizien.

Selbst Stars wie Franz Beckenbauer und Rudi Völler berichteten von Doping-Praktiken. Bayern-Arzt Müller-Wohlfahrt bezeichnete den Einsatz von Aufputschmitteln, wie ihn Toni Schumacher und weitere für die 80er Jahre beschrieben, als „fast harmlos im Vergleich zu dem, was heute genommen wird“. Zudem gibt es Beweise, dass in den Neunziger Jahren Vereine systematisch auch mit dem Blutdopingmittel EPO gedopt waren, darunter Juventus Turin und Olympique Marseille.

Auch der bekannte spanische Doping-Arzt Eufemiano Fuentes hat offenbar neben vielen Radsportlern auch zahlreiche Fußballvereine gedopt, darunter Real Madrid. Öffentlich gemacht wurde jedoch nur die Liste der Radfahrer. Thomas Kistner schreibt in seinem prämierten Text, Fuentes sage selbst, er habe Fußballstars betreut – „teils direkt, teils über die Klubärzte“ – und dass ihn Klubs wie der FC Barcelona umgarnt hätten. Auch bei der Freiburger Sportmedizin hat es zuletzt einen großen Doping-Skandal gegeben, in dessen Weiterungen zwar einige Radprofis überführt wurden, die Fußballer jedoch verschont blieben. Dabei sind unter anderem auch die Fußballprofis des SC Freiburg von den Doping-Ärzten der Radsportler betreut worden.

Fußballfunktionäre verweisen darauf, dass kaum Doping-Sünder bekannt werden. Doch erstens können moderne Dopingmittel überhaupt nicht nachgewiesen werden und zweitens werden Fußballer sehr selten kontrolliert. In der Saison 2009/2010 gab es nur 1.600 Wettkampfkontrollen verteilt auf insgesamt 13 Spielklassen; von den Profis bis zum Nachwuchs. Insgesamt spielen in diesen Klassen grob geschätzt etwa 5.000 Spieler, was bedeutet, dass die Spieler im Schnitt nur alle drei Jahre getestet werden. Kurz vor Wettkämpfen dopen außerdem ohnehin nur die besonders dummen oder dreisten Athleten. Viel wichtiger sind daher Trainingskontrollen. Hier sieht die Bilanz noch schlechter aus. Auf 1.200 getestete Spieler kommen 500 Kontrollen pro Jahr. Ein Großteil davon wird bei den Nationalspielern genommen, so dass ein normaler Fußballprofi so gut wie nie mit Kontrollen rechnen muss. Darüber hinaus wird ein Durchschnittsprofi so gut wie ausschließlich beim offiziellen Mannschaftstraining getestet. Da zahlreiche Dopingmittel nur wenige Stunden nachzuweisen sind, bleiben viele Schlupflöcher.

Relevanz
Doping im Fußball gibt es. Und es scheint weiter verbreitet, als der Öffentlichkeit bekannt ist. In Relation zur tagtäglichen (Jubel-)Berichterstattung über Fußball, wird das Thema so gut wie nie aufgegriffen. Der Deutsche Fußball Bund ist mit etwa 6,7 Millionen Mitgliedern der größte Sportverband der Welt, fast jeder Jugendliche will Fußballprofi werden. Wenn jedoch in höherklassigen Ligen, bei ambitionierten Jugendlichen und erst recht bei den Profis Doping ein großes Thema ist, dann sollte das auch in den Medien thematisiert werden.

Vernachlässigung
Hin und wieder wird das Thema in Texten erwähnt, meist beschränken sich die Beiträge jedoch auf Einzelfälle wie aktuell bei der Fraußenfußball-WM. Häufig wird das Thema nur angerissen oder in Interviews mit Verantwortlichen sogar ohne Gegenrede verharmlost. Einige Texte (zum Beispiel in der taz oder im Focus) nahmen sich des Themas zuletzt zur WM 2010 an. Tief gehende Recherchen gibt es aber so gut wie keine. In den vergangenen Jahren behandelten das Thema in Deutschland lediglich der Text von Thomas Kistner im SZ-Magazin (2007) und das ARD-Radiofeature von Lorenz Rollhäuser (2010) wirklich umfassend. Angesichts der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, politischen und insbesondere medialen Bedeutung des Fußballs ist das zu wenig.
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Quellen
Lorenz Rollhäuser: „Außer Kontrolle. Doping im Fußball“, Mai 2010, ARD-Radiofeature zum Doping im Fußball: http://web.ard.de/media/pdf/radio/radiofeature/doping.pdf

Thomas Kistner: „Spritzensport Fußball“, SZ-Magazin, Herbst 2007: http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/3406/1/1

Daniel Drepper: „Dopingkontrolle Nebensache“, Deutschlandfunk, 7. Dezember 2010: http://www.dradio.de/dlf/sendungen/sport/1338627/ und http://www.danieldrepper.de/doping-in-fusball-handball-und-eishockey/

Jens Weinreich, Sportjournalist, Ex-Sportchef Berliner Zeitung, Gespräch am 18. Mai 2010

Steffen Dobbert, Sportchef Zeit-Online, E-Mail am 19. Mai 2011

Lorenz Rollhäuser, Hörfunkautor ARD, E-Mail am 18. Mai 2011

Kommentare
Steffen Dobbert, Sportchef Zeit-Online:
„Doping im Fußball ist in den Medien sehr vernachlässigt. Weil das Thema brisant ist. Weil die Hauptakteure im Geschäft mit dem Fußball (Sponsoren, DFL, Politik) das Thema meiden, meiden auch Teile der Medien es. Es wird zudem vernachlässigt, weil es sehr umfangreiche Recherchen benötigen würde, um dem Thema gerecht zu werden. Doping im Fußball läuft vermutlich subtiler ab, als in Ausdauersportarten wie Radrennen oder Biathlon – ohne große, plakative Skandale, keine große Berichterstattung.“

Lorenz Rollhäuser, Hörfunkautor ARD:
„Die Mauer des Schweigens funktioniert ziemlich einwandfrei, und wo sie nicht funktioniert, wird derjenige sofort diskreditiert. Zudem wird sich jeder Sportreporter mit einem solchen Thema all seiner Kontakte berauben. Der wichtigste Punkt jedoch ist das mangelnde Aufklärungsinteresse bei den Zuschauern. Ob ein Spiel mit sauberen Methoden zustande kommt oder nicht, interessiert uns beim Fußball weitaus weniger als bei Sportarten, wo Kraft und Ausdauer fast allein entscheidend sind. Wenn wir die Wahl haben zwischen einem Spiel, bei dem sich die Akteure wie in den 70er Jahren zwischendrin ausruhen müssen und eine halbe Stunde Standfußball kicken oder einem von der ersten bis zur letzten Minute schnellen, packenden Spiel, dann wird sich die großer Mehrheit der Zuschauer für Letzteres entscheiden.“