2011: Top 3

Militärforschung an deutschen Hochschulen

Das Bundesverteidigungsministerium finanziert Forschungsprojekte im Umfang von rund einer Milliarde Euro im Jahr. Bundesweit haben sich in den vergangenen zehn Jahren 48 Hochschulen an militärischen Studien und Entwicklungen beteiligt, vor allem in den Bereichen Technik und Medizin. In mehreren Städten protestieren meist studentische Initiativen dagegen, sie finden jedoch keine breite Aufmerksamkeit. Einige Universitäten haben Zivilklauseln in ihre Statuten aufgenommen, die jegliche militärische Nutzung ausschließen. Kommt es zu Konflikten, wie jüngst in Bremen, werden Einzelfälle skandalisiert. Eine breite Auseinandersetzung auf überregionaler Ebene findet jedoch nicht statt.

Sachverhalt & Richtigkeit
An mehreren deutschen Universitäten werden Forschungen betrieben, die mit militärischen Projekten zusammenhängen. Dabei stehen nicht immer Waffen im Mittelpunkt, sondern auch Technologien, die im zivilen Rahmen zum Einsatz kommen. Diese Dual-Use-Problematik verschleiert viele Rüstungsprojekte. Ein Beispiel ist die Universität München: Dort wird an ferngesteuerten Roboterfahrzeugen geforscht. Dass diese auch im Krieg zum Einsatz kommen können, wird allerdings öffentlich nicht thematisiert. Daraus ergibt sich ein Mangel an Transparenz, was Studentengruppen kritisieren. So haben sich an mehreren Unis Initiativen gegründet, die eine Zivilklausel fordern. Eine solche Klausel soll in die Statuten der Uni aufgenommen werden und verhindern, dass in irgendeiner Form an Militärtechnologien geforscht wird. Solche Klauseln gibt es zum Beispiel in Dortmund, Tübingen und an der TU Berlin – trotzdem wird hier mit Geld des Verteidigungsministerium wehrtechnisch oder wehrmedizinisch geforscht. In diesem Zusammenhang kam es bereits zu größeren Konflikten, etwa an der Uni Bremen. In den vergangenen zehn Jahren hat das Bundesverteidigungsministerium 48 verschiedene deutsche Hochschulen mit insgesamt knapp 50 Millionen Euro Forschungsgeld gefördert. Hinzu kommen verschiedene außeruniversitäre Einrichtungen, die aber eng an Unis angebunden sind. So haben zum Beispiel allein die Institute der Fraunhofer Gesellschaft in Baden-Württemberg und NRW von 2000 bis 2007 etwa 240 Millionen Euro Fördergeld vom Verteidigungsministerium bekommen. Diese Empfänger sind so genannte An-Institute, die eng mit Universitäten kooperieren. Insgesamt beträgt der Forschungsetat des Verteidigungsministeriums im Jahr 2011 gut 900 Millionen Euro, im Jahr 2010 lag er bei mehr als 1,1 Milliarden Euro.

Relevanz
Da die Technologien im Extremfall dazu genutzt werden können, Menschen zu töten, ist Transparenz dringend notwendig. Der Bund hat einschlägige Forschungen an fast 50 deutschen Universitäten und zahlreichen Forschungsinstituten in unterschiedlicher Höhe gefördert. Eine Liste mit Finanzierungsvolumen und Namen der Unis und Institute liegt nach mehreren Anfragen der Linken im Bundestag vor. Auch private Unternehmen finanzieren Militärforschungen, mitunter sogar ganze Lehrstühle. Da Militärforschung in direktem Zusammenhang mit Kampfhandlungen steht, handelt es sich hier um ein besonders pikantes Beispiel privat finanzierter Lehrstühle und Forschungsprojekte an öffentlichen Hochschulen.

Vernachlässigung
Über das Thema ist berichtet worden, allerdings hauptsächlich in der linken Presse und der taz. Dazu kommen vereinzelte Artikel in der bürgerlichen Presse: So berichtete die FAZ Anfang des Jahres in einem längeren Artikel über die Problematik, ebenso die Welt. In der lokalen Presse in Bremen finden sich Berichte über den genannten Streit zwischen Studierenden und Uni-Leitung.
________________________________________________________

Quellen
Dietrich Schulze, Mitgründer der „Initiative gegen Militärforschung an Universitäten“, Gespräch am 25. Mai 2011

Daniel Friedrich, Mitarbeiter der Linken-Bundestagsabgeordneten Nicole Gohlke, Gespräch am 25. Mai 2011

Ingo Arzt, Redakteur der taz für Wirtschaft und Umwelt, Mail am 17. Juni 2011

Eckhard Stengel, freier Journalist, Gespräch am 17. Juni 2011

Eckhard Stengel: „Uni-Ehre für das Militär? Auszeichnung für Raumfahrtfirma spaltet Bremen“, Der Tagesspiegel, 28. August 2009

Ingo Arzt: „Schizophrene Forschungsstätte – Das neu gegründete Institut KIT soll internationale
Spitzenforschung leisten. Der eine Teil soll künftig militärisch forschen dürfen – der andere jedoch nicht“, taz, 8. Oktober 2009

Oliver Jungen: „Wenn sie dir morgen befehlen…“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12. Januar 2011

Kein Autor: „Mit Zivilklauseln gegen die „Kriegsforschung““, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1. Februar 2011

Deutscher Bundestag: Drucksache 17/5832 vom 10. Juni 2011, Antwort auf die Kleine Anfrage der Linken

Deutscher Bundestag: Drucksache 16/10156 vom 21. August 2008, Antwort auf die Kleine Anfrage der Linken

Sarah Nagel: „Hochschulen forschen für den Krieg“, 17. April 2009, von der Informationsstelle Militarisierung e.V.

Kommentare
Dietrich Schulze, Mitgründer der „Initiative gegen Militärforschung an Universitäten“:
„Ich halte das Thema in den Medien für eindeutig unterrepräsentiert. Wegen der wachsenden Zivilklausel-Bewegung habe ich aber die Hoffnung, dass sich das ändert.“

Ingo Arzt, Redakteur der taz für Wirtschaft und Umwelt:
„Prinzipiell würde ich sagen: Ja, das Thema ist vernachlässigt. Wahrscheinlich liegt es an der Komplexität vieler Forschungen, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden können. Gleiches gilt übrigens meiner Meinung nach für Rüstungsexporte der deutschen Wirtschaft.“

Eckhard Stengel, freier Journalist aus Bremen, Mitglied Presserat:
„In Bremen war das zuletzt recht häufig ein Thema, auch in liberaleren Zeitungen wie der taz, der FR oder dem Tagesspiegel. Spontan finde ich das Thema jetzt nicht so vernachlässigt. Vielleicht liegt das aber auch daran, dass ich an dem Thema gearbeitet habe und es daher häufiger wahrnehme.“