2011: Top 2

Flächendeckende Schadstoffe an Schulen in NRW

Viele Schulgebäude in Nordrhein-Westfalen sind schadstoffbelastet und gefährden die Gesundheit von Lehrern und Schülern. Zuständige Behörden, Städte und Länder sowie die Politik informieren in der Regel nicht transparent über die Altlasten. Medien berichten zwar über Einzelfälle, das gesamte Ausmaß des Sachverhalts bleibt jedoch ebenso wie das flächendeckende Problem unerkannt.

Sachverhalt & Richtigkeit

Einzelne Berichte über schadstoffbelastete Gebäude sind bekannt, doch handelt es sich hier um Einzelfälle oder um ein flächendeckendes Problem? Um das herauszufinden, hat die Initiative Nachrichtenaufklärung alle Bezirksregierungen in Nordrhein-Westfalen (NRW) nach Schadstoffbe-funden in Schulgebäuden befragt. Das Ergebnis: In allen NRW-Bezirksregierungen, nämlich Arnsberg, Detmold, Düsseldorf, Köln und Münster, geben die Zuständigen an, toxische Stoffe in Schulen gefunden zu haben. Alle Schulträger nehmen Sanierungen vor. Dabei handelt es sich nicht nur um Altlasten: Auch an neuen Schulen können Schadstoffe entstehen.

Die Problematik von Schadstoffen an Schulen ist dem Städtetag NRW bekannt, wird aber in den Gremien nicht diskutiert. Auch im Landtag wird die Schadstoffbelastung an Schulen nicht thematisiert, da laut Schulgesetz Paragraph 78 und 79 die Gemeinden und Kreise Träger der Schulen und für den baulichen Zustand verantwortlich sind.

Mehr Transparenz könnten statistische Übersichten geben. Die zuständigen Schulträger beschäftigen sich zwar mit der Aufdeckung sämtlicher Schadstoffe an allen Schulen, die Frage ist nur, in welcher Form dies dokumentiert wird: Den Schulämtern liegt keine Sammlung von gesicherten Daten über Schadstoffbelastungen an Schulen vor. Lediglich vereinzelte Umweltämter in NRW haben über das Thema einen besseren Überblick.

Bis auf eine Ausnahme informieren die Städte die Öffentlichkeit nicht über den Status Quo: Von den fünf einwohnerreichsten Städten in NRW – Köln, Dortmund, Düsseldorf, Essen, Duisburg – hat nur Köln mehrere Schadstoffberichte veröffentlicht. Ein Bericht listet alle auf Innenraumschadstoffe getesteten Schulen der Stadt auf.
Obwohl die Beschäftigten des Umweltamts der Landeshauptstadt Düsseldorf den Kölner Schadstoffbericht kennen, nehmen sie sich kein Beispiel daran. Generell halten die Städte Schadstoffbefunde und Sanierungsvorhaben in einzelnen Gebäudeakten nur in internen Dokumenten fest. Sie dienen der Arbeitshilfe und sind nicht zur Veröffentlichung bestimmt. Daran soll sich in nächster Zeit auch nichts ändern.

Die Stadt Köln hat insgesamt drei Schadstoffberichte veröffentlicht, die in gedruckter Form sowie für einen gewissen Zeitraum online einsehbar waren. Die Schadstoffberichte klären die Öffentlichkeit allerdings nur teilweise auf. Die Informationen werden im Detail zwar publiziert, doch für eine aufklärende Gesamtschau fehlen kritische Daten. Die Berichte zeigen beispielsweise keine Gesamtgrafik der mit Schadstoff belasteten Gebäude. Auffallend ist zudem, dass alle drei Veröffentlichun-gen keine Gesamtauswertung der Asbestbelastung haben, obwohl die Zahlen zu jedem Gebäude vorliegen. Warum das Gesundheitsamt die Angaben nicht visualisiert, könnte der von der INA errechnete Gesamtanteil erklären: Insgesamt 58 Prozent der geprüften Gebäude weisen einen Asbestbefund auf.

Die Sanierung der Gebäude, die von klassischen Schadstoffen betroffen waren, ist laut Gesundheitsamt der Stadt Köln abgeschlossen. Wie der Stand der Sanierungen heute aussieht, ist nicht bekannt, da die Stadt keine weiteren Schadstoffberichte veröffentlicht hat. Den drei Schadstoffberichten ist jedoch zu entnehmen, dass sich die Erfüllung des Ratsauftrages schwieriger gestaltete als angenommen. Wegen der Verschlechterung der städtischen Haushaltslage musste der zeitliche Ablauf erheblich gestreckt werden. Das Gesundheitsamt Köln untersucht derzeit, ob Schadstoffe auch in anderen Bereichen, beispielsweise im Trinkwasser vorliegen. Auch die Stadt Bonn hat einen Schadstoffbericht veröffentlicht, der jedoch vergleichsweise wenig detailliert informiert.

Die Palette der in Frage kommenden Emissionsquellen für Schadstoffe ist groß. Noch heute lassen sich diese in Fußböden, Wänden und Decken finden. Chemische und toxische Substanzen gasen jahrelang aus verschiedensten Materialien aus und setzten sich in der Raumluft frei. Neben der bekannten Asbestbelastung in der Luft sind es andere gängige Gefahrenstoffe wie Polychlorierte Biphenyle (PCB), Formaldehyd, Holzschutzmittel wie Pentachlorphenol (PCP), Dioxine/Furane, Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK), Polychlorierte Naphthaline (PCN), Volatile Organic Compounds (VOC) und Schimmelpilze. Bundesweit gibt es jedoch keine einheitlichen Rege-lungen, die besagen, wie Schadstoffe zu definieren sind. Für den Bau gesetzlich verboten sind PCB (1978), Asbest (1990) und PCP (1989).

Die Aufnahme der Bauschadstoffe durch den Menschen kann sowohl oral, als auch über die Haut und die Atemluft erfolgen und Vergiftungen der Haut, der Leber und des Nerven- und Immunsystem verursachen. Typische Symptome sind unter anderem ein erhöhter Sauerstoffbedarf, Schwindel, Übelkeit, Erbrechen, Augenbrennen, Kopfschmerzen, Schlaf- und Konzentrationsstörungen, Hautausschlag und Haarausfall. Die Schäden können sogar zu Lungenkrebs führen: Die eben genannten Stoffe wurden bis auf Schimmel als krebserregende Arbeitsstoffe eingestuft.

Relevanz
Wenn schadstoffbelastete Gebäude in NRW, dem am dichtesten besiedelten Bundesland Deutschlands, flächendeckend bekannt sind, darf angenommen werden, dass in ganz Deutschland Schulen schadstoffbelastet sind. Allerdings wurde in NRW wie in anderen Bundesländern nur in Einzelfällen über die Problematik berichtet.

Aus den Kölner Schadstoffberichten war ersichtlich, dass noch immer viele Lehrer und Schüler täglich toxischer Luft ausgesetzt sind. Andere Städte haben solche Berichte nicht in gleicher Ausführlichkeit veröffentlicht. Aufgrund der INA-Umfrage ist jedoch anzunehmen, dass dort eine ähnliche Lage herrscht. Eine kommunenübergreifende, öffentlich verfügbare Übersicht gibt es weder bei der Länderregierung noch beim Städterat. Grund: Die gegenwärtige gesetzliche Regelung überträgt die Verantwortung auf die Kommunen, die das Problem selbständig lösen müssen.

Vernachlässigung

Das Thema Schadstoffe an Schulen ist durch zahlreiche Einzelfallschilderungen bekannt. Eine flächenübergreifende Übersicht ist bislang nicht bekannt. Aufgrund der rechtlichen Zuständigkeitsregelung wird das Thema nur kommunal, aber nicht auf Landesebene behandelt. Auch ein dokumentierter Informationsaustausch der Kommunen im Rahmen des Städtebundes findet unseren Recherchen zufolge nicht statt.

Durch vereinzelte Sensationsberichte in der „Welt“, der „Zeit“, im „Spiegel“ und im ZDF, wird vor allem auf Regional- und Lokalebene berichtet, beispielsweise in der Rheinischen Post, der Stuttgarter Zeitung, der Saarbrücker Zeitung, der Frankfurter Rundschau und dem Hamburger Abendblatt darüber berichtet. Eine bundesweite, vom Einzelfall losgelöste Berichterstattung findet jedoch nicht statt, obwohl dies möglich und nötig wäre, um die Tragweite des Problems zu schildern.

Die Schadstoffberichte der Stadt Köln wurden nur im Kölner Stadtanzeiger 2001 und 2003 aufgegriffen. Die umfangreichen Asbestbefunde wurden nicht thematisiert. Nur in einem Artikel wurde erwähnt, dass der Schadstoffbericht darüber keine Auskunft gibt. Die Presse zitierte nur einzelne Auswertungen des Kölner Gesundheitsamts, obwohl diese dazu veranlassen sollten, nach einer Gesamtauswertung zu fragen.

Da es sich um ein bundesweites Problem handelt, könnte Köln auch für andere Städte Vorbild sein. Diese erfahren jedoch aus ihren lokalen oder aus den überregionalen Medien nichts von den Veröffentlichungen der Schadstoff-Berichte.

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Quellen
Gesundheitsamt Köln (Umwelt- und Seuchenhygiene), Schadstoffbericht vom 31. Oktober 2000

Gesundheitsamt Köln (Umwelt- und Seuchenhygiene), Ergebnisbericht vom 31. Mai 2002

Gesundheitsamt Köln (Umwelt- und Seuchenhygiene), Ergebnisbericht vom 31. Oktober 2003

Alle Kommunen in NRW, Gespräche zu den Schadstoffen in Schulen, Ende Mai bis Anfang Juli 2010 (siehe Rechercheprotokoll)

Christian Esser: „Gift im Klassenzimmer – Schulen machen krank“, ZDF Frontal21 vom 4. September 2007: http://www.welt.de/News/article4456173/Asbest-Alarm-an-Hamburger-Schulen.html

Ohne Autor: „Asbest-Alarm an Hamburger Schulen“, Welt-Online vom 3. September 2009: http://www.welt.de/News/article4456173/Asbest-Alarm-an-Hamburger-Schulen.html

Kommentare
Andreas Klepke, NRW CDU Landtagsfraktion Umwelt, Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz:
„Im Ausschuss wird über Schadstoffe gesprochen, jedoch noch nie im Zusammenhang mit Schulen. Dies ist eine Aufgabe im kommunalen Bereich und damit der kommunalen Gremien. Es ist kein Landes- oder Bundesthema.“

Angela Faber, Städtetag NRW, Dezernat Bildung:
„Ich könnte mir vorstellen, dass Schadstoffe in Schulen in der ein oder anderen Stadt ein Problem sind, ich habe aber bisher keinerlei Rückmeldung von unseren Mitgliedern erhalten. Das Thema ist bekannt, wird aber zurzeit auf der Ebene des Städtetages nicht diskutiert.“