2009: Top 7

Patente auf menschliche Gene und Gensequenzen

Entschlüsselte menschliche Gene und Gensequenzen können patentiert werden. Das betrifft zum Beispiel Gene, die zu Bluthochdruck oder Brustkrebs beitragen. Die Monopolstellung der Patentinhaber wie Forschungseinrichtungen und Unternehmen hindert konkurrenzfähige Firmen an der Entwicklung alternativer Medikamente und macht unabhängige Forschung teuer. Auch für Patienten können Nachteile entstehen, weil lizenzfreie Behandlungswege von den Krankenkassen aus Kostengründen bevorzugt werden. Über Chancen, Risiken und Konsequenzen der Gen-Patentierung wird nicht themenübergreifend berichtet.

Sachverhalt & Richtigkeit

Seit 1981 werden Patente auf menschliche Gene und Gensequenzen angemeldet. Das Europäische Patentamt schätzt die Zahl der Anmeldungen jährlich auf über 100. Die Initiative „Kein Patent auf Leben“ hat im Jahr 2008 insgesamt 208 Anmeldungen gezählt. Die Patente schaffen Forschungsanreize und machen es den Besitzern möglich, Lizenzen zu vergeben. Gleichzeitig führt das aufgrund der zusätzlichen Kosten für Forscher, Ärzte beziehungsweise Krankenkassen zur Bevorzugung lizenzfreier Forschungswege und Therapien. Ein zusätzliches Risiko ist, dass Pharmaunternehmen ihre Konkurrenten mit Hilfe der Patenrechte auszustechen versuchen. Konkurrenzfähigen Wettbewerbern können die zur Forschung benötigten Lizenzen schlicht verwehrt werden, um den eigenen Wettbewerbsvorteil aufrechtzuerhalten.

Die Patentierung menschlicher Gene und Gensequenzen hat bereits in vielen Fällen dazu geführt, dass Forschungsprojekte aufgrund von Lizenzierungen eingestellt wurden. Laut der Neuen Zürcher Zeitung gab bei einer Befragung jedes Vierte von 122 Labors an, wegen eines Patents oder einer Lizenz die Durchführung eines genetischen Tests aufgegeben zu haben. 53 Prozent gaben zudem an, dass sie aus dem gleichen Grund entschieden hätten, einen neuen Test nicht zu entwickeln. Die Mehrheit der Befragten war der Ansicht, dass Gen-Patente in einem schlechteren Zugang zu genetischen Tests für den Patienten und in höheren Kosten für die Patienten resultieren.

Besonders eindringlich ist der Fall des „Brustkrebs-Gens“. Die US-Firma Myriad hatte sich mehrere Patente auf zwei Brustkrebs-Gene gesichert. Nach Aussage von Christoph Then, Gründer der Initiative „Kein Patent auf Leben“, verfolgte Myriad das Ziel, eine Monopolstellung mit ihrem genetischen Brustkrebs-Test durchzusetzen. Nur einige wenige amerikanische Labors erhielten von Myriad die Lizenz, um einen solchen Test weiterhin durchführen zu dürfen. Menschliche Schicksale würden so an die wirtschaftlichen Interessen und Forschungsstrategien einzelner Firmen geknüpft, schlussfolgert Then.

Relevanz

Durch Patente auf menschliche Gene und Gensequenzen wird die medizinische Forschung verlangsamt oder behindert. Das betrifft alle potenziellen Patienten in Deutschland und weltweit.

Vernachlässigung

Es gibt zahlreiche Artikel, die sich mit Genforschung beschäftigen. Äußerst selten werden in diesem Zusammenhang jedoch Patente auf menschliche Gene und Gensequenzen erwähnt – und dann lediglich als Randaspekt. Ausnahmen bilden hierbei Themen der embryonalen Stammzellforschung sowie Artikel rund um das Brustkrebs-Gen. Und auch in diesen Fällen bleiben die Einordnung in einen größeren Zusammenhang, die Details der Patentierung sowie die Konsequenzen unerwähnt. Die Berichterstattung schafft bis dato keine Transparenz. Stephanie Krüger vom Deutschen Patent- und Markenamt führt das auch auf Formalitäten zurück, das Patengesetz sei sehr schwierig und für Laien nicht transparent.

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Quellen

Spiegel online, ohne Autor: „Wird der Mensch zur Rohstoffquelle? Die Zahl der Patente auf den Menschen steigt rasch an“, 9.5.2001

3sat, ohne Autor: „Wem gehören die Gene? Streit um Patentrechte“, 19.12.2001

Greenpeace online: „Streit um Patente auf Brustkrebsgene“, 18.1.2005

Christina Berndt: „Patent auf Leben. Europäische Behörde trifft Entscheidung zu Embryonen“, 25.6.2008, Süddeutsche Zeitung

Christina Berndt: „Die Entdeckung der Moral. Bei Stammzellen pochen Patentämter auf die guten Sitten – lange waren sie ihnen egal“, 30.8.2008, Süddeutsche Zeitung

Lena Stallmach: „Umstrittene Auswirkung von Gen-Patenten auf die Forschung“, 19.11.2008, Neue Zürcher Zeitung

Rainer Kurlemann: „Gentechniker lesen im Buch des Lebens“, 20.11.2008, Rheinische Post

„Kein Patent auf Leben“, Initiative unter anderem gegen Patentierung von Gensequenzen, Stammzellen und menschlichen Gewebes, www.keinpatent.de

Ruth Tippe, Autorin beim Gen-ethischen Netzwerk, Gespräch am 25.6.2009

Thomas Friede, Patentanwalt Kanzlei Bardehle Pagenberg, E-Mail vom 3.11.2009

Rainer Osterwalder, Pressesprecher Europäisches Patentamt, Gespräch am 3.11.2009

Christoph Then, Gründer der Initiative „Kein Paten auf Leben“, Gespräch am 4.11.2009

Kommentare

Christoph Then, Gründer der Initiative „Kein Patent auf Leben“, arbeitete für die Grünen und für Greenpeace:

„Das Thema Patente auf menschliche Gene ist sehr aktuell. Derzeit wird über das Thema in den Medien allerdings kaum berichtet, im Vordergrund stehen eher Themen wie Patente auf Saatgut und Nutztiere. Dadurch sind in der Öffentlichkeit – aber auch unter Wissenschaftlern – große Wissenslücken entstanden. Wir haben eigentlich keine Ahnung, was den aktuellen Stand der Dinge betrifft.“

Thomas Friede, Patentanwalt Kanzlei Bardehle Pagenberg:

„Einzelfälle werden in den Medien besprochen. Dennoch besteht bei den Leuten oftmals eine falsche Vorstellung hinsichtlich der Patentierungsmöglichkeiten und der Rechte des Patentinhabers aus dem erteilten Patent sowie dem wirtschaftlichen Sinn und Nutzen von Patenten.“

Rainer Kurlemann, Chefredakteur Rheinische Post Online:

„Derzeit ist das Thema nicht in den Medien, da es keine aktuellen Fälle gibt, wie damals das Brustkrebs-Gen. Außerdem ist das Gesetz sehr komplex. Das Thema ist aber hochrelevant, ein schlafender Löwe sozusagen. Wir laufen schweigend auf ein Dilemma zu, denn irgendwann will jemand Geld machen mit den Patenten auf Teile des menschlichen Genoms. Auf diesen Fall ist die deutsche Patentgesetzgebung nicht vorbereitet. Und dann wird es ein riesiges Medienecho geben.“