2009: Top 5

Lücken der Finanzaufsicht bei Kirchen

Kirchliche Einrichtungen öffentlichen Rechts – beispielsweise katholische Klöster ohne angeschlossenen Betrieb – sind steuerbefreit und werden deshalb von den Finanzbehörden nicht kontrolliert. Sie gelten per se als vertrauenswürdig. Das bietet die Möglichkeit, durch überhöhte Spendenquittungen an Steuerhinterziehungen mitzuwirken. Über diese Lücken der Finanzaufsicht und die potentiellen Steuerschlupflöcher wird in den Medien kaum berichtet. Deshalb wird in der Öffentlichkeit nicht darüber diskutiert, ob das Vertrauen in die kirchlichen Einrichtungen berechtigt ist.

Sachverhalt & Richtigkeit:

Kirchliche Einrichtungen öffentlichen Rechts sind steuerbefreit, sofern nicht ein Betrieb gewerblicher Art –wie etwa eine Bäckerei – angeschlossen ist. Das heißt: Sie werden von den Finanzbehörden steuerrechtlich nicht geprüft. Laut allen kontaktierten Experten wird bei diesen Einrichtungen von staatlicher Seite davon ausgegangen, dass dort mit den Geldern, die zu großen Teilen aus Spenden bestehen, ordnungsgemäß und verantwortungsvoll umgegangen wird. Gleiches gilt für alle anderen Einrichtungen öffentlichen Rechts, beispielsweise kommunale Verwaltungen, die ebenfalls nicht von den Finanzbehörden geprüft werden. So ist es möglich, dass etwa in Klöstern falsche Spendenquittungen ausgestellt werden.

Um Spenden entgegen nehmen zu können, muss der Spendenempfänger als gemeinnützige Einrichtung anerkannt sein. Spenden an ein Kloster können wie Spenden an andere gemeinnützige Einrichtungen von der Einkommenssteuer des Spenders abgesetzt werden. In manchen Bundesländern sind kirchliche Einrichtungen jedoch auch als Verein organisiert. Diese Einrichtungen unterliegen wie alle eingetragenen Vereine einer turnusmäßigen Finanzprüfung, die etwa alle drei Jahre durchgeführt wird.

Relevanz:

In Deutschland werden keine separaten, amtlich erhobenen Statistiken zum Spendenaufkommen geführt. Aber es gibt Zahlen über das Spendenaufkommen, die sich aus der Lohn- und Einkommenssteuerstatistik ergeben. Aus dieser Statistik wurde von staatlicher Seite ermittelt, dass im Jahr 2001 mit 1,9 Milliarden Euro der mit Abstand größte Teil für kirchliche, religiöse und gemeinnützige Zwecke gespendet wurde. Durch die fehlende Aufsicht ist an dieser Stelle das Missbrauchspotential besonders groß. An zweiter Stelle stehen nach dieser Statistik die Spenden für wissenschaftliche, mildtätige und kulturelle Zwecke mit 673 Millionen Euro. Insgesamt lag das Spendenvolumen im Jahr 2001 bei 2,9 Milliarden Euro.

Die gesellschaftliche Relevanz des Themas liegt darin, dass kirchliche Einrichtungen staatlich unterstützt werden und darüber hinaus hohe Spendeneinnahmen haben. Trotzdem werden diese Einrichtungen, sofern sie Körperschaften öffentlichen Rechts sind, nicht von den Finanzbehörden geprüft. Dabei stellt sich laut einiger Experten durchaus die Frage, ob dieses von staatlicher Seite erbrachte Vertrauen eine Lücke im System darstellt. Denn dadurch, dass viele kirchliche Einrichtungen von den Finanzbehörden nicht geprüft werden, bieten sie möglicherweise auch ein Schlupfloch für Steuerhinterziehung, zum Beispiel durch falsche Spendenquittungen.

Vernachlässigung:

Die Datenbankrecherche und das Telefonat mit einem für Kirchenthemen zuständigen Redakteur hat ergeben, dass dieses Thema bisher gar nicht bzw. kaum in den Medien behandelt wurde. Eine öffentliche Diskussion, ob diese Praxis der fehlenden Finanzaufsicht bei kirchlichen Einrichtungen angemessen ist, gab es bisher nicht.

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Quellen:

Erich Neumann, Geschäftsführender Gesellschafter im Firmenverbund der cmp cooperation mittelständischer partner, zudem Mitglied im Deutschen Presse Verband e.V. (DPV) und bei Business Crime Control e.V. (BCC), Mail-Kontakt und Gespräche am 26.11.2008, 24.4.2009 und 25.4.2009

Prof. Dr. Dirk Ehlers, Professor für Kirchenrecht an der Universität Münster, Gespräch am 7.5.2009

Prof. Dr. Dieter Birk, Universität Münster, Professor für Öffentliches Recht unter besonderer Berücksichtigung des Finanz- und Steuerrechts, Telefonat am 7.5.2009

Viola Wallrabenstein, Statistisches Bundesamt, Gespräch und E-Mail-Kontakt am 7.5.2009

Prof. Dr. Rainer Hüttemann, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Steuerrecht, Universität Bonn, Telefonat am 18.5.2009

Horst Ebersberg, Steuerrechtler, von 1978 bis 2004 im Finanzministerium NRW, zuletzt als Referatsleiter für Gemeinnützigkeitsrecht, seit 2004 pensioniert, Gespräch am 18.5.2009

Cajetan Eder, Pressereferent des Bayerischen Staatsministeriums für Finanzen, Gespräch am 10.6.2009

Frau Dr. Loeckx, Pressereferentin Finanzministerium NRW, Gespräch am 10.6.2009

Robert Menschik, Redakteur bei der Main Post in Würzburg, der sich viel mit Kirchenthemen beschäftigt, Gespräch am 15.6.2009

Kommentare:

Prof. Dr. Rainer Hüttemann, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Steuerrecht der Universität Bonn:

„Die Verwendung der Spenden muss zwar auch in einer kirchlichen Einrichtung dokumentiert werden, aber man kann trotzdem von einer Lücke im System sprechen: Dadurch, dass kirchliche Einrichtungen öffentlichen Rechts steuerbefreit sind, kann man von einem steuerrechtlichen Prüfungsdefizit bei diesen Einrichtungen sprechen.“

Horst Ebersberg, Steuerrechtler:

„Auch bei anderen Einrichtungen öffentlichen Rechts vertraut man in der Praxis darauf, dass die Verwendung der Spenden rechtmäßig erfolgt, weil ansonsten der Staat und damit die Steuerzahler viele weitere Steuerprüfungen bezahlen müssten. Nur bei konkreten Hinweisen auf einen möglichen Steuerbetrug wird dem nachgegangen (…). Im Einzelfall mag es möglich sein, dass auch in kirchlichen Einrichtungen falsche Spendenquittungen ausgestellt werden, aber in der Regel ist davon auszugehen, dass dort mit den Spenden rechtmäßig umgegangen wird.“

Robert Menschik, Redakteur bei der Main Post:

„Das Thema Kirchensteuer und die Verwendung der Einnahmen durch die Kirchensteuer ist oft ein Thema in den Medien. Aber die steuerrechtliche Überprüfung kirchlicher Einrichtungen wird als Thema sehr von den Medien vernachlässigt. Dabei wäre dieser Sachverhalt sehr interessant für die Öffentlichkeit, egal welchen Schluss man aus der Praxis zieht, dass kirchliche Einrichtungen öffentlichen Rechts von den Finanzbehörden nicht geprüft werden.“

Update am 12.2.2010