2008: Top 6

Gefahren durch Uran-Munition in Kriegsgebieten

In den Kriegen im Irak, auf dem Balkan und in Afghanistan wurden mehrere tausend Tonnen Uran-Munition eingesetzt. Missbildungen bei Kindern, Leukämie und andere schwere Krankheiten gelten als mögliche Langzeitfolgen. Eine Veröffentlichung der deutschen Bundesregierung, an der auch renommierte Journalisten mitwirkten, erklärte die Munition jedoch für ungefährlich und bremste damit die Debatte weitgehend aus. Obwohl die Diskussion etwa auf Ebene der UNO unvermindert weitergeht, ist sie in den deutschen Medien kein Thema mehr.

Sachverhalt & Richtigkeit

Uran-Munition, deplet uranium (DU), wird aus abgebrannten Brennelementen von Atomkraftwerken gewonnen. Neben Radioaktivität kann die Munition Spuren von Plutonium-239 enthalten. Wenn das Geschoss verbrennt, entstehen radioaktive Schwebeteilchen und Staubpartikel, die eingeatmet werden können. Sie gelangen über die Lunge bis in den Blutkreislauf.

In den Kampfhandlungen der USA und der Nato wurden bisher mehrere tausend Tonnen Uran-Munition eingesetzt: im Ersten Golfkrieg, auf dem Balkan sowie 1995 und 1999 in Afghanistan. Allein im Irakkrieg wurden seit 2003 laut Pentagon 2.200 Tonnen eingesetzt.

Die DU-Munition ist für das Militär eine hochwirksame Waffe, da sie Hauswände einfach durchbrechen kann. Beim Einsatz der DU-Munition auf „harte Ziele“ wie Panzer entzündet sich das Uran.

In allen Kriegsgebieten wurde nach den Kampfhandlungen eine vermehrte Zahl von Missbildungen bei Kindern, von Leukämie und anderen Krankheiten festgestellt. Auch die Kinder der Kriegsveteranen aus den USA sind drei Mal so häufig missgebildet wie andere Kinder in den USA.

Anfang 2001 diskutierten die Medien intensiv über die Langzeitfolgen der Uran-Munition, in den weltweiten Kriegsgebieten. Nationale wie internationale Medien debattierten mehrere Wochen ausführlich, inwieweit ein Zusammenhang zwischen den radioaktiven Geschossen und dem vermehrten Auftreten von Krankheits- und Todesfällen beim Militär und der Bevölkerung in Kriegsgebieten bestehe.

Als Reaktion auf die kritischen Medienberichte im Jahr 2001 berief das deutsche Verteidigungsministerium im gleichen Jahr einen Arbeitstab unter der Leitung des damaligen ZEIT-Chefredakteurs Theo Sommer ein. In ihm saß ein weiterer Journalist: Nikolas Busse von der FAZ. Daneben arbeiteten Militärs und ein Wissenschaftler der Deutschen Gesellschaft für auswärtige Politik in der Kommission. Sie gaben Entwarnung.

In der ZEIT wurde anschließend die angebliche Panikmache der Journalisten zum Thema Uran-Munition stark kritisiert. Obwohl die Munition damit offiziell als ungefährlich galt, verfasste die Deutsche Bundeswehr eine interne Weisung, in der vor der Gefahr der DU-Munition gewarnt und auf Schutzmaßnahmen hingewiesen wurde.

2004 bestätigte ein Gericht einem britischen Kriegsveteran erstmalig, dass seine Krankheiten und die Missbildungen seiner Tochter auf das Uran zurückzuführen sind.

Der deutsche Epidemologe Prof. Dr. Siegwart-Horst Günther hat 2003 Kinder in Basra auf Strahlenschäden untersucht und kommt zu dem Ergebnis, dass sie zu gehäuften Leukämie- und Missbildungsfällen in der Bevölkerung führt.

Relevanz

Die Frage, ob und wie gefährlich Uran-Munition ist, ist ein völkerrechtlich relevantes Problem. Da DU-Munition bisher nicht zu den geächteten Waffen gehört, muss sich kein Land für die gesundheitlichen Schäden der Menschen, die Beseitigung des Kriegsmaterials und die Umweltschäden verantworten.

Es gibt also ein Interesse der Uran-Munition verwendenden Staaten, eine öffentliche Debatte über das Thema klein zu halten beziehungsweise gezielt zu verbreiten, die Waffen hätten keine negativen Langzeitfolgen.

Nachdem die Nutzung der Uran-Munition anfänglich von den USA und der NATO bestritten wurde, wird sie nun zugegeben, die Gefahr der Waffe jedoch bestritten.

Eine kürzlich beschlossene UN-Resolution mehrerer Mitglieder zur Beurteilung der Gefährlichkeit der DU-Munition und die Forderung einer internationalen Untersuchung verdeutlicht die Brisanz des Themas, die offensichtlich auch den DU verwendenden Nationen bewusst ist.

Vernachlässigung

Im Jahre 2001 wurde in internationalen und deutschen Medien umfangreich über den Gebrauch und die Gefahren von Uranmunition diskutiert. Der Begriff des so genannten Golfkriegssyndroms kam auf. Nach mehreren Beiträgen im März 2001, in denen die Uranmunition als ungefährlich dargestellt wurde, verebbte die Debatte um die Gefahr von DU. Eine Diskussion um die Kriegsopfer wurde nicht mehr öffentlich geführt.

Einen „letzten Aufschrei“ gab es noch einmal 2003, als der Autor Frieder Wagner Material zum Einsatz von DU-Munition sammelte und im Film „Der Arzt und die verstrahlten Kinder von Basra“ zusammentrug. Er dokumentierte die gesundheitlichen Folgen der Uranmunition und begleitete den Epidemologen Dr. Horst-Siegwart Günther bei seinen Forschungen. Der Film lief im Spätabendprogramm des Westdeutschen Rundfunks. Auch daran lässt sich erkennen, wie viel Relevanz Journalisten dem Thema beimessen.

Seit 2003 wurde es – bis auf vereinzelte Randberichte – erstaunlich still um das Thema Uran-Munition. Auch die jüngsten Entwicklungen zur 63. UN-Generalversammlung am 15. September 2008, nämlich die Publikation der gesammelten Einschätzungen der UN-Mitglieder zu den Auswirkungen von DU-Munition und die mehrheitliche Forderung nach einer internationalen Untersuchung, wurden von den Medien nicht aufgegriffen.

Die UN-Mitglieder brachten ihre Besorgnis über den militärischen Einsatz von DU zum Ausdruck und forderten, die Risiken von Uranwaffen in einer internationalen Untersuchung zu überprüfen. Auch die Bundesrepublik Deutschland betonte auf der Grundlage einer neuen Studie von 2007 die Notwendigkeit weiterer Forschung.

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Quellen

Frieder Wagner, Valentin Thurn: „Der Arzt und die verstrahlten Kinder von Basra“, WDR-Beitrag, 26.4.2004:

Ein Film über den deutschen Tropenarzt und Epidemiologen Dr. Horst-Siegwart Günther, der bereits 1991 erstmals auf einen Zusammenhang zwischen Leukämie und uranhaltiger Munition hinwies. Der Film begleitet ihn bei der Untersuchung mehrerer Kriegsopfer in Basra.

Zeit-Fragen Nr. 9, 5.3. 2007, Seite 9 , „Nato manipuliert die Presse“:

Der Artikel versucht die Frage zu beantworten, warum das Thema in den vergangenen Jahren so vollständig aus den Medien herausgehalten wurde. Der Artikel wirft der Nato in den USA und Europa eine Desinformationskampagne vor und nennt die wissenschaftlichen Untersuchungszentren interessengeleitet.

Bericht des Arbeitsstabes Dr. Sommer, 2001: Die Bundeswehr und ihr Umgang mit Gefährdungen und Gefahrenstoffen:

Der Bericht des Arbeitsstabes gibt Entwarnung in Bezug auf die Gefährdung uranhaltiger Munition. Sie schließt jedoch eine Gefährdung durch Radarstrahlung in den 60er und 70er Jahren nicht aus.

Sabine Schiffer: „Das leise Sterben nach dem Krieg“, Message 1/2008

W. Schimmack, U. Gerstmann, W. Schultz, G.Geipel: Long-term corrosion and leaching of depleted uranium (DU) in soil, Studie 2007 veröffentlicht:

In diesem wissenschaftlichen Beitrag werden die Langzeitfolgen und die Korrosion im Erdreich diskutiert.

Verschlusssache der Bundeswehr: Gefährdung durch DU-Munition, Seite 25 (liegt der INA in Kopie vor):

In der Verschlusssache der Bundeswehr wird auf eine radiologische Schädigung hingewiesen, die durch den Einsatz von panzerbrechender Brandmunition mit DU-Kern während der Operation „Enduring Freedom“ (durch US-Kampfflugzeugen) verursacht werden kann. Es wird den Soldaten geraten, ABC-Schutzkleidung zu tragen, die Munition nicht zu berühren, Filmdosimeter auszugeben, sofortige Meldung abzugeben und sofort den Truppenarzt einzuschalten.

Die Suchmaschine LexisNexis findet für den Zeitraum von 1999 bis Anfang 2002 über 925 Einträge zum Thema Uranmunition. Danach griffen nur noch wenige Medien wie „die tageszeitung“ (taz) das Thema auf.

DIE ZEIT 26/2001: „Uran-Syndrom: Die Blamage der Alarmisten“

Focus Magazin, 29.1.2001: „Kein auffälliger Befund“

DIE WELT, 25.1.2001: „Täuschung der Öffentlichkeit: Soldaten waren Uran-Staub schutzlos ausgesetzt“

DIE WELT, 7.2.2001, Seite 5: „Kommission: Uran-Munition keine Gefahr – Scharping fühlt sich bestätigt“

Hamburger Abendblatt, 8.2.2001: „Ein Krebsforscher warnt Scharping; Leukämie-Experte behauptet: Das Uran-Risiko wird verharmlost, der Minister hat schlechte Berater“

DIE WELT, 22.06.2001: „Scharping verspricht Strahlungsopfern großzügige Hilfe“

die tageszeitung, 16.2.2001: „Uranmunition – das Gesetz des Schweigens“

Christopher Schrader, Journalist Süddeutsche Zeitung, Ressort Wissenschaft, Gespräch am 23.7.2008

Dr. Sabine Schiffer, Institut für Medienverantwortung in Erlangen, Gespräch am 29.6.2008

Kommentare

Christopher Schrader, Süddeutsche Zeitung, Ressort Wissenschaft:

„Da es im Augenblick keinen heißen Krieg gibt, wo die Munition verschossen wird, ist das Interesse zurzeit gering. Ich habe nebenbei registriert, und es wurde zuletzt 2003 auch größer berichtet, dass es sowohl Initiativen gibt, die auf bestehende Gesundheitsgefahren der im Irak oder in Bosnien-Herzegowina verschossenen Granaten hinweisen, als auch Berichte von WHO, UNEP, IAEA (Institut für experimentelle und angewandte Physik, Uni Kiel, Anm. d. R.) und anderen wie GSF (Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit in München, Anm. d. R.) gibt, die keine Gefahr sehen.

In Ländern wie Irak an eine vernünftige Epidemiologie zu kommen, mit der man die Gefahren belegen könnte, ist so gut wie ausgeschlossen. Unter diesen Umständen ist kein Artikel hart zu bekommen. Und ohne Anlass beschäftigen sich dann wenige Journalisten damit.“

Dr. Sabine Schiffer, Institut für Medienverantwortung:

„Mit dem Ignorieren von Opferzahlen in der Berichterstattung, die außerhalb von Bombenanschlägen und ‚Liquidierungen‘ zustande kommen, wurde gleichzeitig die Frage nach den Kriegsfolgen insgesamt ausgeblendet – sowie eine Diskussion um die Versorgungsmaßnahmen für erkrankte Veteranen, deren Kinder und die medizinisch mangelversorgte Zivilbevölkerung in den umkämpften Gebieten.“