SED-Vermögen: Noch immer in Liechtenstein und anderswo versteckt?
Umgerechnet 255 Millionen Euro aus dem Vermögen der früheren DDR-Außenhandelsfirma „Novum“ wurden im Jahr 2003 der BRD zugesprochen. Sechs Jahre später ist der Öffentlichkeit immer noch nicht bekannt, wie viel von diesem Geld die Bundesrepublik erhalten hat und wofür es gegebenenfalls verwendet wurde. Teilsummen werden weiter auf ausländischen Konten, etwa in Liechtenstein und der Schweiz vermutet. Es fehlen journalistische Berichte, die sich mit der Umsetzung des Gerichtsurteils befassen. Verschleierungsbemühungen aus der Wendezeit bleiben so bis heute erfolgreich.
Sachverhalt & Richtigkeit
Der größte Teil des ins Ausland geflossenen SED-Vermögens steckte in der “Novum-Handelsgesellschaft”, dessen Treuhänderin Rudolfine Steindling (“Die Rote Fini”) war. Das Geld versteckte die Österreicherin in der Wendezeit bei mehr als 60 Banken in der Welt. Der damaligen Treuhandanstalt gelang es Berichten zufolge 1992 lediglich noch, etwa 20 Millionen Euro auf Novum-Konten zu sichern. Im darauf folgenden Gerichtsprozess, dem so genannten „Novum-Prozess“, wurde der BRD im Jahr 2003 eine Summe von 255 Millionen Euro zugesprochen. Wofür die Bundesregierung diesen Betrag beziehungsweise die Gelder, die davon bereits in der BRD angekommen sind, verwendet hat, wird in den Medien nicht erörtert. Einige wenige Medien berichten, dass Teilbeträge der Gesamtsumme in der BRD angekommen sind.
Dieser Fall zeigt beispielhaft, dass Medien zwar ihrer Berichterstattungspflicht über gesellschaftlich wichtige Gerichtsbeschlüsse nachkommen, die mediale Aufarbeitung nach Abschluss des Gerichtsverfahrens allerdings häufig vernachlässigen. Mängel und Probleme beim Vollzug der richterlichen Entscheidung nach der Urteilsverkündung bleiben der Öffentlichkeit somit verborgen.
Relevanz
Es geht im Falle des SED-Vermögens um eine sehr hohe Geldsumme, die der Bundesrepublik Deutschland zusteht und die die BRD im Sinne ihrer Staatsbürger einsetzen sollte. Ein Gerichtsprozess um eine derart hohe Geldsumme sollte auch im Nachhinein weiter medial begleitet werden. Die Recherche zeigt, dass die Verwendung und der Verbleib des Geldes unklar sind und die Medien trotz der schwierigen Recherchebedingungen hier ihre demokratische Kontrollfunktion wahrnehmen sollten.
Vernachlässigung
Wofür die Teilsummen, die der BRD bereits zur Verfügung stehen, verwendet wurden, wurde in keinem Medium berichtet. In einem Focus-Bericht von 2001 hieß es nur: „Die Bundesregierung will das Geld in gemeinnützige Projekte in den neuen Bundesländern fließen lassen.“ Darüber, dass Teilbeträge in der BRD angekommen sind, berichteten vereinzelt Zeitungen und Internetseiten (darunter „Berliner Morgenpost“ und „Welt online“) und die Tagesschau. Allerdings widersprechen sich die Berichte, was die Höhe des sichergestellten Geldes angeht. Anhand dieser Berichte wie auch in Gesprächen mit Redakteuren zeigt sich, dass deren Kenntnisstand über die tatsächliche momentane Sachlage sehr dürftig ist. Trotz Recherchen ist es Journalisten aufgrund der Undurchsichtigkeit der Geldtransferwege schwer möglich, übereinstimmende, abgesicherte Fakten zu präsentieren.
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Quellen
Gerichtsbeschluss des Novum-Prozesses (OVG 3B 23.9.2003) unter www.juraforum.de
Berliner Morgenpost/AFP: „Sind noch SED-Millionen in Liechtenstein?“. 21.2.2008:
SED-Gelder werden dem Artikel zufolge in Liechtenstein vermutet. Es wurde bereits erreicht, dass 2,6 Millionen Schweizer Franken von dem Konto einer Stiftung, die von einem ehemaligen DDR-Treuhändler verwaltet wurde, in die Bundesrepublik zurückflossen.
Tagesschau: „Veruntreutes DDR-Vermögen“. 15.1.2005:
Aus Österreich flossen mittlerweile die ersten 7,3 Millionen Euro aus dem Vermögen der DDRAußenhandelsfirma Novum nach Deutschland zurück. Der Rest des Geldes ist zum größten Teil auf Schweizer Banken blockiert.
Thomas Scheuer: „Vereinigungskrimi: ‚Finis’ Millionen-Poker“. Focus, Nr. 48/2001
Michael Mielke: „Novum-Prozess: Die ‚rote Fini’ arbeitete für die SED“. Welt online, 24.9.2003:
Nur rund 95 Millionen Euro konnten bislang von der Treuhandnachfolgebehörde, der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS), sichergestellt werden. Ein Teil des Vermögens ist seit Jahren auf ausländischen Konten blockiert.
Stefan Berg, Spiegel-Redakteur Berlin (Politik-Ressort), Gespräch am 16.6.2008:
Das Geld wurde Berg zufolge auf die Landeshaushalte in Deutschland verteilt.
Anmerkung der INA-Redaktion:
Diese Annahme trifft nach INA-Recherchen nicht zu. Das Geld liegt nach Aussagen anderer zum Teil noch in der Schweiz.
Inga Klees, Redakteurin des ARD-Politmagazins „Fakt“, Gespräch am 9.6.2008:
Das Vermögen ist demnach noch nicht in der Bundesrepublik angekommen, da noch verschiedene richtsverfahren in der Schweiz laufen.
Clemens Teschendorf, Pressesprecher der Senatsverwaltung für Finanzen Berlin, Gespräch am 16.6.2008:
Das Land Berlin hat laut Teschendorf noch kein Geld aus dem Novum-Prozess erhalten. Das Vermögen muss von der BRD erst eingeklagt werden; es ist kein Ende absehbar. Der verfügbare Teil wurde benutzt, um Rückstellungskosten für den Prozess zu decken.
Kommentare
Inga Klees, Redakteurin „Fakt“:
„Ich sehe das Thema nicht als vernachlässigt an. Aber es ist sehr kompliziertund damit nicht gerade medienfreundlich. Was man vor allem über die inzwischen veröffentlichten Akten der entsprechenden Untersuchungsausschüsse herausfinden konnte, ist weitestgehend bekannt. Was fehlt, ist Insiderwissen. Um da entscheidend voranzukommen, müsste man jemanden wie Frau Steindling selbst zum Reden bewegen. Nur: Warum sollte sie ihr Wissen preisgeben?“
Günther Latsch, Spiegel-Redakteur Hamburg:
„Es handelt sich nicht um ein ‚klassisch’ vernachlässigtes Thema, aber es ist ein interessantes Thema. Nach einem Gerichtsurteil erlahmt meist das Interesse an solchen Themen. Man glaubt immer – vielleicht naiverweise – dass dann die Dinge ihren normalen Gang gehen. Das ist doch mit den meisten Gerichtsprozessen so.“
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