Undifferenzierte Berichterstattung über Migranten
Migranten sind in der deutschen Berichterstattung nicht mehr generell unterrepräsentiert, aber sie werden immer noch häufig in stereotyper und zumeist negativer Weise dargestellt. Dadurch können sich rassistische Vorurteile verfestigen. Differenziertere Beiträge über die vielfältigen Rollen, die Migranten in der deutschen Gesellschaft einnehmen, sind Mangelware. Immerhin jeder fünfte Einwohner der Bundesrepublik hat einen Migrationshintergrund.
Sachverhalt & Richtigkeit
In Deutschland leben nach einer Erhebung aus dem Jahr 2005 rund 15 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund, das ist etwa ein Fünftel der Bevölkerung. Sieben Millionen von ihnen sind Ausländer und acht Millionen besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit. Bei letzteren handelt es sich in erster Linie um (Spät-)Aussiedler, aber auch um viele eingebürgerte Arbeitsmigranten und Flüchtlinge sowie deren Nachkommen.
Dieses Fünftel der Bevölkerung findet in den deutschen Medien keine angemessene Repräsentation – weder im Hinblick auf die große Anzahl der Menschen, noch im Hinblick auf ihre Unterschiedlichkeit. Weder werden bei Recherchen ausreichend Migranten als repräsentative, „normale“ Bürger herangezogen, noch wird differenziert über diese Personengruppen berichtet.
Besonders Menschen mit islamischem Hintergrund wurden und werden von den deutschen Medien in negativen Stereotypen dargestellt – zum Beispiel als eine Belastung für das Sozialsystem oder die öffentlichen Haushalte. Migranten tauchen in den Medien häufiger als Kriminelle auf, als es der Kriminalitätsstatistik entspräche. Auch die Schwere der jeweiligen Delikte wird dramatisiert.
Durch Magazin-Titel von „Stern“ und „Spiegel“ wie „Der religiöse Wahn. Die Rückkehr des Mittelalters“ oder „Neue Serie: Die Wurzeln des Hasses. Mohammeds zornige Erben. 1400 Jahre zwischen Stolz und Demütigung“ oder „Weltmacht Islam“ werden stereotype Bilder verbreitet.
Der Politikwissenschaftler Jörg Becker von der Universität Marburg geht davon aus, dass Stereotype auf diese Weise besonders nachdrücklich bei den Rezipienten verankert werden. Denn diese Medien arbeiten mit einer eindringlichen Mischung aus Bildsprache und Symbolen wie riesigen Menschenmassen, wütenden Männern und verschleierten Frauen.
Insbesondere seit dem 11. September 2001 ist vor allem das Stereotyp vom Muslim als „Täter“ vorherrschend, das durch die Berichterstattung permanent erneuert und verstärkt wird.
Relevanz
Bereits lange vor dem 11. September 2001 ermittelte das Meinungsforschungsinstitut EMNID, dass Muslime in Deutschland im Vergleich zu Angehörigen anderer Religionen auf die stärksten Vorbehalte treffen. Für den Zeitraum zwischen dem 11. September und dem 19. Oktober 2001 konnte die Europäische Zentralstelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (EUMC) in Wien in allen Ländern der EU einen Anstieg rassistischer Gewalt und eine deutliche Zunahme von Islamfeindlichkeit feststellen.
Stereotype Berichterstattung, die Feindbilder über Migranten vermittelt, schürt Fremdenhass und Vorurteile. Zudem wenden sich die Migranten selbst von der Mehrheitsgesellschaft ab, um in eigenen Medien unter sich zu kommunizieren. Nicht alle Journalisten sind sich dieser Verantwortung bewusst. Immer wieder werden Zerrbilder von Migranten und ethnischen Minderheiten gezeichnet. Die negativen Auswirkungen auf das gesellschaftliche Zusammenleben der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen sind offensichtlich.
Wenn Medien auf Stereotype verzichten, können sie den Dialog zwischen der gesellschaftlichen Mehrheit und den ethnischen Minderheiten fördern und Informationen über bestehende Konflikte liefern. Damit hätten sie auch die Möglichkeit, zu Integration und Toleranz beizutragen, die leider zu selten genutzt wird. Aufgrund seines Programmauftrags kommen diese Aufgaben in besonderer Weise dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu.
Vernachlässigung
Auch wenn Migranten immer häufiger in Medien auftauchen, fehlt es an differenzierten, vor allem auch sprachlich genauen Beiträgen, die ohne Stereotype auskommen. Wenn es um Migranten geht, betonen Journalisten häufig den Nachrichtenfaktor Negativität. Obwohl sich die meisten hier lebenden Muslime sehr wohl an den Menschenrechten orientieren, wird oft ein abweichendes Bild präsentiert.
Als Beispiel dafür nennt der Islamwissenschaftler Jamal Malik von der Universität Erfurt die Frauendiskriminierung: Diese sei nicht spezifisch muslimisch, sondern in erster Linie ein Unterschichtenproblem.
Zugleich werden bestimmte Nationalitäten in der Berichterstattung überrepräsentiert. In den 1980er Jahren waren dies die Türken. Seit dem 11. September 2001 erhalten vor allem Marokkaner eine besondere Medienaufmerksamkeit: Sie tauchen zehnmal häufiger auf, als es ihrem tatsächlichen Anteil an der Bevölkerung entspräche.
Mit dieser Überrepräsentation verbunden ist die Tendenz, Migranten nur in bestimmten Rollen zu zeigen und sie damit zu stigmatisieren: Werden sie in aktiven Rollen gezeigt, dann als Kriminelle oder, in jüngerer Zeit, als Terroristen beziehungsweise als „Terrorverdächtige“.
Einen wichtigen Grund für solche Verzerrungen sieht der Soziologe Rainer Geißler von der Universität Siegen auch darin, dass in den Medien zu wenige Journalisten mit Migrationshintergrund arbeiten. Allerdings wächst bei den Medienmachern und auch in der Bevölkerung in den letzten Jahren immer mehr das Bewusstsein für die aufgezeigte Problematik.
Gerade im Jahr 2007 gab es mehrere Tagungen dazu und auch relevante Veröffentlichungen in der Fachpresse. In begrenztem Umfang fand das Thema dadurch auch Eingang in weiter verbreitete Medien der allgemeinen Öffentlichkeit. Eine besondere Rolle spielt die Fernsehunterhaltung: Im Hinblick auf den Umgang mit Migranten bildet sie eine Art integrativen Gegenpol zur Fernsehberichterstattung. Das gestärkte Bewusstsein und auch zahlreiche Beiträge mit differenzierterer Berichterstattung wiegen jedoch nicht die Masse der negativ-stereotypen Beiträge auf.
Quellen
Jörg Becker: „Massenmedien, Migration und positive Differenz“. „UTOPIE kreativ“ Nr. 5/08
Journalistik Journal (9/08), Ausgabe „Massenmedien und Migration“
Michael Meier: „Medien reduzieren Muslime auf ihre Religion“, „Tages-Anzeiger“, 8.12.2007, Interview mit Jamal Malik
Ulrike Foraci, Arbeitsgemeinschaft der Ausländerbeiräte Hessen, 1.12.2008
Prof. Dr. Rainer Geißler, Universität Siegen, Forschungsschwerpunkte u.a.: Sozialstrukturen, Medien, Integration, 5.12.2008
Prof. Dr. Horst Pöttker / Prof. Dr. Rainer Geißler: Projekt „Mediale Integration ethnischer Minderheiten“, www.integration-und-medien.de:
Prof. Dr. Georg Ruhrmann, Universität Jena, Bereich Medienwissenschaft, 9.12.2008
Jakob Schrenk, Journalist, arbeitet für den „Standard“, „NEON“, die „Süddeutsche Zeitung“ und die „Sächsische Zeitung“; Artikel „Raffinierter Rassismus“ in der NEON 11/08, 15.12.2008
Projekt Migration – Integration – Diversity (MID) der Heinrich-Böll-Stiftung, www.boell.migration.de:
Präsentiert ein Angebot an Informationen, Analysen und Meinungen zu den großen Themenfeldern Zuwanderung, soziale und politische Integration
Kommentare
Ulrike Foraci, Arbeitsgemeinschaft der Ausländerbeiräte Hessen:
„Die Medien unterstützen stereotype, negative Erklärungsmuster, beispielsweise, dass wir bei der Pisa-Studie so schlecht sind, da wir viele Migranten in Deutschland haben. Auf die Idee, dass es vielleicht auch am schlechten Bildungssystem liegen könnte, kommt keiner. Das liegt an dem Stand der Akzeptierung und Wertschätzung von Migranten in unserer Gesellschaft.“
„Es müsste viel mehr über Alltagserfahrungen von Migranten in den Medien berichtet werden. Beiträge, die eben das normale Zusammenleben abbilden.“
Prof. Dr. Rainer Geißler, Universität Siegen:
„Migranten werden überwiegend als problematisch dargestellt – so als haben sie viele Probleme und machen uns viele Probleme.“
„Das Bewusstsein dafür, dass wir mehr Menschen mit Migrationshintergrund in den Redaktionen brauchen, ist in den letzten Jahren gewachsen. Doch Politiker und Medienmacher müssen trotzdem dringend etwas tun.“
Jakob Schrenk, Journalist:
„Migranten tauchen sehr häufig im Zusammenhang mit Kriminalität in den Medien auf.“
„Ich glaube, es gibt in der Berichterstattung über Migranten dominante Erklärungsansätze, die Journalisten immer wieder stereotyp einsetzen.“
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