Bundestag debattiert erstmals über Entschädigung für Kolonialverbrechen in Afrika
Im Juni 2007 wurde erstmals im Bundestag über eine finanzielle Wiedergutmachung der deutschen Kolonialverbrechen im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika debattiert. Obwohl diese vielfach als Völkermorde bewertet werden, berichten lediglich der englische Dienst der Deutschen Welle und die „Junge Welt“ – Nachrichtenagenturen kündigten weder den Termin an, noch lieferten sie Nachberichterstattung. Dadurch war der Debattentermin in den meisten Redaktionen unbekannt.
Sachverhalt & Richtigkeit
Im Oktober 1904, zwei Monate nach der Schlacht am Waterberg, die den Krieg zwischen den Herero und den Deutschen in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika entschied, erließ Oberkommandeur Lothar von Trotha seinen berüchtigten „Schießbefehl“. In ihm ordnete er an, jeden Herero, der nicht das Land verlasse und sich somit innerhalb der deutschen Grenzen befände, zu erschießen. „Ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volke zurück oder lasse auf sie scheißen“, ließ der Kommandeur der kaiserlich deutschen Schutztruppe in Deutsch-Südwestafrika verkünden.
Zur Flucht förmlich gezwungen wanderten die Herero in die Omaheke-Steppe ab, wo Wassermangel wohl einige tausend Menschen das Leben kostete. Die genauen Verluste auf Seiten der Herero unter Leitung ihres Befehlshabers Samuel Maharero sind bis heute nicht bekannt. Schätzungen zufolge beteiligten sich zwischen 3.500 und 6.000 Krieger mitsamt ihren Familien an der Schlacht.
Historiker sprechen davon, dass knapp 80 Prozent der Herero und über die Hälfte der ebenfalls beteiligten Nama den Vernichtungskrieg der deutschen Schutztruppen nicht überlebten. Konkrete Zahlen können bis heute nicht nachgewiesen werden, aufgrund der Schätzungen ist jedoch davon auszugehen, dass Krankheiten, Hunger und Durst, Kampfhandlungen, Überfälle, Flucht und vielfach menschenunwürdige Missstände in den Sammellagern zwischen 24.000 und 64.000 Herero sowie etwa 10.000 Nama das Leben kosteten.
Vielfach wird das Vorgehen der deutschen Seite unmittelbar nach der Schlacht am Waterberg als Völkermord an den Hereros betrachtet. Diese Deutung ist jedoch umstritten. Schon Zeitgenossen betrachteten das Vorgehen Trothas als Verbrechen; Widerstände in der deutschen Bevölkerung, Presse, Kirche, Armee und Regierung führten zur Abschwächung besonders drastischer Maßnahmen.
Die Bundesregierung beschäftigte sich seitdem kaum mit den damaligen Ereignissen. Erst einhundert Jahre nach dem Aufstand gegen die damalige Kolonialherrschaft wurde der damalige Krieg thematisiert. Am 11. August 2004 startete Bundesentwicklungsministerin Wieczorek-Zeul zu einer Reise nach Namibia, um dort am Gedenken an die Niederschlagung des Herero-Aufstands teilzunehmen. Die Ministerin hat sich im Namen der Bundesregierung für die Untaten des damaligen deutschen Militärs entschuldigt.
Erstmalig räumte in dieser Ansprache ein deutsches Regierungsmitglied den Völkermord ein. „Vor hundert Jahren wurden die Unterdrücker – verblendet von kolonialem Wahn – in deutschem Namen zu Sendboten von Gewalt, Diskriminierung, Rassismus und Vernichtung. Die damaligen Gräueltaten waren das, was heute als Völkermord bezeichnet würde – für den ein General von Trotha heutzutage vor Gericht gebracht und verurteilt würde. Wir Deutschen bekennen uns zu unserer historisch-politischen, moralisch-ethischen Verantwortung und zu der Schuld, die Deutsche damals auf sich geladen haben“, sagte Wieczorek-Zeul.
Von materiellen Entschädigungsleistungen an die Nachfahren der Opfer ist indessen keine Rede gewesen. Der Bundestag beschäftigte sich in einer Sitzung vom 13. Juni 2006 erstmals seit seinem Bestehen mit dieser Frage der deutschen Kolonialvergangenheit. Auf Antrag der Fraktion der LINKEN, vertreten durch Hüseyin-Kenan Aydin, Heike Hänsel, Monika Knoche und weiterer Abgeordneter, wurde als Tagesordnungspunkt sieben die „Anerkennung und Wiedergutmachung der deutschen Kolonialverbrechen im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika“ aufgerufen.
Relevanz
Redner aller Bundestagsfraktionen ergriffen in der anschließenden Debatte das Wort. Das aus heutiger Sicht als Völkermord anzusehende Vorgehen der deutschen Schutztruppen im damaligen Kolonialgebiet ist ein Teil deutscher Vergangenheitsbewältigung.
Die Tatsache, dass die Ereignisse über 100 Jahre zurück liegen und zwischenzeitlich zwei Weltkriege das Schuldbewusstsein der Deutschen stark belasteten, sollte kein Grund dafür sein, dieses Verbrechen an mehreren zehntausend Menschen aus dem Blickfeld zu verlieren. Eine Diskussion über mögliche finanzielle Entschädigungen ist daher sinnvoll. Der Verlauf dieser Debatten sollte der Bevölkerung nicht vorenthalten werden, um diese kontroversen Argumente darlegen zu können. Nur so kann den Bürgern die Möglichkeit gegeben werden, sich eine eigene Meinung zu dem Thema zu bilden.
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