2007: Top 2

Politiker behindern Einrichtung von Ombudsstellen

In Deutschland herrscht unter Abgeordneten eine verbreitete Abneigung gegenüber der Einrichtung von Ombudsstellen. Dabei könnten sie bei der Konfliktschlichtung zwischen Bevölkerung und Staat eine wichtige Rolle spielen und so der zunehmenden Politikverdrossenheit entgegenwirken. Politikwissenschaftler halten sie für geeignete Institutionen, um die Partizipation der Bürgerinnen und Bürger und die Kontrolle des Parlaments zu erhöhen. Andere europäische Länder wie Spanien verfügen bereits über ein ausgefeiltes System regionaler und nationaler Bürgeranlaufstellen. In den Medien wird nur unzureichend über die Möglichkeiten und Mechanismen von Ombudsstellen berichtet. Dies liegt auch am mangelnden Engagement der Parlamentarier.


Sachverhalt & Richtigkeit

In vier Bundesländern gibt es Bürgerbeauftragte. In Rheinland-Pfalz, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern und in Schleswig-Holstein (für soziale Fragen). Die Stellen der Bürgerbeauftragten sind jeweils unterschiedlich ausgestaltet. So ist beispielsweise nur der Bürgerbeauftragte von Mecklenburg-Vorpommern in der Landesverfassung verankert, die anderen könnten ohne weiteres wieder abgeschafft werden. Allen ist gemeinsam, dass die Bürger Anliegen auch mündlich vortragen können. Der Bürgerbeauftragte setzt sich dann direkt mit der Verwaltungsstelle, in der der Beschwerdegrund entstanden ist, in Verbindung und sucht nach einer Lösung. Der Bürger ist in die Lösungssuche eingebunden.

Beim Petitionsausschuss muss eine Eingabe hingegen schriftlich erfolgen. Diese wird weitergereicht an die Staatskanzlei, die Staatskanzlei leitet die Eingabe weiter an das Ministerium, in dessen Verantwortungsbereich die Beschwerde fällt. Das Ministerium reicht die Eingabe weiter an die sachlich zuständige Behörde, die der Behörde, wo der Beschwerdegrund entstanden ist, vorgesetzt ist. Dann erst erreicht die Beschwerde die Stelle, wo der Beschwerdegrund entstanden ist. Eine Antwort erfolgt über dieselben Stationen in umgekehrter Richtung. Diese Vorgänge (Weiterreichen der Eingabe und Antwort) geschehen schriftlich. Außerdem ist der Beschwerdeführer in diesen Prozess überhaupt nicht eingebunden. Diese Abläufe schilderte Dr. Anne Debus, bis vor kurzem Referentin im Büro des thüringischen Bürgerbeauftragten. Sie hat einen Kommentar zum Bürgerbeauftragten verfasst und ist überzeugt, dass diese schneller und flexibler auf Beschwerden reagieren können als ein parlamentarischer Ausschuss.

In den Büros der bestehenden Bürgerbeauftragten bestätigt man, dass diese Institution sehr gut angenommen werde. Dies lässt sich auch an den zumindest stabilen Zahlen an Eingaben ablesen; in Mecklenburg-Vorpommern gab es 2006 etwa 1.800 Eingaben, im Jahr zuvor waren es 1.500. Zwei Drittel dieser Eingaben sind den Angaben des dortigen stellvertretenden Bürgerbeauftragten, Wolfgang Schloh, zufolge mündlich.

Der Politikwissenschaftler Udo Kempf, der sich seit mehr als 30 Jahren mit dem Thema beschäftigt, ist von Notwendigkeit einer „personalisierten Verwaltungskontrolle“, also eines direkten Ansprechpartners für die Bürger überzeugt. Durch das Fehlen einer entsprechenden Einrichtung in vielen Bundesländern und auf Bundesebene habe der deutsche Bürger Nachteile. Dies entspricht auch der Ansicht des Europäischen Ombudsmann-Institutes (EOI).

Durch die Einrichtung von Bürgerbeauftragten, so die Argumentation der Befürworter, könne nicht nur die Kontrolle von Verwaltung und Parlament verbessert werden, sondern auch die Partizipation der Bürger erhöht werden. Diese Argumentation wird durch weitere Politikwissenschaftler bestätigt. Zwar sind manche Eingaben beim Bürgerbeauftragten nach Angaben von Wolfgang Schloh recht banal wie etwa Verständnisfragen zu einem Bescheid. Dennoch sieht der stellvertretende Bürgerbeauftragte von Mecklenburg-Vorpommern in der Institution ein funktionstüchtiges Instrument, um Rechtsfrieden herzustellen. Das sei der Fall, wenn der Bürger auch mit einem ablehnenden Bescheid leben könne.

Relevanz

Wie eine Gesellschaft die Schlichtung von Konflikten zwischen Bürgern und Staat organisiert, muss ein zentrales Thema für die Politik sein. Wenn vom Volk gewählte Abgeordnete ein kostengünstiges Modell verhindern, das den Bürgern die Kontrolle von Verwaltung und Parlament vereinfachen könnte, dann müssen die Medien das thematisieren. Dieses Verhalten der Abgeordneten mutet vor allem vor dem Hintergrund einer angeblichen „Politikverdrossenheit“ der Bürger merkwürdig an: Schließlich könnten Bürgerbeauftragte zu einer höheren Partizipation der Bürger an der Politik beitragen und den Rechtsfrieden stärken.