2006: Top 6

Keine Zukunft für die Sahrauis

Die Sahrauis leben seit mehr als 30 Jahren in Flüchtlingslagern in der Westsahara. Marokko blockiert jede Bemühung, den Konflikt mit der Befreiungsbewegung Polisario öffentlich werden zu lassen. Die UNO versucht vergeblich, die Konflikt-Parteien zu einer Lösung zu führen. Hilfsorganisationen wie Medico International ziehen sich zurück. Das Schicksal der Sahrauis stand 2002 stellvertretend für vergessene Kriege an der Spitze der vernachlässigten Themen der Initiative Nachrichtenaufklärung. Heute können die Sahrauis als das vergessene Volk bezeichnet werden.


Sachverhalt & Richtigkeit

Rund 165.000 Sahrauis leben kurz hinter der Algerischen Grenze in vier Zeltstädten. Ihre Interessen werden durch die Polisario und die Vereinten Nationen vertreten.

Im April 1991 leiteten die Vereinten Nationen die Mission für das Referendum in der Westsahara (MINURSO) ein, um den Waffenstillstand in der Westsahara zu begleiten und zu überwachen. Ziel war es, einen Volksentscheid zu organisieren, welcher den Menschen ermöglichen soll, zwischen einer Integration mit Marokko und der Unabhängigkeit zu wählen.

Bereits 1981 erklärte sich König Hassan II. bereit, einer Volksabstimmung der Westsahara-Bevölkerung unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen zuzustimmen. Nachdem Marokko und die Polisario den Plan im August 1988 akzeptiert hatten, trat 1991 der seitdem eingehaltene Waffenstillstand in Kraft.

Der Prozess der Identifizierung von Wahlberechtigten gestaltete sich äußerst kompliziert und ist bis heute nicht abgeschlossen. Seit seinem Amtsantritt 1997 belebte Kofi Annan den Regelungsplan für die Westsahara. 2003 erarbeitete die MINURSO unter dem ehemaligen amerikanischen Außenminister James Baker einen neuen Plan zur Lösung des Konflikts.

Der unter dem Namen „Baker-Plan“ bekannt gewordene Vorschlag gründete auf der Autonomie des umstrittenen Gebietes unter Souveränität Marokkos für eine Übergangszeit von mindestens vier, maximal fünf Jahren, an deren Ende ein Referendum über den Endstatus (Unabhängigkeit oder Fortdauer des Autonomiestatus oder Zugehörigkeit zu Marokko) stehen sollte.

Der Plan wurde im UN-Sicherheitsrat einstimmig angenommen. Marokko lehnte die Durchführung ab und schlug selbst eine Art Autonomie für die Sahrauis vor. Diesen Plan führte Marokko aber nie näher aus. Im Mai 2005 kommt es zu massiven Protesten gegen die Besetzung der Westsahara durch Marokko.

Im Januar 2006 gesteht Kofi Annan das Scheitern der UN-Bemühungen ein und appelliert an die Konflikt-Parteien, selbst zu einer Lösung zu kommen. In den UN-Resolutionen aus jüngerer Vergangenheit wird der Baker-Plan nicht mehr erwähnt.

Das Mandat der MINURSO wurde im Oktober 2006 bis zum 30. April 2007 verlängert. Dies geschieht regelmäßig alle sechs Monate. Während der Sitzung des Sicherheitsrates am 31. Oktober 2006 soll der amerikanische UNO-Abgesandte die Auflösung der MINURSO gefordert haben, wenn sie in ihren Bemühungen weiterhin erfolglos bliebe.

Marokko ignoriert konsequent die Selbstbestimmungsrechte der Sahrauis. Letztendlich scheitern alle Einigungsversuche an der sturen Haltung Marokkos. “Marokko sitzt den Konflikt aus”, so das Urteil der Experten.

Unterdessen verschlechtert sich die Lage der Sahrauis in den Lagern immer weiter. 25 Jahre Konflikt und das Leben in den improvisierten Zeltstädten lassen die Menschen resignieren. Der Kassler Friedensforscher Peter Strutynski beschreibt die Sahrauis als ein von Grund auf friedliches Volk. Seine Passivität wird oft kritisiert. “Aber was sollen Sie machen! Eine Bombe werfen, nur damit sie gehört werden!?”, so der Maghreb-Journalist Reiner Wandler. Der Kasseler Friendensforscher Peter Strutynski bezeichnet die Sahrauis als vergessenes Volk ohne Lobby.

Relevanz

Mehr als 160.000 Menschen in der Westsahara wollen selbstbestimmt leben. Die Dekolonisierungsbeschlüsse der Vereinten Nationen garantieren ihnen dieses Recht, trotzdem erkennt Marokko diese Rechte nicht an. Die UNO übergibt die Verantwortung der Polisario, der Interessensvertretung der Sahrauis, und zieht sich selbst immer mehr zurück. Bestehende Vereinbarungen werden von Marokko weder eingehalten, noch von der UNO eingefordert. Die Sahrauis standen im Jahr 2002 stellvertretend für viele andere „vergessene Kriege“ an der Spitze der vernachlässigten Themen.