2006: Top 3

Stromfresser Internet

Klick für Klick, Mail für Mail verbraucht das Internet gewaltige Mengen Strom. Bereits im Jahre 2010 werden dafür – wenn die Energieeffizienz nicht steigt – voraussichtlich drei Atomkraftwerke laufen müssen. Während Energiesparen zu Hause längst populär geworden ist, ist dies in vielen Rechenzentren kaum ein Thema. Verbraucher machen keinen Druck für energiesparende Serverfarmen, weil deutsche Medien darüber kaum berichten. Das Thema ist in seiner gesamten Bedeutung – abgesehen von einer kurzen Themenkarriere im Jahr 2003 – in den deutschen Medien vernachlässigt worden.

Sachverhalt & Richtigkeit

Das Internet verbraucht Strom – aber niemand weiß genau, wie viel. Zu viele Unbekannte, zu viele beteiligte Geräte: PCs, Datenleitungen, Router, Hubs, Server. Gerade die Server entwickeln sich zu derart gefräßigen Stromschluckern, dass sich Unternehmen wie Google in erster Linie Sorgen um ihre Stromkosten machen müssen, und es sich für Serverbauer wie Sun Microsystems anfängt zu lohnen, über Energieeffizienz nachzudenken.

In der breiten Öffentlichkeit sind die heiß laufenden Rechenzentren als Thema dagegen noch nicht angekommen (siehe Vernachlässigung). Dabei ist unstrittig, dass Server – weil sie ungeachtet der Auslastung 24 Stunden am Tag laufen – große Mengen an Strom verbrauchen. Die Jahresproduktion von 28 Atomkraftwerken werde jährlich weltweit allein für Server aufgeboten, behauptete der Einreicher dieses Themas.

Das ist wahrscheinlich falsch. „Wahrscheinlich“ deshalb, weil es bei diesem Thema nur wenige belastbare Studien gibt, die außerdem alle mit einer beachtlichen Menge an Schätzungen für ihre Ergebnisse arbeiten. In Deutschland könnten im Jahr 2010 drei Atomkraftwerke allein für den Betrieb des Internets laufen, errechnete das Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie im Jahr 2003.

Das entspräche einem Anteil von sechs Prozent am deutschen Gesamtstromverbrauch, in absoluten Zahlen rund 31 Terawattstunden im Jahr (TWh/J – Ein Terawatt sind eine Billion Watt). Doch auch die Zahlen, die das Institut für das Jahr 2001 retrospektiv errechnet hatte, waren beeindruckend: Innerhalb eines Jahres sei der Stromverbrauch für das Internet um 36 Prozent angestiegen, schrieben die Autoren, nämlich auf 6,8 TWh/J. Die Server hatten einen Anteil von 1,9 TWh/J daran.

Wenige Jahre zuvor hatten die Forscher des Wuppertal-Institutes den Stromverbrauch des Internets noch mit 4,2 TWh/Jahr angegeben – die Server hatten daran einen Anteil von 0,3 TWh/Jahr. Ihr absoluter Verbrauch hat sich also diesen Zahlen zufolge mehr als versechsfacht.

Zum Vergleich: Je nach Rechnung liefert das AKW Brokdorf, das von Greenpeace gerne zum Vergleich herangezogen wird,zwischen 12 und 12,6 TWh/J. So gesehen würden 2010 – unterstellt, die Wuppertal-Prognose stimmt – etwa zweieinhalb Atomkraftwerke vom Typ Brokdorf für den Internetstromverbrauch in Deutschland laufen. Die Größenordnung des Vergleiches scheint zu stimmen.

So kam auch eine Studie der US-Universität Portland zu dem Schluss, dass allein die Netzinfrastruktur (Leitungen, Router, keine Server) des Web im Jahr 2000 in den USA 6 TWh/J verbrauche – und verglich dies mit der Jahresleistung eines AKW-Reaktorblocks. Die Kosten werden mit einer Milliarde US-Dollar pro Jahr veranschlagt.

Greenpeace errechnet nach den Angaben des Wuppertal-Institutes, dass 2010 der „Internetbetrieb für rund 18,5 Mio. Tonnen CO2 und über 27 Tonnen hochradioaktiven Atommüll verantwortlich“ ist.

Zwar haben die Endnutzer mit ihren PCs den größten Anteil am Stromverbrauch des Internets. In diesem Bereich gibt es jedoch sowohl eine Diskussion über energieeffiziente Geräte (ähnlich wie bei Gefrierschränken, Waschmaschinen etc) und das freiwillige Label „Energy Star“, nach dem sich Verbraucher richten können.

Relevanz

Das führt direkt zur Frage nach der Relevanz des Themas. Unstrittig ist, dass Stromverbrauch generell für die Umwelt (ökologische Effekte), für die Verbraucher (Preis) und die Politik (Wirtschaftspolitik) ein relevantes Thema darstellt.

Aber machen die wenigen Server überhaupt etwas aus? Im Vergleich zur Transportbranche ist der Energieverbrauch von Servern gering. Die absoluten Zahlen, wie oben gezeigt, weisen aber auf etwas anderes hin: Hier laufen riesige Rechenzentren mit gewaltigem Stromverbrauch heiß, und bisher machen sich höchstens die Unternehmen selbst darüber Gedanken – wegen ihrer Stromkosten.

Und das Problem wächst. Im Jahr 2000 war die erste Wuppertal-Studie noch von insgesamt 600.000 in Deutschland laufenden Servern ausgegangen. Zahlen des Marktforschungsinstitutes Gartner zeigen aber, dass mittlerweile allein im Jahr 2005 rund 380.000 Server in Deutschland verkauft wurden.

Fast so alt wie das Internet selbst ist die Vermutung, dass es zwar Strom verbraucht, aber in viel größerem Maße Strom spart (weniger Transportkosten für Briefe etc.). Diese Vermutung hat sich offenbar als falsch erwiesen – für einige Wissenschaftler spricht allein schon die Zunahme von E-Commerce gegen eine positive Strombilanz des Netzes.

Dass Stromsparen bei Servern ein wichtiges Thema in der Serverindustrie sowie in allen Anwendungsbereichen von Servern ist, zeigt die Kampagne „Eco Responsibility“ von Sun Microsystems, die explizit mit drastisch gesenktem Stromverbrauch ihrer Server wirbt, und zwar unter dem Motto „Save energy, save money, save the planet“. Der Umweltaspekt wird hier nicht ausgeklammert, aber dem Kostenargument untergeordnet.

Eine Studie des Internet-Dienstleistungsunternehmens Google zeigt, dass sich die „Leistung pro Watt“-Kurve bei Servern im Vergleich zu anderen Kerngrößen (Anschaffungspreis, reine Rechenleistung) in den vergangenen Jahren so gut wie nicht verändert hat.

Anders gesagt: Jede Leistungssteigerung entspricht einer proportionalen Steigerung im Stromverbrauch. Sollte diese Kurve sich nicht verändern, rechnet die Studie damit, dass die Stromkosten für ein Gerät die Hardwarekosten bald übersteigen könnten, möglicherweise um ein Vielfaches. Sie entwirft ein Szenario, in dem Energieanbieter Internetfirmen die (im Vergleich billig gewordene) Hardware umsonst stellen könnten, wenn diese langfristige Strom-Abnehmerverträge schließen. „The possibility of computer equipment power consumption spiraling out of control could have serious consequences for the overall affordability of computing, not to mention the overall health of the planet.“

2003 hatte ein Autor der Wuppertal-Studie im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ (auch) deshalb ein politisches Ziel formuliert: „Auf EU-Ebene sollten Strom sparende Standards für Computer eingeführt werden, wie es sie etwa schon für Haushaltsgeräte gibt“.

Wenn sich jemand in der bundesdeutschen Politik mit dem Thema beschäftigen würde, wären die Grünen sicherlich dabei. In der Partei will man jedoch abwarten, bis es überhaupt belastbare Zahlen gibt. Das Thema sei aber auf jeden Fall „jahrelang vernachlässigt worden“. Rechenzentrum-Betreiber scheinen eher politische Vorgaben aus Brüssel zu befürchten. Möglicherweise zu Recht.

Die Europäische Kommission hat unter dem Schlagwort „20% Energieeinsparung bis 2020“ im Oktober 2006 einen „Aktionsplan für Energieeffizienz“ vorgestellt, der „die Bedeutung von Mindestnormen für Energieeffizienz bei einem breiten Spektrum von Geräten und Ausrüstungen (von Haushaltsgeräten wie Kühlschränken und Klimaanlagen bis zu industriellen Pumpen und Lüftungsanlagen) sowie für Gebäude und Energiedienstleistungen“ unterstreichen soll.

In diesem Aktionsplan wird auch die schon eingeführte EU-Ökodesignrichtlinie angesprochen, die „Prinzipien, Bedingungen und Kriterien für die Festlegung ökologischer Anforderungen an energiebetriebene Produkte“ festlegt. In keinem der beiden EU-Papiere werden Server oder Rechenzentren konkret genannt. Die Kommission wird allerdings im Rahmen des Aktionsplans beginnen, einzelne Gerätegruppen nacheinander abzuarbeiten.

Wie die energiepolitische Sprecherin der Kommission bestätigte, sind im Moment keine konkreten Schritte in bezug auf Server geplant. Allerdings wird sich die Österreichische Energieagentur in einem von der EU co-finanzierten Forschungsprojekt genau mit dem Serverthema beschäftigen. Die Sprecherin wies auch darauf hin, dass das US-Label „Energy Star“ momentan Beurteilungskriterien für die Energieeffizienz von Servern entwerfe. Ein solches „Benchmark“-System hat das Unternehmen Sun Microsystems schon im Dezember 2005 vorgestellt. Es scheint, als ob dies anfängliche Bewegungen in Richtung Energieeffizienzlabels bei Servern seien.