2005: Top 9

Schmutzige Kredite

Mit Geldern aus Deutschland zerstören russische Ölfirmen die Umwelt in Westsibirien. Im Juli 2002 hat die WestLB einen Kredit in Höhe von 440 Millionen Dollar an die Firma Sibneft vergeben. Da das Geld an kein bestimmtes Projekt gebunden ist, gelten die von der Weltbank formulierten Richtlinien für den Schutz der Umwelt nicht. Sibneft lässt die Pipelines verrotten. Bis zu sieben Prozent des transportierten Öls sickert durch Leckagen in die Wälder und Gewässer. Verschmutztes Grundwasser fließt in die Leitungen der Haushalte in den Regionen. Krebs und Blutkrankheiten sind die Folgen bei Kindern und Erwachsenen.

Sachverhalt & Richtigkeit

Im Juli 2002 hat die WestLB einen 440 Millionen Dollar-Kredit an die russische Ölfirma Sibneft vergeben. Zum gleichen Zeitpunkt fanden in Ecuador Proteste von Umweltorganisationen gegen die Kreditvergabe der WestLB für die Ölförderung in Südamerika statt, weil hier enorme Umweltschäden verursacht wurden. Auf Druck der Öffentlichkeit wurden nach dem Vorbild von Weltbankstandards im Juni 2003 von zehn Banken die Äquator-Richtlinien unterzeichnet, mit denen sich die Banken verpflichteten, Projekte, welche die Umwelt schädigen könnten, in Zukunft nicht mehr zu fördern.

Kredite, wie der an Sibneft, die an kein bestimmtes Projekt gebunden sind, unterliegen diesen Richtlinien nicht. Die von der WestLB unterstützte Ölförderung führt auch in Westsibirien flächendeckend zu Umweltschäden. Die Ölfirmen investieren unzureichend in die Instandhaltung der Pipelines. So versickern wegen Leckagen bis zu sieben Prozent des transportierten Öls in den Wäldern und Gewässern, verschmutzen das Grundwasser und kommen als dreckiges Leitungswasser in den Haushalten der Regionen an. In der Folge treten vermehrt Krankheiten wie z.B. Krebs oder auch Blutanämie bei Kindern oder Krebs bei Erwachsenen auf. Die WestLB schweigt zu diesem Thema Medien gegenüber (z.B. WDR).

Relevanz

Die WestLB zählte Ende 2004 mit einer Konzern-Bilanzsumme von 253,8 Milliarden Euro zu den finanzstärksten und einflussreichsten Finanzdienstleistern in Deutschland. Der Kredit an Sibneft war laut Detlef Flintz (WDR-Autor, s.u.) der größte, der je von einer deutschen Bank an eine russische Ölfirma vergeben wurde.

Da die WestLB eine öffentliche Bank ist, hat sie Gemeinnützigkeitsstatus und muss ihr Tun und Handeln vor der Öffentlichkeit rechtfertigen. Die Kredite an die sibirischen Ölfirmen vergab die WestLB projektungebunden. Damit sind die Kreditnehmer nicht an vorgegebene Auflagen gebunden. Da sich diese Ölfirmen nicht an Umweltstandards halten, liegt die Mitverantwortung bei der WestLB, die in Firmen investiert, die für die Umweltzerstörung in Westsibirien zuständig sind. Im Aufsichtsrat der WestLB sitzen Abgeordnete aus dem demokratisch legitimierten Landtag und der Landesregierung, welche die Entscheidungen der WestLB mittragen und zu einer öffentlichen Stellungnahme verpflichtet sein müssten. Zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Kredit an Sibneft waren das Edgar Moron (Fraktionsvorsitzender im Landtag), Ernst Schwanhold (damaliger Wirtschaftsminister) und Peer Steinbrück (seinerzeit Finanzminister). Diese drei haben dem WDR gegenüber eine Stellungnahme verweigert.

Vernachlässigung

Das Thema beinhaltet zwei Aspekte, die vernachlässigt werden. Zum einen die Umweltschäden bei der Ölförderung in Westsibirien und zum anderen die Mitverantwortung der WestLB daran. Berichtet hat zum einen die taz in wenigen Artikeln, weiterhin gab es einen WDR-Dokumentarfilm dazu.

Die breite Berichterstattung konzentriert sich jedoch nicht auf die Umweltschäden in Westsibirien, sondern auf die Umweltschäden in einem von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärten Gebiet, das vor der Kurischen Nehrung liegt und zu Russland und Litauen gehört. Hierzu wird in der Presse ausführlich über aktuelle Proteste gegen die Kreditvergabe verschiedener deutscher Banken berichtet, u.a. auch der WestLB, der Bayerischen Landesbank und privater Banken. Die Kredite sind für Ölförderungen im „D6-Ölfeld“, das sich auf russischer Seite in der Ostsee befindet. Durch den Status eines Weltkulturerbes ist hier die Aufmerksamkeit der Presse wohl eher gegeben als in Sibirien. (Siehe dazu auch u.a. „Süddeutsche Zeitung“: Die Macht des Kapitals, vom 17. Juni 2005: Dieser Artikel geht zwar kurz auch auf die Äquator-Richtlinien ein, befasst sich aber weder mit den Geschäften der WestLB noch mit den Umweltschäden in Sibirien.)

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Quellen

WDR-Dokumentation: „Die Sibirien-Connection. Die WestLB macht in Öl“. Autor: Detlef Flintz, Redaktion: Jo Angerer, 07.03.2005

Greenpeace-Studie: Erdöl – Gefahr für Umwelt, Klima, Menschen. Die schmutzige Spur des schwarzen Goldes. www.greenpeace.at/uploads/media/oel_gefahr_fuer_umwelt_klima_und_mensch.pdfwww.equator-principles.com

Detlef Flintz, Autor des Films „Die Sibirien-Connection“, Redaktion „Die Story“ beim WDR, 23.05.2005

Maren Jung von Urgewald, Assistenz der Geschäftsführung, Kampagnen-Unterstützung, Übersetzungen, 16.05.2005

Karsten Smid von Greenpeace, 30.05.2005

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Kommentare

Karsten Smid, Sprecher von Greenpeace Hamburg:

Aufgrund der unzureichenden Organisation der Umweltschützer und der starken Repressionen, die sie seitens des Staates und der Ölindustrie erfahren, wendet sich die Bevölkerung nicht an die Außenwelt. Weiterhin wird die Bevölkerung in den betroffenen Gebieten durch kleine Hilfsaktionen von der Öl- und Gasindustrie bestochen, damit sie ihre Beschwerden nicht an die Öffentlichkeit bringen. Dadurch geraten sie in eine wirtschaftliche Abhängigkeit, die dann von den Unternehmern ausgenutzt wird. Die Öl- und Gasindustrie ist in diesem Gebiet der Wirtschaftsfaktor Nr. 1, von deren Produkten auch die westlichen Staaten abhängig sind. Auch Deutschland bezieht seine Ölvorräte aus diesen Gebieten, daher sieht sich Deutschland nicht veranlasst gegen die Umweltauflagen zu widersprechen. Damit stehen auch die europäischen Länder in großer Verantwortung. Zudem sind die vergebenen Kredite der WestLB nicht projektgebunden. Damit werden keine Auflagen erhoben, an die sich die Kreditnehmer zu richten haben. Beispielsweise ist der Ölkonzern „BP“ mit 6 Milliarden Dollar in ein Förderungsunternehmen eingestiegen und hat damit 50 Prozent der russischen Ölfirma „Tumen Oil“ erworben. Gleichzeitig hat er den Preis für diese Teilhabe aufgrund der herrschenden Umweltschäden runtergehandelt. Der Versuch der Berliner Staatsanwaltschaft gegen die Verursacher der Umweltschäden in diesem Fall vorzugehen, wurde aufgrund des „geringen“ Interesses der russischen Staatsanwaltschaft abgebrochen.

Detlef Flintz, Autor der WDR-Dokumentation „Die Sibirien Connection“

Die Ölförderung in Westsibirien ist Paradebeispiel dafür, wie Russland für Deviseneinnahmen und Wachstumsziele rücksichtslos seine Reserven ausbeutet und das Leben seiner Menschen aufs Spiel setzt: Tausende Kilometer von der Baikalsee-Idylle entfernt liegt eines der größten und zugleich am stärksten verschmutzten Ölfördergebiete der Welt. Trinkwasser und Nahrungsmittel sind verseucht, die Krebskrankheiten nehmen dramatisch zu. Seit dem Zusammenbruch des Sozialismus betreiben private Konzerne das schmutzige Geschäft weiter.

Eine deutsche Staatsbank erweist sich als kongenialer Partner, der die Einhaltung ökologischer Standards hintanstellt, wenn es um den Profit geht: Die Westdeutsche Landesbank gehört u.a. dem Land Nordrhein-Westfalen; in den Aufsichtsgremien der WestLB sitzen sogar Vertreter der Regierung. Trotzdem arrangiert die Bank Milliardenkredite für ein ökologisches Krisengebiet in Russland.

Soviel zur Relevanz des Themas. Nun zur Ignoranz:

Die „Grünen“ in NRW wollten auch nach Aufdeckung des Sachverhalts die Ölkredite der WestLB nicht zum Thema machen. Nicht publik machen, dass ihr großer Koalitionspartner sie hintergangen hat, als namhafte SPD-Vertreter in den Kontrollgremien der Bank Umweltstandards schlichtweg nicht eingefordert haben – obwohl die anlässlich einer früheren Pipeline-Finanzierung der WestLB für Ecuador beschlossen wurden. Ein Schelm, der beim Schweigen der „Grünen“ an die damals bevorstehenden Wahlen in Nordrhein-Westfalen denkt.

Die Medien beweisen einmal mehr, dass sie in toto Themen erst dann ernst nehmen, wenn jemand einen Anlass liefert. Doch – anders als 2002 beim Pipeline-Kredit für Ecuador, der die Öffentlichkeit (zu Recht) mehr als ein Jahr lang beschäftigte – prangert keine grüne Politikerin die noch weit größeren Missstände in Westsibirien an, gibt es keine Debatten im Parlament über die fragwürdige Rolle der eigenen Bank – und gibt es keine Umweltorganisation, die mediengerecht vor Bank und Landesregierung demonstriert.

Und so können russische Ölkonzerne und eine deutsche Staatsbank ihre Arbeit fortsetzen, unbehelligt im wahrsten Sinne des Wortes.