2005: Top 7

Deutschland verschläft die Energiewende

Deutschland bezieht derzeit 84 Prozent seines Energiebedarfs aus fossilen Energieträgern. Obgleich diese nur noch wenige Jahrzehnte verfügbar sind und die Energienachfrage weltweit steigt, will die Bundesregierung den Anteil der erneuerbaren Energien bis 2020 auf 10 Prozent des Primärenergiebedarfs steigern – heute sind es 3,6 Prozent. Ein hundertprozentiger Ersatz der fossilen Energieträger ist weder geplant, noch in Sicht. Um die absehbare Versorgungslücke zu schließen, müssten wesentlich intensivere Anstrengungen unternommen werden. Zwar wird über neue Energien und auch über das Ende der fossilen Energien berichtet, nicht jedoch darüber, dass es keinen adäquaten Ersatz gibt.

Sachverhalt und Richtigkeit

Im Jahr 2004 wurden 60 Prozent des deutschen Energiebedarfs durch fossile Brennstoffe gedeckt; der Anteil der Kernenergie betrug 30 Prozent, während erneuerbare Energien lediglich auf einen Beitrag von 10 Prozent kamen.

Fossile Energieträger (Stein- und Braunkohle sowie Erdöl und -gas) sind endliche Ressourcen. Bei gleich bleibender Förderung aller bekannten und vermuteten Reserven beträgt die geschätzte Verfügbarkeit („statische Reichweite“) von Erdöl und Erdgas lediglich noch 43 bzw. 64 Jahre; bei Kohle sind dies knapp 200 Jahre.

Diese Zahlen sind jedoch irreführend, da sie von einem gleich bleibenden Energiebedarf ausgehen. In der Realität ist jedoch der gesamte Energieverbrauch weltweit im Jahr 2004 um 4,3 Prozent gestiegen; mit einer zunehmenden Beschleunigung dieses Anstiegs ist zu rechnen. Allein der Energiebedarf Chinas wuchs im Jahr 2004 um 15,1 Prozent (Indien: 7,2 Prozent). Innerhalb der letzten drei Jahre ist der chinesische Energiebedarf gar um 65 Prozent gestiegen.

Auf der Basis dieser Zahlen ist davon auszugehen, dass es bereits wesentlich früher zu Verteilungskämpfen, einer damit verbundenen drastischen Verteuerung und schließlich zum Versiegen der fossilen Energieträger kommen wird. Die taz schreibt dazu: „Für Optimisten sind die Erdölvorräte der Welt noch längst nicht erschöpft, Pessimisten sehen die Krise etwa für das Jahr 2020. Die Experten zwischen den Extremen schauen auf die Zeit kurz nach 2030.“

Da die statische Reichweite des Natururans lediglich bei geschätzten 50 Jahren liegt, stellt auch die Kernenergie keine Alternative zur hinreichenden Kompensierung der versiegenden fossilen Energieträger dar; die dringende Notwendigkeit der adäquaten Vorbereitung auf die anstehende Energiewende durch eine deutliche Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien an der Energieversorgung liegt auf der Hand.

Im krassen Widerspruch dazu stehen die Ziele der Bundesregierung, den Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung bis zum Jahr 2010 auf 12,5 Prozent und bis zum Jahr 2020 auf 20% zu steigern.

Eine im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) durch ein Forscherteam erarbeitete Leitstudie „Ökologisch optimierter Ausbau der Nutzung der erneuerbaren Energien in Deutschland“ stellt die wenig optimistische Prognose auf, dass selbst im Jahr 2050 der Anteil fossiler Energieträger an der Stromerzeugung noch bei 35%, der Anteil an der Deckung des Wärmebedarfs gar noch bei 50 Prozent liegen wird.

Relevanz

Die Bedeutung einer ausreichenden Versorgung mit Energie ist nicht von der Hand zu weisen. Neben der Industrie, die den größten Anteil am deutschen Energieverbrauch hat, hängt nicht zuletzt auch die Sicherung von Lebensstandard und -Qualität jedes Einzelnen davon ab.

Ob Kommunikation oder Mobilität, ob medizinische Versorgung oder einfache Lebensgrundlagen wie Nahrung und (beheizter) Wohnraum – wir sind abhängig von Energie und ihrer ausreichenden Verfügbarkeit. Darüber hinaus hängen ganze Branchen der Bereiche Förderung, weiterverarbeitende Industrie sowie Handel von der Verfügbarkeit fossiler Energieträger ab – und mit ihnen unzählbar viele Arbeitsplätze, die bei dem Wegfall der fossilen Energien verloren gehen.

Vor dem Hintergrund der tief greifenden Veränderungen, die das baldige Versiegen der fossilen Energieträger für unsere Gesellschaft bedeutet, kann nicht früh genug mit den Vorbereitungen für die Energiewende begonnen werden.

Die Erforschung und Entwicklung geeigneter Technologien erfordert Zeit, ebenso wie die Ausbildung geeigneten Fachpersonals für die Herstellung, Wartung und Bedienung der Anlagen. Bei rechtzeitiger Einsicht in die Dringlichkeit der Erforschung und Entwicklung von Technologien zur effizienten Nutzung regenerativer Energiequellen hat Deutschland die Chance, auf diesem Sektor eine weltweite Spitzenposition einzunehmen.

Wird die Energiewende jedoch verschlafen, so wird dies Auswirkungen von nicht gekannter Härte nach sich ziehen.

Vernachlässigung

Die Berichterstattung zum Ende der fossilen Energien ist sicherlich ausreichend in den Medien repräsentiert, was auch Dr. Johannes Peter Gerling von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe sowie Christoph Schrader von der Abteilung Wissen der Süddeutschen Zeitung bestätigten.

Eine Auswahl aus kürzlich erschienenen Artikeln, die sich allerdings ausschließlich mit dem Ende der fossilen Energien befassen:

• Tagesanzeiger vom 5. Dezember 2005 – von Matias Frei

„Die weltweiten Erdölquellen versiegen langsam“

• taz, die tageszeitung vom 19. Juli 2005 – von Hauke Ritz

„Die Desinformation der Ölmultis“

• Süddeutsche Zeitung vom 13. April 2005

„Hinter dem Hügel; Eine Welt ohne Öl? Uns doch egal!“

• taz, die tageszeitung vom 14. Januar 2005 – von D. Babusiaux / P.-R. Bauquis „Der Albtraum vom endlichen Öl“

• Frankfurter Rundschau vom 13. Januar 2005 – von Jürgen Trittin

„Wir müssen weg vom Öl; Der Schlüssel zur Versorgungssicherheit und zum Klimaschutz ist die Organisation einer umfassenden Energiewende.“

Weitere Artikel gingen zwar auf die gegebene Notwendigkeit einer Energiewende ein, beschrieben die bislang dazu eingeleiteten Maßnahmen und Vorkehrungen jedoch durchweg positiv:

• Stuttgarter Nachrichten vom 07. Oktober 2005

„Erneuerbare Energien werden unterschätzt – Hermann Scheer (Eurosolar) über die Deckung des Weltenergiebedarfs nur mit Hilfe von Sonne, Wind, Wasser und Biomasse.“

• Tages-Anzeiger vom 26. Februar 2004 – von Martin Laeubli

„Es hat genügend fossile Energie“

Betrachtet man aber den Aspekt der bislang unzureichenden Maßnahmen für den Ersatz der fossilen Energieträger durch regenerative Energien, so findet man keinerlei ausführliche Berichte oder Artikel in den Medien.

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Kommentare

Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) teilt mit:

„Die Energiepolitik unter Rot-Grün ist nie davon ausgegangen, dass erneuerbare Energien 1:1 fossile Energieträger ersetzen könnten, jedenfalls nicht mittelfristig. Ziel der Energiepolitik war vielmehr, 1. Verbesserung der Energieeffizienz in der [konventionellen] Stromerzeugung […], 2. Verbesserung der Effizienz im Verbrauch (‚Energie-Sparen’), 3. massiver Ausbau der EE mit dem Ziel, bis 2020 mindestens 20% des heutigen Verbrauchs daraus zu decken.“

Greenpeace Deutschland stellt bei der Beobachtung der Berichterstattung in den deutschen Medien fest:

„Über dieses Thema wird deutlich zu wenig berichtet, bzw. die Konsequenzen werden nicht deutlich genug kommuniziert. Die ‚statische Reichweite’ der Ölreserven ist ein Begriff, der von den Ölkonzernen bewusst zur Irreführung der Öffentlichkeit benutzt wird (Esso mit dem ‚Öldorado’, BP mit den Ölstatistiken).“

Colin Campbell, einer der führenden Experten zum Thema, prägte in den vergangenen Jahren den Begriff des „peak oil“ – die Bezeichnung für den Scheitelpunkt der Erdölförderung, nach dessen Erreichen trotz Entdeckung neuer Ölfelder die weltweit geförderte Menge sinken wird. Das absehbare Versiegen fossiler Energieträger kommentiert er wie folgt:

„The problem is that it is an entirely new situation for never before has a resource as critical as oil begun to decline without sight of a better substitute. Oil is also central to the modern way of life, so the consequences of its decline are immense. It is therefore difficult for people to accept and react.”