2005: Top 6

Fehler im System: Wie der „Grüne Punkt” ausgehebelt wird

Totalverweigerer, Schiebereien, Fälschungen: Rund um die Müllverwertung in Deutschland gibt es etliche fragwürdige Praktiken. Seit 1990 sammelt und trennt das „Duale System Deutschland” (DSD) den Müll. Nach Angaben des DSD sind aber nur 60 Prozent aller verkauften Verpackungen überhaupt lizenziert. Weiterer Knackpunkt: Die EU-Kommission hat entschieden, dass das Unternehmen auf seinen „Grünen Punkt” kein Copyright erheben darf. Seitdem kann jeder Verpackungshersteller auf seine Produkte das Signet drucken, ohne Lizenzgebühren zu bezahlen. So entsorgt die Drogeriekette „dm” ihre Verpackungen selbst und zeichnet diese trotzdem mit dem Symbol aus. Einige Selbstentsorger nehmen in ihren Filialen nicht genug Abfall zurück, um ihre Wiederverwertungsquoten zu erfüllen. So kam es in den vergangenen Jahren zu einem virtuellen Handel mit so genannten Wiegescheinen. Fachleuten und Behörden ist das bekannt, dennoch geschieht nichts.

Sachverhalt & Richtigkeit

Arbeitet man sich in das Thema „Müll“ ein, kommt eine Erkenntnis sehr schnell: Von der komplizierten Materie haben selbst die offiziellen Stellen nicht immer Ahnung (Umweltministerium des Landes NRW), andere Experten widersprechen sich oder sagen wissentlich die Unwahrheit. Was als kleine Recherche zum Sinn des Dualen Systems begann, landete schon nach wenigen Telefonaten in einem Dschungel der vielen Ungereimtheiten des Müllsystems, durch welchen sich bislang wohl nur wenige Journalisten durchgekämpft haben.

So ergaben sich aus der Anfangsrecherche neun Themenschwerpunkte, die berichtenswert sind:

1. Grundlagen des Systems der Mülltrennung

Kaum ein Verbraucher kennt sich mit dem verschachtelten Weg aus, den der Müll geht, nachdem er in den Haushalten getrennt wurde. Hartnäckig hält sich deswegen das Gerücht, die getrennten Verpackungen würden hinterher doch sowieso wieder zusammengeworfen.

Die Fehlerwurfquoten der Haushalte, also in die falsche Tonne entsorgter Müll, liegen seit Jahren bei rund 40 Prozent, Tendenz steigend. Ein Artikel, der das Müllsystem einmal erklärt, wäre somit dringend notwendig.

Der Weg des Mülls: Alle Verpackungen, die in den Gelben Sack geworfen wurden, werden von einem Entsorger, der von den Systembetreibern (Duales System Deutschland AG (DSD) und in einigen Bundesländern noch Landbell und Interzero) beauftragt wurde, abgeholt und in eine Sortieranlage gebracht.

Die Menge des eingesammelten Mülls muss dabei genauestens dokumentiert werden, denn die Systembetreiber müssen dem Umweltministerium des Landes über einen so genannten Mengenstromnachweis ihre Verwertungsquoten nachzuweisen.

In der Sortieranlage wird der Inhalt der Gelben Säcke dann in einzelne Materialfraktionen (Aluminium, Kunststoff, Weißblech etc.) sortiert und landet in großen Behältern.

Und nun wird aufgeteilt: Da im Gelben Sack seit Öffnung des Müll-Marktes durch das Kartellamt nicht nur die von der DSD lizenzierten Verpackungen liegen, sondern zum Beispiel in NRW auch die der Systembetreiber Landbell und Interzero, bekommt jeder Betreiber seinen Anteil aus den sortierten Fraktionen gutgeschrieben.

Die „reinen“ Materialien werden im nächsten Schritt dann von den einzelnen Systembetreibern an so genannte Garantiegeber, die eigentlichen Verwerter, übergeben. Bei einigen Materialfraktionen (Weißblech, Glas etc.) geschieht dies zum „positiven Marktpreis“, das heißt, die Systembetreiber müssen die Garantiegeber nicht für das Wiederverwerten bezahlen. Bei anderen Materialien wie einigen Kunststoffen zahlt der Systembetreiber für die Abnahme.

Die Aufgabe der Garantiegeber ist es dann – wie der Name es schon vermuten lässt – für die Wiederverwertung der Materialien zu garantieren. Auch dieser Prozess wird dokumentiert, die erfassten Werte werden in dem jährlichen Mengenstromnachweis der Systembetreiber zu Wiederverwertungsquoten (Menge der lizenzierten Verpackungen, zum Beispiel verkaufte Verpackungen mit dem Grünen Punkt, im Verhältnis zur wiederverwerteten Menge) zusammengefasst.

Für die Wiederverwertung hat der Gesetzgeber in der Verpackungsverordnung Mindestquoten festgelegt, die es zu erfüllen gilt. „Unabhängige Gutachter“ sollen im Auftrag des Landes den Mengenstromnachweis und die Einhaltung der Quoten kontrollieren.

Das System: Im Dualen Müllsystem gibt es nicht nur Systembetreiber wie die DSD, sondern auch so genannte Selbstentsorger. Laut Gesetz sind diese verpflichtet, wenn sie sich nicht an einem „flächendeckenden Dualen System“ beteiligen, ihre verkauften Verpackungen im Laden selbst zurückzunehmen.

Die meisten Verbraucher wissen davon allerdings nichts. Und so kommt es, dass Drogerien wie dm und Schlecker in ihren Filialen zwar Boxen aufstellen, in welche die Kunden ihre Verpackungen werfen können, aber niemand seine gebrauchte Zahnpasta-Tube zurück in den Laden bringt.

Da die Selbstentsorger aber dieselben Mindestquoten bei der Wiederverwertung zu erfüllen haben wie die Systembetreiber, stehen sie vor einem Problem: Woher den Müll zum Wiederverwerten nehmen?

Einfache Antwort: Sie kaufen ihn zurück. Zum Beispiel von den Sortieranlagenbetreibern, denn in den Gelben Säcken, die dort sortiert werden, liegt jede Menge von jenem Müll, der eigentlich hätte zu den Drogerie-Filialen zurückgebracht werden müssen.

Da die Selbstentsorger aber nicht wirklich an „Müll“ interessiert sind, sondern nur auf dem Papier ihre Quoten erfüllen wollen, kommt es zum so genannten Wiegescheinhandel (mehr dazu weiter unten). In den Medien wurde diese Praxis, die das gesamte System ad absurdum führt, jedoch in den vergangenen Jahren nicht aufgegriffen.

2. Ausstattung der Sortieranlagen

Dass das Gerücht „Die Sachen werden hinterher doch sowieso wieder alle zusammen geworfen“ nicht stimmt, zeigt der komplizierte Sortierungs- und Wiederverwertungsprozess. Aber dennoch gibt es Ungereimtheiten über das, was mit dem von den Haushalten getrennten Abfall passiert.

Wichtig ist hierbei die Frage: Wie viel von dem, was der Verbraucher in den Gelben Sack wirft, landet dann doch in der Müllverbrennungsanlage? In einigen Gebieten lautet die Antwort: bis zu 50 Prozent. Das liege an den Fehlwürfen der Verbraucher und den nicht-lizenzierten Verpackungen von „Trittbrettfahrern“, moniert die DSD.

Doch gibt es immer auch noch die Sortierreste bzw. den Kleinstmüll (z.B. Milchdöschen, bei welchen es „nicht zumutbar“ ist, den Aludeckel vom Plastikkörper zu trennen). Wie hoch deren Anteil am Gesamtaufkommen des sortierten Mülls ist, konnte nicht abschließend geklärt werden.

Ein hoher Anteil würde jedoch das ganze System in Frage stellen. Denn: Warum trennen die Verbraucher dann? Und warum müssen sie für Produkte einen Mehrpreis für die Grüne-Punkt-Lizenz bezahlen, obwohl der Müll trotzdem nicht auseinander sortiert werden kann?

Seitens DSD und Cyclos heißt es, Kleinstmüll käme nicht vor, da die Maschinen so modern seien, dass sie alles auseinander sortieren könnten. Bleibt die Frage, wie viele der rund 300 Sortieranlagen in Deutschland denn so modernisiert sind.

3. Gewerbeabfall zur Aufbesserung der Quoten

Die DSD (über-)erfüllt seit Jahren ihre vorgegebenen Wiederverwertungs-Quoten für den mit grünem Punkt ausgezeichneten und eingesammelten Abfall.

Doch ist der Müll, der aus der Sortieranlage kommt und von den Garantiegebern wiederverwertet wird auch der Müll, den der Verbraucher in den Gelben Sack geworfen hat? Gunnar Sohn, freier Wirtschaftsjournalist, sagt: Nein. Erhebliche Mengen an DSD-Verpackungen (grüner Punkt) würden nach Hausmüllanalysen von den Kommunen wie normaler Müll entsorgt.

Dies hat im Jahr 1999 Prof. Klaus Wiemer von der Universität Kassel herausgefunden. Stellt man seine ermittelten Zahlen nun den von der DSD ausgewiesenen Verpackungsmengen aus Gelben Säcken gegenüber, so zeigt sich, dass im Hausmüll erheblich größere Mengen an Grüner-Punkt-Abfall enthalten sind, als es dies auf Grundlage der DSD-Daten möglich sein dürfte.

Woher kommt also der Müll, den die DSD von den Sortieranlagen gutgeschrieben bekommt? Professor Klaus Wiemer vermutet: aus dem Gewerbe. Recyclingunternehmen bestätigten gegenüber Gunnar Sohn anonym diesen Verdacht. Seine Schlussfolgerung: Falls dies zutrifft, kassiert der Sortieranlagenbetreiber doppelt – einmal für die Abnahme gewerblicher Baufolien, Schaumstoffe und Kartons beim jeweiligen Bau- und Gewerbeunternehmen (etwa 300 DM pro Tonne) und dann für die angeblichen Grüner-Punkt-Tonnagen.

Baumüll würde in Ballen gepresst und dann dem aus Gelben Säcken gesammelten Müll untergeschoben. Der DSD wisse von dieser Praxis, dulde sie aber, da sie so ihre Quoten aufbessere. Bei DSD und Cyclos, dem angeblich „unabhängigen Gutachterbüro“, welches die Mengenstromnachweise von DSD kontrolliert, wurde dieser Vorwurf zurückgewiesen. Prof. Wiemer ginge von falschen Bezugszahlen aus.

4. Konkurrenz für DSD

Als der jahrelange Monopolist DSD durch einen Beschluss des Kartellamtes Konkurrenz von anderen Systembetreibern bekam, stieß dies seitens der DSD natürlich nicht auf Begeisterung.

Nun erhebt der vom Sockel gestoßene Müllkönig (der immer noch den überwiegenden Teil des Systems unter sich vereint) den Vorwurf, durch die Konkurrenz von Interzero und Landbell erhöhe sich der oben erwähnte Sortierrest, der schließlich der Verbrennung zugeführt würde. In den Gelben Säcken liege schließlich viel Abfall, der von keinem der drei Systembetreiber lizenziert wurde und deswegen auch von keinem abgenommen werde. Habe sich früher noch die DSD diesem Material angenommen, sei sie nun wegen schwindender Kundenzahlen dazu finanziell nicht mehr in der Lage.

5. Wiegescheinhandel zwischen Selbstentsorger und Sortieranlage

Wie oben beschrieben, nehmen die Selbstentsorger in ihren Filialen nicht genug Abfall zurück, um im Verhältnis zu ihren verkauften Verpackungen die Wiederverwertungsquoten zu erfüllen. So sei es in den vergangenen Jahren anstelle von realen Müllaufkäufen zu einem so genannten virtuellen Wiegescheinhandel gekommen, von dem man sowohl im Umweltministerium NRW als auch bei der DSD und bei Cyclos weiß.

Nutznießer dieser Betrügereien seien die Sortieranlagenbetreiber gewesen, die sich für dieselben Wiegescheine sowohl von der DSD als auch von den Selbstentsorgern bezahlen ließen. Um diese Praxis zu vermeiden, hat das Gutachterbüro Cyclos der DSD geraten, die Wiegescheine für den Abfall, sobald er in der Sortieranlage eintrifft, mit dem Vermerk „Systemmaterial“ zu versehen.

Was sich seitdem geändert hat, ob solch ein Betrug noch vorkommt und wie die Selbstentsorger ansonsten ihre Quoten erfüllen, wäre eine weitere Recherche wert.

6. Totalverweigerer

Ein weiteres akutes Problem des Systems, welches dieses zum Teil infrage stellt, sind die Totalverweigerer: Kleine Bäckereien und Fleischereien aber auch Baumärkte etc., die Verpackungen verkaufen, sich aber weder am Dualen System beteiligen noch als Selbstentsorger deklarieren.

Nach Angaben der DSD sind nur 60 Prozent der insgesamt verkauften Verpackungen überhaupt lizenziert (inklusive Selbstentsorger), das bedeutet, der Anteil der Totalverweigerer macht 40 Prozent des gesamten Müllaufkommens in der Verkaufsindustrie aus.

Warum geht man dann nicht offensiv gegen diesen eindeutigen Gesetzesbruch vor? Das lohne sich nicht, außerdem habe die Kommune, die dafür zuständig wäre, nicht genügend Personal, erklärt Gunnar Sohn. Vor einigen Jahren sei ein Betrieb namens Norma wegen dieser Ordnungswidrigkeit angezeigt worden.Da darauf aber nur Bußgelder zwischen 100 und 1000 Euro stehen und jeder Verstoß erneut ermittelt werden müsste, mache sich niemand die Mühe. Und für die Totalverweigerer seien mögliche Anzeigen immer noch günstiger als die Beteiligung am System.

Warum geht man gegen diese Lücke im System nicht vor oder ändert etwas am Gesetz? Denn durch die Totalverweigerer wird die ganze Verordnung völlig überflüssig.

7. Grüner Punkt ohne Copyright

Eine weitere Absurdität des ganzen Systems gibt es seit 2001: In diesem Jahr hat nämlich die EU-Kommission entschieden, dass die DSD für ihren Grünen Punkt kein Copyright halten dürfe. Die Konsequenz: Seit dieser Zeit kann jeder Verpackungshersteller auf seine Produkte einen Grünen Punkt drucken, ohne sich per Lizenzen an dem System zu beteiligen.

Konkret heißt das: Auch wenn dm ein Selbstentsorger ist, dürfen für dm hergestellte Verpackungen mit dem Grünen Punkt ausgezeichnet sein.

Die Begründung der EU-Kontrolleure: Ein Copyright verzerre den Wettbewerb. Da ein Verpackungshersteller nicht nur Verpackungen herstelle, die in den Außenverkauf gingen und somit lizenziert werden müssten, sondern auch solche, die im Laden verbleiben (z.B. Obstverpackungen), würde er, gäbe es ein Copyright, entweder für zu viele Verpackungen bezahlen oder eine getrennte Produktion aufbauen müssen. Und das sei zu teuer und damit wettbewerbswidrig (Darstellung von der DSD, genaue Begründung muss bei weitergehender Recherche noch einmal nachgelesen werden).

Interessant wäre es – neben der medialen Diskussion über diese Entscheidung – zu untersuchen, wie sich das Verhalten der Unternehmen, die ihre früher Produkte lizenzieren mussten, seit der Entscheidung der EU-Kommission 2001 entwickelt hat. Ist die Anzahl der Trittbrettfahrer gestiegen?

8. Verflechtungen innerhalb des Systems

Wie oben beschrieben, müssen die Systembetreiber dem Umweltministerium des Landes per Mengenstromnachweis Rechenschaft über ihre Wiederverwertungsquote ablegen. Diese wird dann laut Gesetz von einem „unabhängigen Gutacher“ überprüft. Dieser „unabhängige Gutachter“ ist im Fall der DSD das Gutachterbüro Cyclos aus Osnabrück. Aber: Cyclos wird von der DSD bezahlt.

Ruft man bei den Gutachtern an, ist das Zögern gegenüber der Presse auffällig „wie viel man den sagen dürfe, weil DSD ja der Auftraggeber ist“. Der Auftraggeber ist nach offiziellen Angaben das Land NRW, die DSD bezahle nur, weil sie ja in der Pflicht des Nachweises stehe (und das Land kein Geld hat).

Die Frage: Wie unabhängig sind Gutachter noch, wenn sie ihren eigenen Brötchengeber kontrollieren sollen? Warum ist eine solche Verflechtung überhaupt möglich? Weitere pikante Vorwürfe erhebt in diesem Zusammenhang Gunnar Sohn: Eine der beiden Geschäftsführerinnen von Cyclos, Agnes Bünemann, sei vor ihrer Einstellung durch die DSD als Vorsitzende des BUND eine der härtesten Kritikerinnen des Dualen Systems gewesen und habe noch 1993/94 ein sehr kritisches Buch über das Duale System geschrieben.

Seitdem sie von der DSD bezahlt wird, höre man allerdings nichts mehr in diese Richtung. Auch andere Kritiker wie der NABU und das Öko-Institut habe die DSD gekauft – mit Forschungsgeldern.

9. Der umweltökonomische Sinn des Dualen Systems

In vielen Punkten ist es schon angeklungen: Der umweltökonomische Sinn des jetzigen Dualen Systems ist sehr fragwürdig. Die hohen Fehlerwurfquoten in den Haushalten, die mit den Jahren eher noch schlechter als besser geworden sind, würden ein System einer „gemischten Tonne“ nahe legen, die dann erst in den Sortieranlagen zwischen wieder verwertbarem und Restmüll trennt. Solche Systeme wurden bereits entwickelt (zum Beispiel das Prinzip des Trockenstabilators im Lahn-Dill-Kreis), die DSD hat ihre Anwendung aber gerichtlich untersagen lassen.

Auch die DSD-Aussage, nur 60 Prozent der Verpackungen im Verkauf seien überhaupt lizenziert, weckt den Ruf nach stärkeren Kontrollen oder Alternativen zum jetzigen System. Doch warum werden diese nicht diskutiert? Bärbel Höhn (Die Grünen) in NRW und die FDP in Hessen haben zwar Vorstöße gewagt und Alternativmodelle ausprobieren lassen bzw. erwogen – eine gesellschaftliche Diskussion in den Medien über eine Änderung des Müllsystems hat es aber nicht gegeben. Bei einem Marktvolumen von 50 Milliarden Euro und all den oben erwähnten Absurditäten höchst merkwürdig.

Relevanz

Jeder Bürger wird durch die Mülltrennung im eigenen Haushalt, gelbe Säcke und den Grünen Punkt auf den Verpackungen mit dem System konfrontiert – die Hintergründen kennt aber kaum jemand. Dabei bezahlt alleine der Verbraucher das ganze System: Jede von der DSD (und anderen Systembetreibern) lizenzierte Verpackung kostet einige Cent mehr – damit wird die Entsorgung bzw. Wiederverwertung des Produkts gleich in Rechnung gestellt.

Insgesamt 25 bis 30 Milliarden Euro haben die Verbraucher nach Schätzungen von Gunnar Sohn in den vergangenen 15 Jahren für den Grünen Punkt gezahlt – ein erheblicher Betrag, bei dem die Kunden ein berechtigtes Interesse daran haben dürften, dass dieser auch umweltökonomisch sinnvoll eingesetzt wird.

Eine Diskussion über das bestehende System mit seinen Stärken und Schwächen ist somit das Mindeste, was sie verlangen können.

Vernachlässigung

Obwohl das 15-jährige Bestehen der DSD im Jahr 2005 genug Gelegenheit geboten hätte, einmal eine Bilanz des Dualen Systems zu ziehen, wurde diese Chance von kaum einem Medium genutzt. Die DSD war zwar vor allem in der Wirtschaftspresse Thema, als dieses zuvor Non-Profit-Unternehmen durch eine Private-Equity-Firma, die US-amerikanische KKR, aufgekauft wurde. Einzig in einem taz-Artikel darüber wurden einige der recherchierten Bereiche angesprochen, auf keinen wurde jedoch ausführlich eingegangen.

Bei einigen Themenaspekten (zum Beispiel „Verflechtungen im System“) konnte man bei der Recherche sogar bis zu 15 Jahren zurückgehen, ohne in der Pressedatenbank einen einzigen relevanten Artikel zu finden. Zum Thema Totalverweigerer finden sich zwar mehrere relevante Artikel („Lebensmittel Zeitung“ und „Die Welt“), meist sind sie aber aus Sicht der DSD geschrieben und stellen nicht in Frage, ob das ganze System vielleicht keinen Sinn macht. Zwei ausführliche Artikel finden sich auch zur Frage des umweltökonomischen Sinns des Systems – sie stammen allerdings aus dem Jahr 1998.

Fazit: Alle neun Aspekte des Dualen Systems sind zumindest im vergangenen Jahr vernachlässigt worden. So wurden einige zwar am Rande von Artikeln gestreift, kaum ein Text befasste sich aber explizit mit den oben ausformulierten Problemfällen. Wenn etwas thematisiert wurde, dann immer von der gleichen Autorin in der „Lebensmittel Zeitung“.

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Quellen

I. Medien

01.03.1998, Capital:

O-Ton: „Ein kämpferischer Landrat probt den Aufstand gegen die gelbe Tonne und das Duale System. Mit einem neuen Verfahren lassen sich Milliarden sparen. Niederschmetternd ist das Bremer Urteil über die Kunststoffverwertung: Ein Drittel wandert in den Restmüll, der Großteil wird verbrannt, ein Teil nach Nordkorea exportiert, nur ein Fünftel „rohstofflich verwertet“. Fazit der Analyse: Nach den „vorliegenden Ergebnissen muss das bisherige Konzept der Verpackungsverordnung … aus dem Gelben Sack als gescheitert betrachtet werden. Hierfür sprechen auch die hohen Kosten, die ökologische Fragwürdigkeit, mögliche hygienische Probleme sowie der Unmut vieler Bürger über Stadtbildverschandelung durch Gelbe Säcke.“

28.06.1998,Welt am Sonntag:

O-Ton: „Jeder Fussel landet im Gelben Sack, doch mit der Ökowut steigen die Kosten, ohne dass der deutsche Müllberg abnimmt…..So richtig zufrieden scheint nur der DSD mit sich zu sein.“

08.07.2005, Lebensmittel Zeitung:

Interview mit Prof. Dr. Erich Greipl (von DSD): Er erwähnt die „Ablasspraktiken“ der Selbstentsorger, konkretisiert dies aber nicht.

24.08.2005, Frankfurter Rundschau:

Längerer Artikel: FDP in Hessen fordert, Verpackungen maschinell trennen zu lassen – die Sortieranlagen seien weit genug entwickelt / CDU in der Landesregierung ist skeptisch

Fazit: Alternativen werden wohl diskutiert, sind aber nicht beschrieben. Auch keine Erwähnung bzw. Diskussion über das jetzige System.

22.10.2005, taz:

Längerer Artikel: Neue Imagekampagne der DSD / Unregelmäßigkeiten beim Aufkauf durch KKR beschrieben / Artikel erklärt System und die Rücklagenbildung von DSD

Fazit: Beschreibt neben Unregelmäßigkeiten beim Aufkauf durch KKR teilweise das System der Mülltrennung, die Kartellentscheidung und ein bisschen das Problem der Totalverweigerer.

03.11.2005, dpa:

Meldung: DSD will gegen Trittbrettfahrer beim Grünen Punkt vorgehen / kündigt Stichproben bei Sortieranlagen für Anfang 2006 an

Fazit: Spricht Thema der Trittbrettfahrer an, erklärt aber nicht, wie es dazu kommt und was diese machen.

13.12.2005, afp

Mittellanger Artikel: Politiker wie Bärbel Höhn fordern die Überprüfung des Müllsystems / Anfang 2006 sollen die Ergebnisse von Studien über gemischte Tonnen vorliegen

Fazit: Alternative Modelle zum Dualen System werden offensichtlich von der Politik diskutiert, im Artikel aber nicht beschrieben.

30.12.05, Lebensmittel Zeitung:

Auf der Jagd um Grüne-Punkt-Lizenzen; Wettbewerber positionieren sich – Rätselhafte Personalpolitik – Gemeinsame Marktabsicherung

Fazit: Totalverweigerer sind beschrieben und wie viel Kosten sie verursachen.

Nov./Dez. 1999, Novo-Magazin.de, Analysen für Zukunftsdenker:

Der Grüne Punkt: Das fragwürdige Geschäft mit dem Müll. Von Gunnar Sohn

II. Experten

Thomas Buch, Leiter des Referats für Abfallrecht und Abfallnachweis im Umweltministerium NRW, Kontakt: 12. Dezember 2005.

Dr. Heike Schiffler, Direktorin Kommunikation von DSD, Kontakt: 03. Januar 2006.

Gunda Rachud, Geschäftsführerin der Cyclos GmbH, Kontakt: 03. Januar 2006.

Gunnar Sohn, freier Wirtschaftsjournalist, Kontakt: 07. Januar 2006.

III. Dokumente

Verordnung über die Vermeidung und Verwertung von Verpackungsabfällen vom 21.08.1998, in der Fassung vom 25.04.2002

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Kommentare

Gunnar Sohn, freier Wirtschaftsjournalist mit dem Schwerpunkt „Umwelt“:

„Ja, das Duale System ist definitiv vernachlässigt. Alle Kritiker sind verstummt (wurden gekauft), obwohl sich an den Randbedingungen nichts geändert hat und das System ineffizient wie eh und je ist. Dabei müssten einige der Skandale Titelseite 1 des Spiegels sein. Wenn ich aber selbst Geschichten zum Dualen System irgendwo angeboten habe, hieß es meistens: ‚Sorry, die Geschichte ist gut, aber Müll/Umwelt ist zurzeit einfach kein Thema’.“