2005: Top 4

Strategie der Abhängigkeit: Irakische Bauern zahlen Lizenzgebühren für Saatgut

Irakische Bauern drohen in eine Schuldenspirale zu geraten. Der ehemalige US-Zivilverwalter im Irak, Paul Bremer, hat ein Patentrecht eingeführt, das sie dazu zwingt, teure Lizenzgebühren für patentiertes Saatgut zu zahlen. Da sie aufgrund des Krieges kaum noch über eigenes, traditionelles Saatgut für den Nachbau verfügen, sind sie auf das patentierte Saatgut internationaler Konzerne wie Monsanto oder Bayer angewiesen. Ein Weg zurück ist kaum mehr möglich. In Afghanistan, Sri Lanka und Indien drängen die Konzerne den eigenen Nachbau über bilaterale Freihandelsverträge zurück.

Sachverhalt & Richtigkeit

Als der amerikanische Zivilverwalter Paul Bremer Ende Juni 2004 den Irak verließ, hinterließ er einen Katalog mit 100 Bestimmungen. Darunter befindet sich auch die so genannte „Order 81“ für „Patente, Industriemuster, unveröffentlichte Informationen, integrierte Schaltkreise und Pflanzensorten“. Sie ist seitdem im Irak verbindliches Gesetz und regelt Patentrechte für Pflanzen.

Unter der Diktatur war ein solches Eigentumsrecht an Pflanzen verboten. Die Bestimmung erklärt die eigentlich durch ein internationales Abkommen eingeräumte Wiederaussaat von geschützten Sorten für unzulässig (UPOV-Konvention). Damit sind die Bauern gezwungen, Lizenzgebühren an internationale Saatgutproduzenten zu zahlen.

Weil die Bombardierungen während des Krieges die Vorräte an Saatgut verknappt haben, sind die Bauern auf ausländisches patentiertes Saatgut angewiesen. Andreas Bauer vom Umweltinstitut München prognostiziert eine erhebliche Verschuldung der Landwirte wegen der anfallenden Lizenzzahlungen.

In Indien beispielsweise seien die Bauern durch Lizenzgebühren bereits in die Armut getrieben worden, berichtet die Umweltorganisation GRAIN. Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) versucht, den irakischen Vorratsmangel auszugleichen. Ganz im Interesse der Konzerne werden dort massiv Überschüsse an genverändertem Mais und Soja eingeführt.

Die Folge: Patentierte, genveränderte Getreidesorten gelangen durch Pollenflug, Kornverwehungen und Insektenbestäubungen auf Felder mit traditionellem Korn und kreuzen sich. Der entstehende Hybrid macht eine Lizenzgebühr fällig, verbietet die mehrmalige Aussaat des gekreuzten Saatguts und zerstört die Biodiversität.

Die Order betrifft des Weiteren nicht nur neue, gentechnisch veränderte Sorten, sondern indirekt auch uralte irakische Züchtungen. „Order 81“ macht nämlich auch die Patentierung von Pflanzeneigenschaften möglich. Wenn althergebrachte Züchtungen ähnliche Eigenschaften aufweisen wie neue patentierte Sorten, verletzen sie möglicherweise ein Patent.

So sichern sich große Saatgutkonzerne über Umwege die Rechte an traditionellen, im Irak angebauten Getreidesorten. Unter Umständen zahlen die Iraker für ihre eigenen Züchtungen Lizenzgebühren. Die Ernährungssouveränität des Landes ist damit in Gefahr.

Relevanz

Der Irak ist nicht das einzige Land, in dem patentrechtliche Bestimmungen nach US-Vorstellungen eingeführt wurden. Afghanistan erließ auf Drängen der Vereinigten Staaten ein ähnliches Gesetz, auch in Sri Lanka oder Kambodscha gelten vergleichbare Sortenschutzverordnungen.

Offensichtlich zwingen multinationale Konzerne so vor allem arme Länder in die Abhängigkeit. Der Unterschied zum Irak: Bremers Bestimmungen wurden nicht einem souveränen Staat angeboten, sondern einem besetzten Land per Dekret auferlegt. Die Träger des Alternativen Nobelpreises (Right Livelihood Award) wandten sich in einer Resolution am 12. März 2005 gegen die „Order 81“ und bezeichneten den Erlass wörtlich als „Verbrechen gegen die Menschheit“.

Darüber hinaus hat die Thematik auch für Deutschland große Bedeutung. Wenn der kommerzielle Anbau von gentechnisch veränderten Sorten zunimmt, stellt sich auch hierzulande das Patentproblem. In Deutschland wird man die Auskreuzung wahrscheinlich ebenso wenig vermeiden können.

Saatgutkonzerne schaffen somit Tatsachen, die eine Rückkehr zu den nicht genetisch veränderten Pflanzen unmöglich machen. Das Unternehmen Bayer hat in der Lizenzfrage bereits vorgebeugt und eine unfruchtbare Sorte geschaffen, die bei erneuter Aussaat in der zweiten Generation nicht mehr aufgeht (Terminator-Technologie).

Die USA klagt derzeit vor der Welthandelsorganisation (WTO) gegen die Europäische Union (EU). Der Grund: Die Ablehnung von gentechnisch veränderten Pflanzen durch die EU stelle einen Verstoß gegen bestehende Freihandelsabkommen dar.

Vernachlässigung

Das Thema findet in deutschen Medien kaum statt. Keine Tageszeitung berichtet ausführlich über die Problematik. Dagegen widmet sich das Umweltinstitut München in seiner Mitgliederzeitschrift „Umweltnachrichten“ der „Order 81“ im Detail. Der Internetdienst Telepolis hat die Thematik bereits im November 2004 aufgegriffen, ansonsten sind Informationen fast ausschließlich im Internet bei Interessengruppen und Umweltorganisationen vorhanden.

Quellen

Greg Pallast, Iraqi Farmers Threatened By Bremer’s Mandates, www.projectcensored.org/censored_2006/index.htm, letzter Abruf am 17.01.2006, 8.40 Uhr.

Focus on the Global South & GRAIN, Iraq’s New Patent Law: A Declaration of War Against Farmers, www.grain.org/articles/, letzter Abruf am 17.01.2006, 8.45 Uhr.

Andreas Bauer, Patente statt Bomben, Mai 2005, www.umweltinstitut.org/frames/all/m412.htm, letzter Abruf am 17.01.2006, 8.45 Uhr.

Brigitte Zarzer, Patente US-Patente für den Irak?, 18.11.2004, www.heise.de/tp/r4/artikel/18/18835/1.html, letzter Abruf am 17.01.2006, 8.50 Uhr.

L. Paul Bremer, Coalition Provisional Authority Order Number 81 – Patent, Industrial Desgin, Undisclosed Information, Integrated Circuits and Plant Variety Law, 26.04.2004, www.iraqcoalition.org/regulations/20040426_CPAORD_81_Patents_Law.pdf, letzter Abruf am 17.01.2006, 8.57 Uhr.

Zur Irakischen Order 81: „Verbrechen gegen die Menschheit!, 12. März 2005, www.uni-kassel.de/fb5/frieden/regionen/Irak/order81.html, letzter Abruf am 17.01.2006

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Kommentare

Andreas Bauer, Diplom-Agrar-Ingenieur beim Umweltinstitut München, Abteilung Gentechnik:

„Wenn die USA es schaffen, das Patenrecht so durchzusetzen, wie es in Order 81 steht, wäre das für die irakischen Bauern verheerend. Sie wären sämtlicher Partizipation, sämtlicher eigener Kontrolle über das, was sie anbauen, enthoben. Sie dürften die Pflanzen nicht nachbauen. Wenn sie es doch täten und es aufflöge, wären die Strafen drakonisch. Das geht von der Konfiszierung der Ernte über die Beschlagnahmung von Traktoren und landwirtschaftlichen Gerätschaften, bis zur Vernichtung der Ernte.

Eine dermaßen drastische Form von Rechten auf Pflanzen, die einzelnen Firmen zugestanden wird, ist in der Welt einmalig. Es ist absolut ausgeschlossen, dass die Bauern es schaffen, die Lizenzgebühren aufzubringen, ohne sich zu verschulden. Diese Verschuldungsspirale ist im Prinzip genau das, worauf diese Firmen hinaus wollen. Durch den Krieg wurde eine Fülle von Sorten zerstört. Unter anderem auch die Saatgutbank des Irak – ein unschätzbarer Verlust nicht nur für den Irak, sondern für die gesamte Welt. Zusätzlich wurden eine Menge irakischer Felder zerstört.

Die Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FHO) hat sich Mitte letzten Jahres einen Überblick verschafft und festgestellt, dass der Irak nicht mehr ausreichend eigenes Saatgut für eine Wiederaussaat besitzt. Firmen aus dem Norden stehen jetzt bereit, um diesen Markt zu sättigen. Und dabei handelt es sich genau um jene Sorten, die unter „Order 81“ fallen.

Man kann sich vorstellen, was es für eine Katastrophe nach sich zieht, wenn GVO (gentechnisch veränderte Pflanzen, Anmerkung von Benjamin Fuchs) wirklich in einem Land eingeführt werden, wo die Sicherheit und die Überschaubarkeit von Vorgängen wie Kontamination und Auskreuzung nicht einmal ansatzweise gegeben sind. Die patentierten Sorten kreuzen aus, man kontaminiert diese alten, autochthonen Sorten der irakischen Bauern. Gentechnikpflanzen sind nicht wieder rückholbar. Das liegt daran, dass diese Genkonstrukte, die dort eingebaut werden, so gebaut sind, dass sie dominant auch in den Pflanzen sind, in die sie auszukreuzen. Einmal Gentechnik, immer Gentechnik.

Dass das Patentrecht bezüglich gentechnisch veränderter Pflanzen nicht nur ein Problem ist, das die Entwicklungsländer betrifft, sehen wir gerade an dieser WTO-Klage, die die USA gegen Europa angestrengt haben. Die USA will das Moratorium in der EU gegen die Zulassung von Gentechnikpflanzen – das auf Grund eines klaren demokratischen Votums zustande kam – als Verzerrung des Freihandels bewertet wissen. Und vermutlich werden sie vor der WTO mit ihrem Ansatz sogar durchkommen.“