2005: Top 2

Bedenklicher Einsatz von Wahlmaschinen

Namen der Kandidaten können überklebt, gefälschte Wahlzettel eingefügt oder Speicherkarten ausgetauscht werden, Belege für die Stimmabgabe fehlen. Nach einer Untersuchung der Dubliner Universität aus dem Jahr 2004 weisen Wahlmaschinen der Firma Nedap erhebliche Sicherheitslücken auf. Dennoch setzen deutsche Kommunen zunehmend auf die elektronische Stimmabgabe mit Hilfe bauähnlicher Geräte. So kamen bei der Bundestagswahl 2005 allein in Köln 600 Nedap-Wahlmaschinen zum Einsatz. Kritisch betrachtet wird die Technologie nicht.

Sachverhalt & Richtigkeit

Seit 1999 setzen Kommunen in der Bundesrepublik bei Wahlen zunehmend auf Wahlmaschinen der niederländischen Firma Nedap. Zwei Typen, die von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) zugelassen wurden, sind derzeit im Einsatz: ESD I und ESD II.

Es handelt sich hierbei um Wahlmaschinen mit einer druckempfindlichen Folie, unter die ein Wahlzettel mit der Liste der einzelnen Kandidaten vom Wahlvorstand eingefügt wird. Nach Freischaltung durch den Wahlvorstand kann der Wähler durch Berührung der Folie an der entsprechenden Stelle seine Stimme einem Kandidaten bzw. einer Partei zuordnen und abschließend die Auswahl durch Druck auf ein weiteres Feld bestätigen.

Will der Bürger absichtlich eine ungültige Stimme abgeben, so ist auch dieses mittels einer separaten Taste möglich. Versehentliche ungültige Stimmabgaben sollen so vermieden werden. Einen Beleg auf Papier, anhand dessen die Richtigkeit der Stimmzählung nachvollzogen werden kann, gibt es nicht. Die Kritik der Wahlbeschwerden WP 108/05 und WP145/05 knüpft an diesem Punkt an. Der Wähler kann nicht sicher sein, ob seine Stimme akkurat gezählt wird. Das von der Maschine ausgegebene Ergebnis ist in keiner Weise nachprüfbar.

Das Prinzip der Öffentlichkeit des Wahlaktes und der Stimmauszählung ist demnach verletzt. Auch das Prinzip der geheimen Wahl ist unter Umständen nicht realisiert. So hat die Erfahrung in Deutschland gezeigt, dass gelegentlich Wähler die Bestätigungstaste nicht betätigten. Das Votum ist dann einzusehen, eindeutig zuzuordnen und letzten Endes manipulierbar.

Dem Problem wird zwar durch gezielte ausführliche Information, wie es von der Bundeswahlgeräteverordnung vorgesehen ist, entgegengetreten, gänzlich ausschließen lassen sich solche Vorfälle allerdings nicht.

Bedienungsschwierigkeiten können auch körperlich behinderte Wähler haben. Wer etwa im Rollstuhl sitzt, ist beim Bedienen der Wahlmaschine auf Hilfe angewiesen, weil sie die Druckfelder nicht erreichen können.

Die gewichtigsten Einwände gegen den Einsatz von Wahlmaschinen beziehen sich auf deren Fähigkeit, die Stimmen akkurat und sicher auszuzählen. In einer Untersuchung der Dublin-City-University (DCU), kam man zu dem Schluss, dass es Gründe gebe, die Sicherheit bauähnlicher Geräte, deren Technologie aus den achtziger Jahren stamme, in Zweifel zu ziehen. Daraufhin empfahl man der Regierung, diese bei den im Jahre 2005 anstehenden Wahlen noch nicht einzusetzen.

Von einfachen Manipulationen, wie dem Überkleben einzelner Kandidaten mit Klebeband, dem Einfügen eines gefälschten Wahlzettels oder der schlichten Anwendung von Gewalt, die jeweils eine Wahlmaschine beeinflussen würden, gibt es auch technische Möglichkeiten der Manipulation.

Eine Speicherkarte etwa ließe sich in etwa zwei Minuten austauschen. Auch die Software ließe sich unbemerkt ändern, da es an adäquaten Sicherungen mangelt. Ein Software-Fingerabdruck zum Beispiel, der sich bei Eingriffen ändert und diese dadurch erkennbar macht, fehlt.

Einen großen Schwachpunkt stellt der Zählcomputer dar. Missbräuchlicher Zugriff auf diesen kann das Wahlergebnis beeinflussen. Seine Sicherheitsvorkehrungen sind durchaus zu umgehen. Diese bislang nur theoretisch festgestellte Möglichkeit zur Manipulation wirft die Frage auf, in wie weit ein elektronisches Wahlsystem die Gleichheit der Wahl garantieren kann, insbesondere wenn es keine Belege für den korrekten Ablauf der Stimmzählung gibt.

Die PTB hat die Nedap Geräte für Deutschland zugelassen, da die zur Verfügung gestellten Geräte für Hard- und Softwaretests den vom Gesetzgeber vorgegebenen Kriterien entsprechen.

In der Praxis allerdings ist es aufgrund des von Nedap praktizierten Security-by-Obscurity- Konzeptes unmöglich nachzuprüfen, ob das verwendete Gerät mit dem zugelassenen Prototypen übereinstimmt, zumal der PTB-Bericht vom Bundesministerium des Inneren unter Verschluss gehalten wird. Es existiert lediglich eine Baugleichheitserklärung des Herstellers.

Relevanz

Die Vorfälle mit Wahlmaschinen in den USA, wo Stimmen falsch gezählt wurden oder bedingt durch Systemausfälle verloren gingen, zeigen, welcher Vertrauensverlust ausgelöst wird, wenn die Geräte nicht einwandfrei funktionieren. Im Sinne einer lebendigen Demokratie muss gewährleistet sein, dass die Mehrheitsverhältnisse aus allgemeinen, freien, gleichen, geheimen und direkten Wahlen hervorgehen.

Vernachlässigung

Die deutsche Presse berichtet über das Thema Wahlmaschinen meist nur anlässlich deren Einführung. Vorteile wie schnelleres Wählen und niedrigere Kosten für die Gemeinden stehen dabei im Vordergrund. Obwohl ausführlich über die Fehlfunktionen der amerikanischen Geräte berichtet wird, bleibt eine weitere kritische Berichterstattung trotz immer großflächigerer Einführung von Wahlmaschinen weitgehend aus. Nur im Internet unter heise.de und unter Wahlrecht.de gibt es Hinweise auf diese Aspekte des Themas.

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Quellen

BWahlGV, unter: http://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/bwahlgv/gesamt.pdf, letzter Zugriff

Commission on Electronic Voting, First Report, vom Dezember 2004, Anhang 2B, unter: http://www.cev.ie/htm/report/first_report/pdf/Appendix%202B.pdf, letzter Zugriff am 18.12.2005.

Ohne Verfasser, Wahleinspruch gegen die Verwendung von Wahlcomputern, unter: http://www.wahlrecht.de/news/2005/37.htm, letzter Zugriff am 30.12.2005.

Sietmann, Richard, Dreimal drücken – fertig?, unter:

http://www.heise.de/ct/05/19/054/default.shtml, letzter Zugriff am 30.12.2005.

Sietmann, Richard, e-Voting: Anfechtung der Bundestagswahl wegen Wahlcomputern www.heise.de/newsticker/meldung/66137 

Sietmann, Richard, E-Voting vs. Verfassung: Rechtliche Bedenken bei elektronischen Wahlmaschinen in Deutschland – Interview mit Prof. Dr. Ulrich Karpen, C’t: Magazin für Computertechnik, 1/2006, S. 80-82.

Ziegler, Peter-Michael, Innenministerium hält Prüfberichte von elektronischen Wahlmaschinen unter Verschluss, unter: http://www.heise.de/newsticker/meldung/64013, letzter Zugriff am 30.12.2005.

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Kommentar

First Report der Commission on Electronic Voting

“As a result of our study, carried out over a short period of time, we have discovered significant shortcomings in the electronic voting system and there are likely to be more problems as yet undiscovered. These problems will require a significant investment of time and effort to fix. We would have serious concerns about the integrity of any election carried out using the current system.“

„Als ein Ergebnis unserer binnen eines kurzen Zeitraums durchgeführten Untersuchung haben wir entscheidende Mängel in dem elektronischen Wahlsystem festgestellt, und es ist wahrscheinlich, dass weitere Probleme bislang unentdeckt geblieben sind. Die Behebung dieser Probleme wird eine angemessene Aufwendung von Zeit und Anstrengung benötigen. Wir hätten ernsthafte Bedenken gegenüber jedweder Wahl, die unter Verwendung des derzeitigen Systems durchgeführt würde.“

“The Commission accordingly concludes that, having regard to the issues of secrecy, accuracy and testing as set out in its terms of reference, it is unable to recommend the use of the proposed system at the local and European elections and, by extension, at the referendum due to be held on 11 June.

The Commission wishes to emphasise that its conclusion is not based on any finding that the system will not work, but on the finding that it has not been proven at this time to the satisfaction of the Commission that it will work. In addition, the Commission recognises that the threshold of proof required to support its recommendation against the use of the proposed system is much lower than that which would be required to recommend in its favour. It is for this reason that, although its work is incomplete, the Commission is in a position to make its recommendation within the timeframe of this report.”

“Die Kommission kommt darin überein, dass es ihr im Bezug auf die von ihr gesetzten Kriterien für Sicherheit, Akkuranz und Erprobung nicht möglich ist, dass vorgesehene System für den Einsatz bei den Kommunal- und Europawahl und darüber hinaus beim Referendum, welches für den 11. Juni vorgesehen ist, zu empfehlen.

Die Kommission möchte betonen, dass dieser Schluss nicht durch Hinweise darauf zustande gekommen ist, dass das System nicht funktionieren wird sondern dadurch, dass bislang nicht ausreichend nachgewiesen werden konnte, dass es funktionieren wird. Zusätzlich bemerkt die Kommission, dass die Beweisschwelle einer Empfehlung gegen den Einsatz des vorgesehenen Systems, tiefer liegt als diejenige, eine Empfehlung dafür auszusprechen. Daher ist die Kommission in der Lage Ihre Empfehlung abzugeben, obwohl ihre Arbeit noch unvollständig ist.“

Dr. Norbert Greif, Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB), Arbeitsgruppenleiter der zuständigen Abteilung

„Die Baumusterprüfung der PTB wird entsprechend den geltenden Gesetzen und Verordnungen durchgeführt. Diese Dokumente enthalten die Kriterien für die Prüfung einschließlich der Sicherheitsaspekte. […] Die […] Problemkreise Papierbeleg und Offenlegung des Quellcodes werden in der Fachwelt diskutiert und unterschiedlich bewertet. Die Anwendung von „voter verified paper audit trails“ oder die Offenlegung der Software bietet sowohl Vorteile als auch Nachteile.

Als unabhängige Prüfstelle agiert die PTB ausschließlich auf der Basis oben genannter Dokumente/Kriterien. Papierbelege werden in Deutschland nicht gefordert. Ein Wahlgerätehersteller muss im Rahmen der Baumusterprüfung den Quellcode der Prüfstelle übergeben. Wir überprüfen anhand der Software (z.B. mittels Quellcodeinspektion, dynamischen Funktionstests, statischen Analysen der Programme) die Einhaltung sämtlicher Prüfkriterien.

Die von uns geprüften Wahlgeräte sind seit 1999 in Deutschland im Einsatz. Bis jetzt sind keine Fehler aufgetreten.“

Prof. Dr. Ulrich Karpen, Autor des Buches „Elektronische Wahlen?: Einige verfassungsrechtliche Fragen“(Baden-Baden, 2005) Universität Hamburg,

„Der Staat wird ja durch die Wahlhandlung von unten nach oben aufgebaut. Das ist mehr als Kontrolle. Durch die Öffentlichkeit wird die Wahl ein Bestandteil der Integration des Staates. […] Der Gesetzgeber kann sehr wohl das Wahlverfahren festlegen […]. Doch der Öffentlichkeitsgrundsatz hängt eine Stufe höher, da muss der Gesetzgeber im Rahmen der Verfassung bleiben. […] Der Paragraf 35 des Bundeswahlgesetzes lässt den Einsatz von Automaten zwar zu, aber das ist eine Bestimmung, deren Erlass sehr weit zurückliegt und hinter der die Vorstellung stand, dass ein Wahlgerät lediglich das Kreuzchenmachen ersetzt. Wenn sich das Bundesverfassungsgericht heute mit der Frage beschäftigte, müsste es wohl prüfen, ob ein softwaregesteuerter Kasten aus den Niederlanden, der auch die Auszählung übernimmt, diesen Voraussetzungen noch entspricht.“