2004: Top 2

Mängel des virtuellen Arbeitsmarktes

Die Internetjobbörse der Bundesagentur für Arbeit hatte im Jahr 2004 mit schwerwiegenden technischen Mängeln zu kämpfen. So haben Programmierfehler dazu geführt, dass viele Arbeitslose nicht auf den kompletten Stellenmarkt zugreifen konnten. Zwar sind diese technischen Probleme mittlerweile teilweise behoben. Die uneinheitliche Pflege der gespeicherten Daten durch die regionalen Geschäftsstellen führt jedoch dazu, dass der virtuelle Arbeitsmarkt noch immer erhebliche Mängel aufweist.

Sachverhalt & Richtigkeit

Der „virtuelle Arbeitsmarkt“ (VAM), die offizielle Internetjobbörse der Bundesagentur für Arbeit, hatte das ganze Jahr 2004 über mit schwerwiegenden technischen Mängeln zu kämpfen. Seit Dezember 2003 sollen Arbeitslose unter www.arbeitsagentur.de schneller, bequemer und effizienter geeignete Stellenangebote im gesamten Bundesgebiet finden sowie Arbeitgeber nach möglichen Bewerbern suchen können. Eine Untersuchung des unabhängigen Experten Manfred Müller ergab, dass die Suchmaschine im Jahr 2004 nicht alle vorhandenen Stellenangebote anzeigte, die für den Arbeitssuchenden in Frage kamen. So konnte das System bis Dezember 2004 Postleitzahlen, die mit einer 0 beginnen, nicht richtig verarbeiten. Außerdem konnte in die Schnellsuchmaske nicht der Bildungsabschluss eingegeben werden, sodass bestimmte Stellenangebote nicht angezeigt wurden. Die Bundesagentur für Arbeit hat diese Mängel auf Anfrage eingeräumt. Nach einem technischen Relaunch am 8. und 9. Dezember 2004 sollen die genannten Probleme behoben worden sein.

Aber nach Aussage von Manfred Müller sind diese Mängel nur die Spitze des Eisbergs. Das Grundproblem liege in der uneinheitlichen Pflege des Systems durch die regionalen Geschäftsstellen. Lediglich rund 50 Prozent der Arbeitssuchenden hätten ein Bewerberprofil online, unter Jugendlichen sind es nur 8 Prozent. Außerdem geschehe durch technische Voreinstellungen eine „regionale Diskriminierung“, d.h. Arbeitslose, die einen Umzug in Kauf nehmen würden, erhalten keine entsprechenden Angebote. Auch der Bundesrechnungshof stellte im April 2004 fest, dass die strukturellen Mängel des virtuellen Arbeitsmarkts die Vermittlungschancen vieler Arbeitsloser verringert und gefährdet.

Relevanz

Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit in Deutschland ist das Thema von bundesweitem Interesse. Die Hauptaufgabe der Bundesagentur für Arbeit ist die möglichst schnelle und effektive Vermittlung von Arbeitsplätzen an Arbeitslose. Die Suchmaschine im Internet könnte gute Ergebnisse liefern, wie einige lokale oder regionale Internetjobbörsen zeigen. Durch uneinheitliche Pflege werden Potentiale jedoch nicht genutzt und aufgrund technischer Mängel sind die Angebote lückenhaft.

Vernachlässigung

Bisher hat nur die „Leipziger Volkszeitung“ in einem Artikel ausführlich über das Problem berichtet. Zwar gibt es Artikel über den virtuellen Arbeitsmarkt, welche jedoch den Schwerpunkt auf rechtliche und finanzielle Streitigkeiten bei der Einführung des Systems legen. Obwohl weiterhin, auch nach den technischen Nachbesserungen der BA im Dezember 2004, noch erhebliche strukturelle Mängel des VAM existieren, werden diese in den Medien nicht aufgegriffen. Ein Grund könnte in der Komplexität des Themas liegen.

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Quellen

Homepages:

Bundesagentur für Arbeit

www.arbeitsagentur.de

Bundesrechnungshof

www.bundesrechnungshof.de/1024.html

Gespräche:

Martin Achter, Redakteur der Leipziger Volkszeitung

Ullrich Waschki, Bundesagentur für Arbeit

Manfred Müller, Diplom-Kaufmann und Experte für Vermittlungssysteme

Artikel:

„Der Job-Vernichter“ – Virtueller Arbeitsmarkt der Bundesagentur mit erheblichen Mängeln, 8. November 2004, Leipziger Volkszeitung

Mangelhafte Online-Stellenvermittlung, 26. November 2004, VDI nachrichten

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Expertenstatements

Martin Achter, Redakteur der Leipziger Volkszeitung:

„Ich halte es durchaus für ein vernachlässigtes Thema. Über den virtuellen Arbeitsmarkt wurde zwar einiges berichtet. Die Artikel, die ich in verschiedenen Archiven gefunden habe, setzten sich jedoch in erster Linie mit Korruption im Zusammenhang mit der Vergabe von Aufträgen bei der Implementierung des VAM auseinander. Einige der Artikel thematisierten zudem die Datenqualität. Allerdings immer nur in einigen Sätzen und mit Aussagen wie: ‚Experten kritisieren, dass die Algorithmen des VAM nicht für die Vermittlungsarbeit der BA geeignet sind.’ Ohne mir selbst auf die Schulter klopfen zu wollen: Mir ist kein Artikel bekannt, der sich jemals – wie ich dies getan habe – konkret über die Datenqualität des VAM geäußert hat.

Das Problem bei der Vermittlung des Themas: Der Stoff ist hoch komplex. Ich habe Wochen gebraucht, bis ich mich mit Herrn Müller auf einen Modus einigen konnte, wie die Sache in einer Zeitung vermittelt werden kann. Zudem konnte ich mich nicht den ganzen Arbeitstag nur mit diesem Thema auseinandersetzen, weswegen sich die Arbeit hinausgezögert hat. Was das Thema zudem schwierig macht: Geschichten werden über Namen erzählt. Herr Müller ist nunmal kein renommierter Experte. Auch deswegen habe ich mir die Arbeit gemacht, einen Großteil seiner Ergebnissse zu überprüfen. Das hat sehr viel Zeit gekostet.“

Manfred Müller, Diplom-Kaufmann und Experte für Vermittlungssysteme:

„Die Sache ist viel komplizierter, als sie sich dem Laien darstellt. Zwar wurden einige der Probleme, die ich bereits im Februar der BA mitgeteilt habe, inzwischen behoben – so zum Beispiel das Postleitzahlen-Problem und die Eingabe des Bildungsabschlusses – aber das Grundproblem sitzt tiefer: In meiner Studie komme ich zu dem Ergebnis, dass der VAM ineffizient ist aus mehreren Gründen. So ist das System stark davon abhängig, wie es von den einzelnen regionalen Geschäftsstellen der Arbeitsagentur gepflegt wird. Es kommt zu so grotesken Erscheinungen, dass für eine kleine Gemeinde über 30 Lehrstellenbewerber ein Profil im Internet stehen haben, für Berlin ist das aber nicht der Fall. Dabei kann der Bedarf in Berlin ja wohl nicht unbedingt kleiner sein. Wenn man das hochrechnet für jugendliche Lehrstellensuchende, ergibt sich folgendes Bild: 300.000 Jugendliche suchen eine Lehrstelle, aber nur 8 % sind davon überhaupt im Internet mit einem Profil zu finden. Und von diesen haben wiederum nur 10 % ihr Profil selbst eingegeben. Der Rest ist – oft unzureichend und schlampig- von BA-Mitarbeitern ausgefüllt. Bei erwachsenen Arbeitssuchenden ist es etwas besser, aber auch hier sind nur etwa 50 % mit einem Profil im Internet zu finden. Das ist Kraut und Rüben.

Ein weiteres Problem ist die regionale Diskriminierung. Das bedeutet, auch wenn Arbeitssuchende umziehen wollen, um einen Job fern ihrer Heimat anzunehmen, wird das nicht richtig registriert. Bis vor wenigen Tagen war es noch so, dass es eine automatische Vorbelegung der Option ‚regionale Bewerbung’ gab. Da werden dann in Stuttgart jede Menge Arbeitssuchende an metallverarbeitende Betriebe vermittelt, obwohl die vielleicht gar nicht die Voraussetzungen haben und umziehen wollten, Fachkräfte aus dem gesamten Bundesgebiet aber haben keine Chance, weil sie eben nur regionale Angebote bekommen. Wenn überhaupt: Es gibt doch 300.000 freie Arbeitsstellen. Doch der VAM ist technisch überfordert damit, diese vernünftig zu verteilen. So kostet die Ineffizienz den Steuerzahler monatlich etwa 180 Millionen Euro an zuviel gezahlter Arbeitslosenhilfe. Vernachlässigt ist das Thema auf jeden Fall, was sicher auch daran liegt, dass viele Journalisten nicht nachvollziehen können, wie kompliziert die Sache ist, und weil viele den Angaben der BA einfach Glauben schenken und meinen, wenn eine Behörde sagt, dass alles in Ordnung ist, dann wird das schon stimmen. Ich selbst hatte bisher nur Kontakt zu drei Journalisten.“