1997: Top 5

Der Flachglas-Skandal

Am 23./24. September 1997 haben die Mitarbeiter des Gelsenkirchener Flachglas-Betriebs in einem selbständig organisierten Streik den Kampf um ihre Arbeitsplätze aufgenommen. Nach jahrelangem Lohnverzicht, Flexibilisierung der Arbeitszeit und weiteren Verschlechterungen, die die Mitarbeiter in Kauf nahmen, um Arbeitsplätze zu sichern, kündigte die Geschäftsleitung schließlich doch den Abbau von 300 Arbeitsplätzen an. Die Belegschaft entschied sich zur Rettung der Arbeitsplätze für einen Streik. Belegschaftsmitglied Peter Reichmann wurde einstimmig zum Streiksprecher gewählt. Die Flachglas-Geschäftsleitung reagierte sofort: Der gewählte Streiksprecher wurde von der Arbeit „freigestellt“, erhielt Hausverbot und wurde von der Polizei des Geländes verwiesen. Schließlich wurde ihm gekündigt. Mit einer Regreßforderung in Millionenhöhe für die durch den Streik entstandenen Produktionsausfälle soll Peter Reichmann persönlich haftbar gemacht werden.

Grad der Vernachlässigung

Über den Fall wurde lediglich auf lokaler Ebene berichtet. Ein für das WDR-Fernsehen vorgesehener Beitrag wurde aus unbekannten Gründen nicht gesendet.

Wer ist betroffen?

Alle abhängig Beschäftigten und die, die zukünftig ein solches Arbeitsverhältnis eingehen. Zudem wird durch diesen Fall das derzeitige Streikrecht zur Diskussion gestellt.

Wer profitiert von der Nicht-Berichterstattung?

In erster Linie profitiert die Arbeitgeberseite, die im Zuge größerer Rationalisierungsmaßnahmen kein Interesse daran hat, daß Widerstand aus der Belegschaft und das Vorgehen gegen Peter Reichmann öffentlich wird. Hier wird in der Regel eine „heimlich, still und leise“- Abwicklung mit Vorruhestandsregelungen, Abfindungen etc. angestrebt. Aber auch die Gewerkschaften haben kein Interesse daran, den wachsenden Verlust ihres Einflusses öffentlich einzugestehen.

Warum sollte mehr berichtet werden?

Es handelt sich bei dem „Flachglas-Skandal“ um einen Präzedenzfall, der erhebliche Auswirkungen bei zukünftigen Streikmaßnahmen haben könnte. In diesem Fall wird ein einzelner Arbeitnehmer von der Geschäftsführung für Produktionsausfälle in Folge eines Streiks regreßpflichtig gemacht.

Quellen

* Unterschriftenliste des Solidaritätskreises vom 08.10.1997 mit einem Hinweis auf einen nicht gesendeten Filmbeitrag

* Flugblatt des Solidaritätskreises vom 28.10.1997

* Fax eines Mitglieds von Bündnis 90/Die Grünen aus Gladbeck vom 04.11.1997