Sicherungsverwahrung – die Täterperspektive

Zehn Top-Themen haben wir auf der Jury-Sitzung im Juli gewählt und vorgestellt. Mit etwas Abstand wollen wir nun einige weitere Themen vorstellen: Bürger haben die Themen eingereicht, Studenten haben sie recherchiercht – aber die Jury hat sie nicht in die Top Ten gewählt. Diskutieren kann man trotzdem drüber. Viertes Thema dieser kleinen Serie: Sicherheitsverwahrung – die Täterperspektive.

Abstract
Im Mai 2010 wurde die Sicherungsverwahrung – also der Freiheitsentzug eines Straftäters über das Strafmaß hinaus – vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt; der Gesetzgeber muss bis 2013 verfassungskonforme Regelungen erlassen. Das Thema Sicherungsverwahrung ist in den Medien vertreten. Welchen Druck die wechselnden Regelungen auf Strafgefangene ausüben und wie sich die Therapie im Strafvollzug verändert, wird jedoch kaum beleuchtet.

Sachverhalt & Richtigkeit
Die  Sicherungsverwahrung  nach  Paragraph  66  des  Strafgesetzbuches  (StGB)  ist  umstritten, Kompetenzen sind zwischen Bund und Ländern verteilt, psychologische Gutachten sind nicht immer zuverlässig.  Die  Anordnung  der  Sicherungsverwahrung  beruht  auf  einem  formal  unabhängigen psychologischen Gutachten. Die Angestellten der JVA schreiben allerdings eine Empfehlung, die dem Gutachter zugänglich gemacht wird und können so die Entscheidung des Gutachters beeinflussen.

Bis 1998 war eine Sicherheitsverwahrung nur bis zu zehn Jahren möglich. Dass die Höchstdauer damals abgeschafft worden ist, wurde vom Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte erstmals 2009 kritisiert. Deshalb führte Deutschland das Therapieunterbringungsgesetz ein.

Das Bundesjustizministerium schreibt hierzu: „Das Therapieunterbringungsgesetz soll ermöglichen, dass  gefährliche  Straftäter,  die  wegen  einer  psychischen  Störung  weiterhin  gefährlich  sind  […] wieder untergebracht werden. Sie sollen dann in geeigneten Einrichtungen therapiert werden.“

Gerade die Regelungen zur nachträglichen Sicherungsverwahrung sowie die Unsicherheit, welche durch die häufigen Gesetzesänderungen entstanden ist, können einen starken psychischen Druck auf Strafgefangene   ausüben.   Zudem   ist   nicht   genau   geklärt,   für   welche   Straftaten   die Sicherungsverwahrung überhaupt in Frage kommt. Bewährungshelfer Peter Asprion sagt in einem Beitrag bei 3SatXtra: „Die Aussicht, bis zum Lebensende in Verwahrung zu bleiben verändert die
Therapieangebote sowie die Bereitschaft, sich therapieren zu lassen.“

Relevanz
In   einer   demokratisch-rechtsstaatlichen   Ordnung   sollten   die   Voraussetzungen   für   eine Sicherungsverwahrung klar geregelt sein. Holger Poppenhäger, Justizminister von Thüringen, sagte bei  einem  Vortrag  am  2.  September  2010:  „Dass  es  sich  hierbei  nicht  ausschließlich  um Sexualstraftaten  und  Gewaltstraftaten  mit  Todesfolge  handelt,  zeigt  ein  Blick  in  die  Thüringer Statistik.   Unter   den   16   Fällen,   in   denen   in   den   vergangenen   zehn   Jahren   primäre Sicherungsverwahrung   verhängt   wurde,   geschah   dies   auch   zweimal   wegen   räuberischer Erpressung.“

Zudem ist es sehr schwierig, nachträglich noch eine psychische Störung und eine davon ausgehende Gefahr zuverlässig festzustellen. In einer 3Sat-Sendung wurde die zuverlässige Reichweite solcher Gutachten auf ein halbes bis maximal ein Jahr geschätzt.

Vernachlässigung
Das Thema Sicherungsverwahrung selbst ist nicht vernachlässigt. Allein die hohe Anzahl der Artikel (weit über 2.000) in den wichtigsten überregionalen Zeitungen zeigt, dass das Thema breit behandelt wird.

Anders   sieht   es   bei   dem   Aspekt   der   Menschenrechte   von   Strafgefangenen   aus.   Eine stichprobenartige   Bewertung   der   Überschriften   und   Teaser   der   zahlreichen   Artikel   zur Sicherungsverwahrung  zeigt,  dass  insbesondere  die  Aspekte  der  inneren  Sicherheit  und  des Sicherheitsbedürfnisses der Bevölkerung aus der Perspektive der Verbrechensopfer in den Medien behandelt werden.

Nur vereinzelt wird die Gefangenenperspektive eingenommen. Die psychischen Konsequenzen der Sicherungsverwahrung, etwa dass die Gefangenen ihren Entlassungstermin nicht definitiv kennen, werden kaum behandelt. Ebenso wird kaum berichtet, welche Straftäter in Sicherungsverwahrung gehalten werden.

Quellen
Bundesjustizministerium, „Fragen und Antworten zur Sicherungsverwahrung“, abgerufen am 6. Juni 2011

Prof. Dr. Jörg Kinzig, Juristische Fakultät der Universität Tübingen, E-Mail vom 23. Mai 2011

3SatXtra – Sicherungsverwahrung auf dem Prüfstand, Sendung vom 7. Februar 2011, YouTube, abgerufen am 6. Juni 2011

Norbert  Siegmund,  „Wegsperren  für  immer?  –  Sicherungsverwahrung  in  Deutschlands  größtem Knast“, WDR, Sendung vom Montag, 10. Januar 2011, YouTube, abgerufen am 6. Juni 2011

Kommentare
Prof. Dr. Jörg Kinzig, Juristische Fakultät der Universität Tübingen:
„Dass Strafgefangene im Nachhinein psychisch krank erklärt werden, wird in der Zukunft eine große Rolle  spielen,  da  nach  dem  Urteil  des  BVerfG  eine  weitere  Inhaftierung  sogenannter  Alt- und Parallelfälle eine psychische Störung voraussetzt. Was das ist, ist noch völlig ungeklärt. Ich nehme an, dass die Frage eines Vorhandenseins einer psychischen Störung die Medien in der Zukunft noch stärker beschäftigen wird.“

Prof. Dr. Dr. h.c. Fritz Sack , Leiter des Instituts für Sicherheits- und Präventionsforschung:
„Das Thema der Sicherungsverwahrung ist in den Medien generell nicht unterrepräsentiert. Einzelne Aspekte, darunter auch der des Einreichers, sind dagegen nicht ausreichend in den Medien vertreten. Die Perspektive der Strafgefangenen wird nicht adäquat dargestellt, da wir in einer opferbestimmten Gesellschaft leben.“

3 Kommentare zu Sicherungsverwahrung – die Täterperspektive

  1. In den Publikumsmedien geht es überwiegend um die Täter.
    Nach den Attentaten in Norwegen letzten Sommer zum Beispiel drehte es sich fast ausschliesslich um den Täter.
    Dass es auch Opfer gegeben hatte wurde mehr oder weniger beiläufig erwähnt.
    Dies ist bei allen Straftaten so.
    Eine der wenigen Medien, die auch die Opferperspektive zeigen, ist die Fernsehsendung „Aktenzeichen XY-ungelöst“.
    Aus Sicht der Medien ist dies verständlich, da es interessanter und spannender ist dem Täter ein Gesicht zu geben als den Opfern. Zudem wäre die Opfersicht sicherlich auch schmerzhafter sowohl für die Berichterstatter als auch für die Leser. Tätersicht heisst auch grössere Distanz zum Geschehen zu erreichen als wenn aus Opfersicht berichtet würde.
    Der Täter hat womöglich auch noch eine „spannende“ Vergangenheit, die man recherchieren kann, während die Opfer möglicherweise ganz unspektakulär gelebt haben.

  2. In diesem Detail mögen die Täter ausnahmsweise einmal geringere Aufmerksamkeit erhalten als das Thema insgesamt. Allerdings ist bei der Berichterstattung über Straftaten die Medienaufmerksamkeit doch im allgemeinen wesentlich mehr auf die Täter gerichtet als auf die Opfer dieser Straftaten. Ausgleichende Gerechtigkeit sozusagen.

    • Entschuldigen Sie die späte Antwort, aber: Wirklich? Woran machen Sie das fest?

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