Rede von Ensaf Haidar zum Günter-Wallraff-Preis 2019

Ensaf Haidar nahm den Günter-Wallraff-Preis 2019 stellvertretend für ihren Mann entgegen. Copyright: Deutschlandfunk/David Ertl.

Die Rede von Ensaf Haidar, Ehefrau von Raif Badawi, zur Preisverleihung des Günter-Wallraff-Preis 2019 an den saudischen Blogger und Menschenrechtler Raif Badawi und das European Journalism Observatory. Der Preis wurde am 14.Juni 2019 im Rahmen des 5. Kölner Forums für Journalismuskritik im Deutschlandfunk in Köln verliehen. Das Preisgeld in Höhe von 10.000,- Euro wurde in diesem Jahr von der Mediengruppe RTL, der Rewe Group, dem 1. FC Köln und Günter Wallraff selbst gestiftet und wird zwischen den Preisträgern aufgeteilt.

Meine Damen und Herren,

mein Name ist Ensaf Haidar und ich bin die Frau des politischen Gefangenen Raif Badawi, der nun sein siebtes Jahr hinter dunklen, kalten Mauern verbringt.

Jeder weiß, dass Raif zu zehn Jahren Gefängnis, tausend Peitschenhieben und einer hohen Geldstrafe verurteilt wurde, aber nur wenige wissen, dass mein Mann Raif zunächst zum Tod durch Schwert verurteilt wurde, was in anderen Ländern der Todesstrafe durch Erhängen entspricht. Es gibt keine Todesstrafe durch Hängen in Saudi-Arabien – das Enthaupten mit dem Schwert ist die Regel. Es sind verschiedene Methoden und der Tod sind das Ergebnis.

Die saudische Justiz verurteilte den friedlichen Aktivisten Raif Badawi zum Tode, nur weil er von seinem Recht Gebrauch machte, seine Meinung friedlich zu äußern und er laut „nein“ sagte zur erstickenden Kontrolle durch den Klerus und die religiöse Elite.

Dieses Urteil war eine erschütternde Nachricht für uns, seine Familie! Ich kann Ihnen nicht beschreiben, wie ich mich gefühlt habe, als ich davon erfuhr. Ich kann Ihnen genauso wenig beschreiben, wie überrascht ich war, als er später stattdessen mit Gefängnis und Peitschenhieben verurteilt wurde.

Meine Damen und Herren, Raif Badawi blieb das Schicksal des Todes durch das Schwert erspart. Es gibt viele andere Gefangene, die wegen ihres Gewissens im Iran, in Saudi-Arabien, Pakistan und anderen Ländern zum Tode verurteilt werden. Ihnen droht der Tod wegen ihrer Überzeugungen. Wenn man sich in diesen ländern entscheidet, den Islam zu verlassen, erwartet einen der Tod.

Muss ich Sie daran erinnern, dass in Artikel 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte unmissverständlich festgestellt wird, dass das Recht auf Rede- und Meinungsfreiheit ein grundlegendes Menschenrecht ist?

Dieser Kampf dafür ist es, warum Raif Badawi und andere Menschenrechtsaktivisten ins Gefängnis kamen. Die Beschuldigungen oder Bezeichnungen dafür mögen unterschiedlich sein, aber im Kern geht es um derselbe: die Rede- und Meinungsfreiheit.

Ich glaube, wir stehen vor zwei Möglichkeiten. Sind wir bereit, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen, oder hinterlassen wir unseren Kindern und Enkeln ein beschämendes Erbe, das ihnen sagt: „Obwohl wir die Welt hätten besser machen können, haben wir beschlossen, lieber zu schweigen“.

Ich glaube, dass es möglich ist, die Welt zum Besseren zu verändern. Es ist ein Traum, den viele junge Männer und Frauen teilen, in einer von Kriegen und Menschenrechtsverletzungen zerrissenen Welt.
Und dieser Traum wird zur Pflicht – unserer menschlichen und moralischen Pflicht, die Freiheit des Denkens und der Menschenrechte zu verteidigen.

Dies ist die Lektion, die ich aus den Erfahrungen meines Mannes gelernt habe. Ich verteidige Raif heute nicht, weil er der Vater meiner Kinder ist, nein. Ich tue dies jetzt, weil ich mehr denn je an das Recht eines jeden Menschen auf freie Meinungsäußerung glaube. Und ich werde für dieses Recht kämpfen – selbst für diejenigen, mit denen ich nicht übereinstimme.

Veränderungen werden nicht stattfinden, solange wir zulassen, dass die Angst uns zum Schweigen bringt. Veränderungen werden nicht stattfinden, wenn das Schweigen unser Weg ist.

Meine Damen und Herren, es ist mir eine große Ehre, heute hier zu stehen, um diese angesehene Auszeichnung zu erhalten.

Ich danke Ihnen.

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