„Newsdesk ist ein positiver Trend des Journalismus“

Newsdesk und Newsroom sind Reizworte im Medienbetrieb. Seit einigen Jahren wird die Arbeitsorganisation in vielen Redaktionen umgekrempelt – verbunden mit zahlreichen Entlassungen. Wie wirken sich die neuen Arbeitsformen auf die Recherche aus? Der Journalistik-Professor Klaus Meier verfolgt die Einführung von Newsdesks und Newsrooms in Deutschland seit Jahren. Er schätzt, dass mindestens die Hälfte der deutschen Zeitungsredaktionen einen Newsdesk oder Elemente des Newsdesk-Modells umgesetzt oder in Planung haben. In dieser Entwicklung sieht er eine Chance für mehr Recherche – wenn Medienunternehmen die Veränderungen nicht als Sparoption, sondern als Qualitätsinvestition begreifen.

Wie definieren Sie Newsdesk und Newsroom?

Ein Newsdesk ist eine Koordinations- und Produktionszentrale. Dort laufen die Fäden einer Redaktion zusammen, und es kann von dort aus ressortübergreifend und/oder für mehrere Medien etwa für Print und online gearbeitet werden. Newsroom ist ein umfassenderer Begriff. Newsroom heißt, die Wände zwischen Ressorts und Medien einzureißen. Nicht nur architektonisch, sondern auch in den Köpfen der Redakteure. Man soll mehr darauf achten, ressort- und medienübergreifend zu denken und zu arbeiten. Ein Newsdesk kann Zentrum eines Newsrooms sein, muss es aber nicht unbedingt. Im Detail gibt es nicht den einen Weg, sondern viele Möglichkeiten, diese Ideen in einer Redaktion umzusetzen.

Wo liegen die zentralen Unterschiede zu einer klassischen Redaktionsstruktur?

Da lohnt es sich, darauf zu schauen, wie Redaktionen vor zehn oder zwanzig Jahren strukturiert waren: Jedes Ressort hat für sich gearbeitet, jedes Medium hatte seine eigene Redaktion. Denken und Arbeiten über Ressort- und Mediengrenzen hinweg war nicht üblich. Früher hatte man bei Zeitungsredaktionen auch keine Rollentrennung. Der Redakteur machte alles: Er konferierte mit freien Mitarbeitern, redigierte, entwarf Überschriften und erledigte den Ganzseitenumbruch – recherchierte und schrieb aber auch eigene Texte. Mit der Newsdesk-Bewegung wurde eine Rollentrennung in Reporter und Editoren eingeführt, die es in den USA schon seit mehr als 100 Jahren gibt. Am Newsdesk sitzen die Editoren, die die Zeitung aus einem Guss produzieren und eine ganzheitliche Themenplanung im Auge haben. Die Reporter haben Zeit und den Kopf frei für Recherchen, können ihre Netzwerke pflegen.

Welche Vorteile hat diese Arbeitsorganisation?

Man kann sich auf seine Aufgabe konzentrieren und sich professionalisieren. Die Editoren lernen in ihrer Routine, die Zeitung besser zu gestalten, schneller gute Schlagzeilen zu schreiben und eigene Themen zu setzen. Sie können bewusst überlegen: Was bewegt unsere Region? Wie wollen wir unser Blatt durchkonzipieren? Die Reporter haben den Vorteil, dass sie mittel- und langfristig ihr Netzwerk ausbauen können, latente Geschichten weiter verfolgen können, auf lange Sicht auch ein Thema investigativ weitertreiben zu können. Sie können dran bleiben an Themen, was man nicht kann, wenn man heute recherchiert und morgen redigiert und das Layout machen muss.

Wenn die Themenplanung bei den Editoren liegt, wird doch der Reporter nur noch zum Zulieferer.

Es wäre sehr ungünstig, wenn man das so löst. Natürlich müssen Editor und Reporter in einem sehr guten Austausch stehen. Mit Themenplanung meine ich nicht, dass der Editor vorschreibt, was der Reporter in den nächsten drei Tagen zu recherchieren hat. Beim Editor laufen die Fäden zusammen. Er weiß, was in den Agenturen Sachstand ist, was in den anderen Medien gelaufen ist und er weiß, was die eigenen Reporter für Geschichten planen. Der Trend weg vom Einzelkämpfer-Dasein hin zu mehr Teamarbeit ist ja auch mit der Newsdesk-Bewegung gekommen.

Wenn ein Journalist von einer Veranstaltung Berichte für drei Medien mitbringt, die am Newsdesk koordiniert werden, geht dann nicht auch Vielfalt verloren?

Wenn es eine wichtige Angelegenheit ist, können ja weiterhin drei Journalisten hingehen. Es ist aber nicht unbedingt vielfaltsrelevant, wenn die drei eine Pressekonferenz besuchen und aus den gleichen Antworten drei Berichte schreiben. Wenn jetzt von drei Journalisten einer auf die Pressekonferenz geht und die anderen eigene Geschichten recherchieren, ist das vielfaltstragender. Ja selbst wenn ein Drittel gespart werden muss, bleibt in unserem Beispiel immer noch einer für eigene Geschichten frei.

Sehen Sie auch Nachteile in der Rollentrennung von Editoren und Reportern?

Deutsche Journalisten sind anders sozialisiert. Sie beziehen häufig eine Befriedigung aus ihrem Beruf, weil sie Vielfalt mögen und eben nicht nur Editor oder nur Reporter sein wollen. Für diese Journalisten kann es ein Nachteil sein, wenn sie gezwungen werden, ausschließlich eine Rolle zu übernehmen. Zudem kann der Druck auf einzelne Journalisten im Newsdesk-Modell steigen – die persönlichen Freiräume werden enger. Ansonsten sehe ich nur Nachteile, wenn man das Newsdesk-Modell als reine Sparoption missbraucht. Ich kann mit einem Newsdesk die Zeitung auch mit 60 Prozent der Journalisten machen, die ich vorher hatte. Aber der qualitative Witz bei der Sache ist ja, dass man das freigesetzte Personal für Recherche einsetzt und für eigene Themensetzung – also in Qualität investiert.

Aber Medienunternehmen haben doch den Newsdesk zum Sparen eingesetzt.

Die Einnahmen der Zeitungsverlage sind nun mal eher gesunken als gestiegen. Wenn eine Redaktion weniger Budget zur Verfügung hat, kann sie das mit der Einführung eines Nesdesk-Modells eher ausgleichen und Qualität halten oder sogar ausbauen – und zudem das Internet in die Redaktionsarbeit integrieren. Mit alten Strukturen zu sparen und gleichzeitig das Internet bedienen zu müssen, tut meistens viel mehr weh. Aber natürlich ist der ökonomische Druck auf Redaktionen nicht beliebig steigerbar, sonst gerät die Qualität unter die Räder – mit welchen Redaktionsstrukturen auch immer.

Sie haben eine Reihe von Redaktionen untersucht. Geben Sie bitte ein Beispiel.

Eine Redaktion, die ich mir immer wieder angeschaut habe, ist die Main-Post in Würzburg. Die Zeitung hat durch die Einführung des Newsdesks Qualitätssprünge gemacht. Bei der Main-Post wurden regionale Newsdesks eingerichtet und ein überregionaler Desk in Würzburg. In diesem Prozess wurden zwar sicher auch Fehler gemacht, aber auch wieder korrigiert. Dort ist es im überregionalen Teil gelungen, einen Pool von Reportern aufzubauen, die ihre eigenen Geschichten verfolgen. Schon bei Einführung des Newsdesks hat man signifikant mehr eigene Texte im Blatt gehabt als vorher.

Für Sie sind Newsdesk und Newsroom also eine positive Entwicklung des Journalismus.

Absolut. Ich sehe da einen positiven Trend, der auch unumkehrbar ist. Zum einen ist die Themenlage in den letzten Jahrzehnten viel komplexer geworden. Wenn man Themen adäquat behandeln will, muss man über Ressortgrenzen hinwegschauen. Der Leser ist nicht mehr mit Fachjournalisten mit Scheuklappen zufrieden, möchte aber auch nicht nur Agenturmeldungen in der Zeitung lesen, sondern eigene, recherchierte Geschichten. Zum anderen haben wir die Medienentwicklung durch Internet und Digitalisierung. Eine Redaktion muss sich überlegen, wie sie verschiedene Ausspielwege bedienen kann. Aber wie gesagt: Es gibt viele verschiedene Modelle. Eine Redaktion muss aus sich heraus entwickeln und immer wieder weiter treiben, wie sie eine Newsdesk- oder Newsroom-Idee umsetzen möchte.

Da steigt doch die Arbeitsbelastung der Journalisten enorm an.

Die Tools, mit denen man umgehen muss, und die Schlagzahl der vielfältigen Tätigkeiten werden erhöht. In systematischen Journalistenbefragungen gibt es viele Journalisten, die sagen, sie seien sehr zufrieden, weil sie vielfältiger arbeiten und Themen jetzt anders angehen können. Andere Journalisten beklagen, dass die persönlichen Freiräume schwinden und man acht bis zehn Stunden unter Dampf ist.

Klaus Meier ist Professor am Lehrstuhl für crossmediale Entwicklungen des Journalismus im Institut für Journalistik der TU Dortmund

Links:

Veraltete Redaktionsstrukturen behindern Recherche, sagt das Netzwerk Recherche.

Der Newsdesk ist ein Sparmodell, berichtete Zapp.

Qualität ist durch Newsdesk nur gefühlt besser geworden, bewertet eine Diplomarbeit aus Hamburg.

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