2022: Top-Thema 06

Nachhaltige Autobahn aus Asche

Abstract:

Seit über 2.000 Jahren nutzen Menschen Zement als Baustoff für Gebäude und Straßen. Die Herstellung ist jedoch durch den hohen Ausstoß von CO2 enorm klimaschädlich. In mehreren europäischen Ländern wird derzeit eine Alternative getestet: Im Autobahnbau wird der Zement dabei durch Flugasche ersetzt. Zwar ist das Thema Klimaschutz in der Öffentlichkeit allgegenwärtig, konkrete Berichte über solche Pilotprojekte gibt es jedoch in vielen Medien noch zu wenig. Eine vielfältigere Berichterstattung und mehr Positivbeispiele könnten dazu beitragen, die Klimakrise nicht als abstraktes Schicksal wahrzunehmen.  

Sachverhalt & Richtigkeit: 

Unter dem Namen „paperChain“ laufen Projekte in Portugal (Baugewerbe, Straßenbau), Spanien (Straßenbau, Autobahnbau), Schweden (Bergbau, chemische Industrie) und Slowenien (Eisenbahnbau) mit dem Ziel, aus Nebenprodukten der Papierindustrie nachhaltige Baustoffe zu erzeugen. Das Gesamtprojekt umfasst fünf sogenannte Demo-Cases. Der zweite dieser fünf Demo-Cases befasst sich mit einer bestimmten Art von Papierasche: die sogenannte Altpapier-Flugasche. Tests ergaben, dass sich diese Flugasche als Bindemittel für Untergrundschichten des Straßenbaus eignet, somit wäre die Nutzung von Zement in diesem Zusammenhang nicht mehr notwendig. 
Getestet wird dieser Prozess derzeit in drei Pilotprojekten in Nordspanien. Pilot eins und zwei, die sich in Zaragoza befinden, bestehen jeweils aus einer einen Kilometer langen Landstraße. Besonders vielversprechend ist jedoch das dritte Pilotprojekt, es wird in La Font de la Figuera in Valencia durchgeführt, hier ersetzt der neue Baustoff auf einem 250 Meter langen Autobahnabschnitt den herkömmlichen Zement. Der darauf folgende Abschnitt ist auf die altbewährte Weise gebaut, um einen direkten Vergleich möglich zu machen. Die verwendete Technik ermöglicht es nach Angaben der Betreiber, bis zu 75 Prozent der beim Bau verursachten CO2-Emissionen einzusparen. Das spanische Bauunternehmen Acciona Construcción, das für den Bau verantwortlich ist, rechnet bereits mit 18.000 Tonnen an Zement, die jährlich eingespart werden könnten, wenn der Baustoff bei weiteren Projekten eingesetzt werden darf. (Simonsen, 2021) 
Die bisher durch die Pilotprojekte erlangten Erkenntnisse bestätigen die Leistung und Qualität des neuen Baustoffs. Das größte Problem sei kein technischer Aspekt, sondern vielmehr das Überwinden von bürokratischen und gesetzlichen Hürden, um die Zulassung des neuen Baustoffs zu erlangen, teilt uns Koordinator und Projektmanager Juan José Cepriá mit. Seiner Prognose zufolge könnte der Baustoff in den nächsten Jahren alle relevanten Zulassungen durch die zuständigen Behörden erhalten. Desweiteren spricht er von Vorbehalten gegenüber Neuem bei einigen Verantwortlichen „Die Menschen benutzen Zement nun schon seit über 2.000 Jahren, es ist also ein altbewährter Baustoff, diesen versuchen wir zu ersetzen. Ein solcher Prozess findet logischerweise nicht überall Zustimmung.“ (Juan José Cepriá, Projektmanager Acciona Construcción, 2022) 
In Norwegen gibt es ein vergleichbares Pilotprojekt: In der Nähe von Trondheim werde voraussichtlich im Jahr 2025 ebenfalls ein Autobahnabschnitt fertiggestellt, berichtet Cepriá.                 

Relevanz: 

Der Klimawandel betrifft jeden Menschen, Klimaschutz ist deshalb für alle von besonderer Relevanz. Deutschland hat das Ziel, bis 2045 treibhausgasneutral zu werden. Auch das Baugewerbe wird hierzu einen Beitrag leisten müssen. Der neue Baustoff kann nach Angaben seiner Befürworter nicht nur zum Neubau von Straßen eingesetzt werden, sondern auch zu ihrer Instandhaltung. Deutsche Firmen sind bislang nicht in das Projekt eingebunden. Wie uns Cepriá berichtet, steht er jedoch mit deutschen Kollegen in Kontakt, die Interesse an der Forschung zeigen. Laut Cepriá ist der entscheidende Faktor bei der Umsetzung eines solchen Projekts in anderen Ländern zweifellos die Verfügbarkeit der speziellen Flugasche. Die deutsche Papierrecycling-Industrie dürfte seiner Meinung nach eine gute Quelle für das Material darstellen. Er befürchtet, dass ähnlich wie in Spanien, auch in Deutschland die gesetzlichen Hürden und Regularien das größte Hindernis bilden könnten. Grundsätzlich ist Cerpiá überzeugt: „Deutschland verfügt über alle Schlüsselfaktoren, um eine Umsetzung möglich zu machen.“ (Juan José Cepriá, Projektmanager Acciona Construcción, 2022)       

Vernachlässigung: 

Über das Projekt haben im deutschsprachigen Raum bislang nur Onlinemedien berichtet, vorrangig handelt es sich dabei um fachspezifische Angebote wie beispielsweise techandnature.com oder forschung-und-wissen.de. Die Berichte ähneln sich sehr stark in Inhalt und Wortlaut, außerdem sind sie relativ kurz und leuchten das Thema nicht umfassend aus. Allgemeine Nachrichtenmedien haben sich bisher nicht damit befasst. Darüber hinaus gestaltet es sich schwierig, Ansprechpartner zu finden, die schon vor dem Interview mit dem Projekt vertraut waren.       

Kommentare:

Juan José Cepriá, Projektmanager Acciona Construcción:
Wir gehen davon aus, dass unser Produkt bald als regulärer Baustoff verwendet werden kann. Die größten Hürden stellen zurzeit die gesetzlichen Barrieren dar, wir sind allerdings auf dem Weg, diese Hürden zu überwinden.“

Joachim van Bebber, Geschäftsbereichsleiter Planung bei Die Autobahn GmbH des Bundes:
„Obwohl mir das Projekt nicht bekannt ist, lässt sich sagen, dass eine mögliche Umsetzung in Deutschland sehr sorgfältig überprüft werden wird, da neue Baustoffe erst einmal gründlich erforscht werden. Zudem ist das Ersetzen eines bewährten Baustoffs wie in diesem Fall Zement häufig mit einem längeren Prozess verbunden.“

Piotr-Robert Lazik, Laborant Zuständigkeit Beton bei Die Autobahn GmbH des Bundes:
„Ich kann bestätigen, wie schwierig es sein kann, diese Zulassung zu erhalten, zuständig dafür ist das Deutsche Institut für Bautechnik in Berlin. Es werden erst viele Anforderungen erfüllt werden müssen, bevor es zu einer Anwendung kommen kann.“