Mehr als Dax und Bilanzen – Wirtschaftsjournalismus in Deutschland

 Mehr als Dax und Bilanzen

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Die Diskussionsrunde „Wirtschaftsjournalismus – Mehr als Dax und Bilanzen“ beim Forum Journalismuskritik ( ©Deutschlandradio / Jann Höfer)

Wie steht es um den Wirtschaftsjournalismus in Deutschland? Berichten die Journalisten über die richtigen Themen und haben sie ausreichend Zeit für die Recherche? Darüber haben der IG-Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann, Bayer-Pressesprecher Christian Maertin, n-tv-Wirtschaftschef Ulrich Reitz und der Recherchejournalist Günter Wallraff auf dem Forum Journalismuskritik gesprochen.

Die vollständige Diskussion können Sie hier hören.

Einig waren sich alle Diskussionsteilnehmer, dass Wirtschaftsjournalisten oft Zeit für eine längere Recherche fehlt. Günter Wallraff kritisierte den Begriff Wirtschaftsjournalist an sich. Der Wirtschaftsteil in Zeitungen und Zeitschriften sei kapital- und konzernorientiert. Er werde nur von denen zur Kenntnis genommen, die zu den Besitzenden gehörten.

„Wer sich Wirtschaftsjournalist nennt und sich diesen Titel zu eigen macht, da habe ich höchste Skepsis“, betonte Wallraff. Das sei einer, der „auf der anderen Seite“ stehe. Er ergänzte, es gebe immer weniger Journalisten, die Zeit hätten für die Recherche. Dadurch werde der Bereich Arbeit, also wie es in den Betrieben aussehe, vernachlässigt.

„Zu wenige Arbeitnehmer-Themen“

Auch IG-Metall-Vorstandschef Jörg Hofmann beklagte, Arbeitnehmer-Themen fänden zu wenig statt. Die Wirtschaftsberichterstattung sei weit weg von dem, was Beschäftigte und deren Familien betreffe. Hofmann forderte, Themen wie Arbeit und Lebensbedingungen gehörten gleichberechtigt zum Wirtschaftsbegriff. Dieser sei zu beschränkt auf Makroökonomie, Produkte und Unternehmen.

Einige Themen wie Arbeit würden nicht immer in der Wirtschaftsredaktion behandelt, sondern auch von den Redaktionen für Gesellschaft, Politik und Lokales. Wenn aber beispielsweise Politikredakteure über die Eurozone berichteten, sei es nicht ihre Priorität, die wirtschaftlichen Zusammenhänge einzubinden. Der IG-Metall-Chef ergänzte, wegen der geringen Ressourcen und des hohen Zeitdrucks seien Journalisten angewiesen auf Material, das von den Pressestellen der Konzerne geliefert werde.

Der Recherchejournalist Günter Wallraff auf dem Forum Journalismuskritik im Deutschlandfunk (©Deutschlandradio / Jann Höfer)

„Wirtschaftsthemen übersetzen“

Vorwürfe, wonach Wirtschaftsjournalisten nur für wohlhabende Menschen und Konzerne berichteten, wies Ulrich Reitz zurück. Der Ressortleiter Wirtschaft beim Sender n-tv erklärte, die Herausforderung seiner Branche sei es, Wirtschaftsthemen zu übersetzen. „Wir erklären, was diese für den einzelnen Menschen bedeuten.“ Bei n-tv sähen nicht Wirtschaftsführer und Entscheider zu, sondern normale Bürger. Er wies darauf hin, dass sich die Börsenberichterstattung verändert habe. Die Kollegen in Frankfurt seien nicht mehr nur Börsenreporter, sondern ordneten Ereignisse auch ein.

Reitz ergänzte, für n-tv als Fernsehsender sei es nicht leicht, manche Themen aufzubereiten. Es brauche immer jemanden, der vor der Kamera über Missstände spreche. Es sei auch wichtig festzuhalten, dass es in der Wirtschaft nicht nur um Skandale gehe. Der Bereich sei sehr groß und biete viele interessante Themen.

„Immer polarisierender und schneller“

Der Head of Corporate Communications der Bayer AG, Christian Maertin, hat nach eigenen Angaben festgestellt, dass die Kommunikation in letzter Zeit verändert hat. „Sie ist massiv getrieben durch digitale Medien.“ Sie werde immer polarisierender, immer schneller und immer flacher. Häufig läsen Menschen nur eine Überschrift, und dann sei der „Like“ schon da.

Die Tiefe der Recherche sei sehr redaktionsabhängig, sagte Maertin. Bei manchen Journalisten scheine auch der Tenor vorzuherrschen, dass Wirtschaft immer schlecht sei. Diese sei aber „nicht der Inbegriff des Bösen“. Als Beispiel nannte er die Berichterstattung über die Bayer-Übernahme des US-Agrarkonzerns Monsanto. Sein Unternehmen sei schon seit Jahren sehr transparent mit dem Thema umgegangen. Die Devise laute „maximale Offenheit und maximale Transparenz.“

Er wies aber auch auf die Bedeutung von Journalisten hin. „In der heutigen Zeit, in der es extrem viel um Populismus und um Fake News geht, da brauchen wir einen starken Journalismus, der wirklich einordnet.“ Für ihn sei es keine Option, über eigene Kanale bei Facebook oder Blogs ohne den Zwischenweg über den Journalismus zu kommunizieren. „Das ist echt gefährlich.“

„Meinungsmacht und Meinungsmarkt“, so lautete in diesem Jahr der Oberbegriff für das „Kölner Forum für Journalismuskritik“. Beiträge und Audios finden Sie auf dieser Seite.