2013: Top 5

Die gehörlose Generation

Zu laute Musik schadet dem Gehör. Laut einer Studie der Berufsgenossenschaft Bau ist inzwischen jeder vierte Jugendliche bereits vor Eintritt in das Berufsleben hörgeschädigt. 45 Prozent schätzen sogar die Lautstärke eines Presslufthammers (120 Dezibel) als ungefährlich ein. Die Folgen sind Erkrankungen, die zu Arbeitsausfällen und Kosten für das Gesundheitssystem führen. Obwohl Politik und Wirtschaft von der Problematik wissen, wird zu wenig unternommen, um die Verbraucher aufzuklären. Zwar dürfen Hersteller aufgrund einer EU-Richtlinie nur Geräte vermarkten, die einen Schalldruckpegel von maximal 85 Dezibel aufweisen, dennoch werden weiterhin von fast allen namhaften Herstellern Geräte produziert, die mittels weniger Handgriffe Musik lauter abspielen können.

Sachverhalt & Richtigkeit:
Der laute Musikkonsum der Jugend führt zu einer signifikanten Erhöhung der Krankheitsfälle. Zu diesem Ergebnis kam die Deutsche Angestellten Krankenkasse (DAK). Die Folgen für die Betroffenen sind Hörgeräte und vermehrte Arztbesuche. Zu einem ähnlichen Schluss kam die Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft(BG Bau): Jeder vierte Jugendliche ist schon vor Eintritt in das Berufsleben hörgeschädigt, das haben Studien und arbeitsmedizinische Untersuchungen gezeigt. 45 Prozent der Jugendlichen schätzen gefährliche Lautstärken zwischen 100 bis 120 Dezibel als harmlos ein. Wenn die Gefahr für Hörschäden zu groß ist, was tut dann die Politik um dieser negativen Entwicklung entgegen zu wirken? Das Bayerische Gesundheitsministerium setzt auf Aufklärung und bietet auf einer Homepage Jugendlichen die Möglichkeit einen Gehörschaden simulativ zu erleben. Ob diese Art von abschreckender Aufklärung wirksam ist, bleibt allerdings fraglich. Die EU hingegen setzt den Hebel an einer anderen Stelle an. Der steigende Absatz von mobilen Musikgeräten bewegte die EU im Jahr 2009 dazu, Richtlinien für die Geräte zu erlassen. Die EU-Normen sind nicht zwingend verbindlich. Die EU-Norm setzt auf Warnhinweise und lässt der Industrie viel Spielraum um die Innovationsfähigkeit der Unternehmen nicht einzuschränken.
Wirtschaftlich ist der Verkauf von mobilen Musikgeräten ein voller Erfolg. Trotz des Bewusstseins für die massiven Folgen beim Verbraucher, werden immer neue In-Ear-Kopfhörer und immer lautere Lautsprechersysteme entworfen. Viele der Geräte lassen sich, mit Hilfe der im Internet zahlreich kursierenden Anleitungen, mit ein paar Handgriffen lauter stellen. Einen besseren Schutz zur Vermeidung solcher Tricks gibt es bislang nicht. Die Gefahr von zu lauter Musik findet auf der Homepage von Apple nur eine kleine Randnotiz und auch andere Hersteller sind nicht gerade für ihre Aufklärungsarbeit bekannt. Dass es auch anders gehen kann, zeigen Hersteller von Kopfhörern mit Lautstärkebegrenzung. Allerdings stellen sie nur Nischenprodukte dar, sind im Einzelhandel so gut wie nicht zu finden und werden meistens mit dem Label „Kinderkopfhörer“ vertrieben. Nicht nur die Unterhaltungsindustrie profitiert vom lauten Musikhören. Auch Hörgerätehersteller verdienen gut an der Sache. „Hearthe World“ führte eine Studie zum Thema Hörschäden bei Jugendlichen durch und kam zu dem Ergebnis, dass es eine starke Zunahme von Hörschäden bei Jugendlichen gibt. BG Bau wies auf die gravierenden Folgen für den Arbeitsmarkt hin und machte auf die horrenden Kosten durch Arbeitsausfälle, verursacht durch zu lauten Musikgenuss aufmerksam.

Relevanz:
Die Industrie verdient viel Geld mit den Hörschäden der Jugendlichen. Die Gemeinschaft der Steuerzahler kommt für diese Mehrleistungen wiederum auf. Ziel der Recherche ist es, eine größere Sensibilität in der Bevölkerung zu erreichen und für Aufklärung zu sorgen.

Vernachlässigung:
Einige Medien berichteten über die Hörschäden bei Jugendlichen –  zum Beispiel 3sat und der Stern. Allerdings ging es bei den Berichten immer nur um Hörschäden nach langen Diskonächten und nicht um die Problematik der mobilen Endgeräte. Außerdem berichteten vereinzelt Krankenkassen-Magazine. Eine zielgruppenspezifische Berichterstattung fand bisher nicht statt.

Quellen:

Hearthe World, „Lange und laut – internationale Studie belegt intensives
Musikhören über MP3-Player und Handy“, http://www.phonak.com/content/dam/phonak/gc_de/Dokumente/PM_Hear%20the%20World_MP3-Player%20Studie.pdf,zuletztabgerufen am 03.07.2013;

Tag gegen Lärm, Tag gegen Lärm ist eine Organisation, die es sich zum Ziel gemacht hat, gegen den Alltagslärm zu kämpfen, http://www.tag-gegen-laerm.de/,zuletztabgerufen am 03.07.2013;

Statista, „Was verdient die Hörgerätindustrie an den Ohrschäden“;

DAK, Aufklärungsseite der DAK zu Hörschäden. http://www.presse.dak.de/ps.nsf/sblArchiv/32160796461B34E9C12574F90031B789?open, zuletztabgerufen am 03.07.2013;

FOCUS Online, „Lautes Musikhören schadet Nervensystem“, 12.03.2011, http://www.focus.de/wissen/natur/gesundheit-studie-lautes-musikhoeren-schaedigt-nervensystem_aid_607819.html,zuletztabgerufen am 03.07.2013;

Süddeutsche Zeitung, „Taubheit durch Musikhören“, 17.05.2010, http://www.sueddeutsche.de/wissen/eu-studie-taubheit-durch-musikhoeren-1.531636,zuletztabgerufen am 03.07.2013;

ta/lby, „Frühe Hörschäden durch zu laute Musik“, 14.12.2012, http://www.idowa.de/lokales/allgemeine-laber-zeitung/artikel/2012/12/14/fruehe-hoerschaeden-durch-laute-musik.html,zuletztabgerufen am 03.07.2013;

BG Bau, „Hörschäden durch Lärm“, http://www.sifatipp.de/fachwissen/fachnews/horschaden-durch-larm,zuletztabgerufen am 3.7.2013;

Dr. Wolfgang Babisch, Lärmexperte des Umweltbundesamtes, Gespräch am 30.4.2013;

Reinhard Hoenighaus, Pressesprecher der Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland, Gespräch am 29.4.2013;

Christian Elspas, Mitarbeiter der Techniker Krankenkasse, Gespräch am 29.4.2013;

Tanja Lemke, Mitarbeiterin der DAK Pressestelle, Gespräch am 29.4.2013;

Kommentar:
Dr. Wolfgang Babisch, Experte für Lärm des Umweltbundesamtes in Berlin:
„Fakt ist aber trotzdem, dass ungefähr 5-10 Prozent der jungen Leute aufgrund ihrer Hörgewohnheiten einem potenziellen Risiko unterliegen, einen nachweisbaren Hörverlust durch Musikgenuss über Kopfhörer zu erleiden.“