2013: Top 1

In Spendierroben: Wie Richter ohne Kontrolle Geld aus Prozessen verteilen

Der Niedersächsische Landesrechnungshof stuft Richter als besonders korruptionsgefährdet ein. Denn: Sie entscheiden jedes Jahr über die Verwendung von 100 Millionen Euro, die die Justiz als Geldauflagen in Prozessen einnimmt. Dieses Geld vergeben sie an gemeinnützige Vereine oder die Staatskasse. Wer wie viel Geld bekommt, entscheiden letztlich allein die Richter. Staatsanwälte haben nur ein Vorschlagsrecht. Inzwischen gibt es sogar Marketingunternehmen, die Vereinen helfen, auf die Empfängerlisten zu kommen. Über diese in jedem Gerichtsbezirk stattfindenden Geldflüsse wird in den Medien kaum berichtet.

Sachverhalt & Richtigkeit:
Allgemein haben Staatsanwälte im Rahmen einer Ermittlungseinstellung ein Vorschlagsrecht, welche Organisation der zuständige Richter mit den Geldzuweisungen bedenken könnte. Die Staatsanwälte sind vom Gesetzgeber her angehalten, sich an den Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren zu orientieren. Sie sollen darauf achten, dass bei der Auswahl des Zuwendungsempfängers „insbesondere Einrichtungen der Opferhilfe, Kinder- und Jugendhilfe, Straffälligen- und Bewährungshilfe, Gesundheits- und Suchthilfe sowie Einrichtungen zur Förderung von Sanktionsalternativen und Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen in einem angemessenen Umfang“ berücksichtigt werden. Ihr Wort und das des Verteidigers können Gewicht haben; letztlich entscheiden, wohin das Geld fließen soll, tut jedoch der Richter. Auch Richtlinien, wonach die Ziele der Vereine zu dem verletzten Rechtsgut in Beziehung stehen sollten, dienen dabei lediglich als Orientierung; bindend sind sie nicht.
Mitunter berichten Medien über Auffälligkeiten bei diesen Entscheidungen – wonach einzelne Vereine für ihre eher geringe gesellschaftliche Bedeutung ungewöhnlich hohe Geldzuweisungen bekommen, wie in Brandenburg etwa der Verein „Trinkkegelcousins (TKC) Wriezen. Der Sportverein, mit mittlerweile 200 Mitgliedern in vier Abteilungen, hat zwischen 2005 und 2009 insgesamt 23.400 Euro bekommen, während andere Organisationen finanziell leer ausgehen.
Um eine Idee zu bekommen, welche Vereine die Richter bedenken können, gibt es in den Gerichtsbezirken Listen, in die sich nachgewiesen gemeinnützige Vereine eintragen lassen können – diese Listen sind ebenfalls unverbindlich, aber lang: Allein in Nordrhein-Westfalen hat die Zentralstelle Gemeinnützige Einrichtungen der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf bis Ende 2012 über 7.000 Einrichtungen in seiner zentralen Datenbank erfasst, 2.700 weitere warten auf eine Aufnahme. Knapp 18 Millionen Euro sind 2012 an etwa 2.000 Vereine ausgeschüttet worden, in die Landeskasse flossen 22 Millionen Euro.
Bundesweit gibt es nach Schätzungen der Bundesregierung über 500.000 Vereine und 15.000 Stiftungen. Viele von ihnen sind auf die Gelder angewiesen und buhlen um die Gunst der Richter und ihre Geldzuweisungen. Mittlerweile gibt es mehrere Marketingfirmen, die massiv bei den Gerichten für ihre Klienten mit Anschreiben und Anrufen werben.
Der Rechtsanwalt und Notar Wolfgang Stückemann hat 2009 die Vergabepraxis der 16 Bundesländer auf ihre Transparenz hin untersucht. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen für eine Transparenz der Zuwendungen nur bedingt vorhanden sind. Ähnlich sieht es die Neue Richtervereinigung, die verschiedene Möglichkeiten aufführt, um die Transparenz zu erhöhen und „den Generalverdacht der Mauschelei“ auszuräumen. Dazu zählt etwa das „Hamburger Modell“, bei dem die Geldauflagen in einen Sammelfonds fließen, aus dem ein mehrköpfiges Gremium die Geldzuweisungen verteilt. Stückemann etwa befürwortet einen Vorschlag, wonach Rechenschaftsberichte von Empfängervereinen für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollten. „Eine allgemeine öffentliche Kontrolle würde verhindern können, dass einige Empfänger von hohen Zahlungsauflagen, etwa in Wirtschaftsstrafverfahren, sehr viel mehr profitieren als andere“, schreibt Stückemann.

Relevanz:
Zu entscheiden, welcher gemeinnützige Träger welche Summe Geld zugewiesen bekommt, ist eine starke Machtposition. Die Entscheidungen der Richter über die Verwendung von Geldern aus Strafprozessen haben Folgen für die soziale Infrastruktur vor Ort, da finanzielle Mittel die Arbeitsmöglichkeiten von Vereinen maßgeblich mitbestimmen. Somit betrifft das Thema alle Bürger in Deutschland. Die alleinige Entscheidungsgewalt der Richter kann Günstlingswirtschaft fördern – wie schon der niedersächsische Landungsrechnungshof feststellte. Berichtete Einzelfälle zeigen, dass das Geld tatsächlich ungleich fließt, was als ungerecht wahrgenommen wird – und faktisch ungerecht sein kann. Die Entscheidungsmacht von Richtern in dieser Frage einzuschränken und auf verschiedene Personen aufzuteilen, tangiert die richterliche Unabhängigkeit nicht, da es hier nicht um das Strafmaß geht. Im Gegenteil: Eine öffentliche Kontrolle und mehr Transparenz über die Gelder führen zu unabhängigeren Entscheidungen über ihre Verwendung.

Vernachlässigung:
Die Medien berichten meistens dann über Geldauflagen, wenn Prominente wie Josef Ackermann Geldauflagen in Millionenhöhe zahlen müssen oder gemeinnützige Vereine in Artikeln vorgestellt werden. Die Transparenz bei der Vergabepraxis von Geldzuweisungen wird nur vereinzelt thematisiert, obwohl alljährlich in Deutschland 100 Millionen Euro an Geldauflagen verteilt werden können. Dabei haben Journalisten die Möglichkeit, bei den Oberlandesgerichten die jährlich aktualisierten Empfängerlisten auf Nachfrage einzusehen und vor allem im Lokalen ihre demokratische Kontrollfunktion wahrzunehmen.

Quellen:

Erich Neumann, freier Journalist und Einreicher des Themas, Gespräch am 7.01.2013;

Wolfgang Stückemann, „Transparenz der Vergabe von Geldbußen an gemeinnützige Organisationen − Eine Dokumentation anhand der Praxis der Bundesländer“, Lemgo, 2009, http://www.stueckemann.com/?iungo=1215&download=1&uid=1278574854075 ,zuletzt abgerufen 1.07.2013;

Annett Glatz, Kristina Ehrlich und Gwenda Walk, „Geldauflagen“, 9. November 2010, MDR-Magazin „exakt“;

Garonne Bezjak, Vorstandsmitglied der Neuen Richtervereinigung sowie Richterin am Amtsgericht Pinneberg, Gespräch am 10.06.2013;

Reiner Hüper, Oberstaatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft Kiel, Leiter der Korruptionsabteilung / Leiter der AG Strafverfolgung bei Transparency International, Gespräch am 10.06.2013;

Steven Hanke, „Die Spendierroben“ 29. August 2009, http://www.anstageslicht.de/dateien/HANKE_290809.pdf, zuletzt aufgerufen am 3.7.2013; sowie Gespräch am 10.06.2013;

Steven Hanke, Journalist, Gespräch am 6.10.2013;

pro fund – Kommunikation & Fundraising Management, Homepage: www.geldauflagenportal.de ,zuletzt aufgerufen am 1.07.2013;

Justizministerium NRW, „Geldauflagen in Ermittlungs-, Straf- und Gnadenverfahren zu Gunsten gemeinnütziger Einrichtungen – Allgemeine Verfügung des Justizministeriums NRW vom 20. Juni 2011(4100 – III. 210)- JMBl. NRW S. 140“ http://www.jvv.nrw.de/anzeigeText.jsp?daten=975&daten2=Vor ,zuletzt aufgerufen am 1.07.2013;

Niedersächsischer Landesrechnungshof,  Jahresbericht des Niedersächsischen Landesrechnungshofs 2009 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung http://www.lrh.niedersachsen.de/download/31733/Jahresbericht_2009.pdf ,zuletzt aufgerufen am 1.07.2013;

Juristischer Informationsdienst; Strafgesetzbuch http://dejure.org/gesetze/StPO/153a.html zuletzt aufgerufen am 1.07.2013;
Fatina Keilani, „Bußgeldmillionen: Im Zweifel für die Staatskasse“, 27.02.2012, Tagesspiegel, http://www.tagesspiegel.de/berlin/bussgeldmillionen-im-zweifel-fuer-die-staatskasse/6256792.html ,zuletzt aufgerufen am 1.07.2013;
Jürgen Dahkamp und Udo Ludwig, „Mäzen in Roben“, 30. März 2013, SPIEGEL, http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-91768484.html zuletzt aufgerufen am 1.07.2013;

Mathias Kröselberg, Pro Bono Fundraising GmbH, Herausgeber der „Erste Studie zu Geldauflagen-Zuweisung in der Justiz“, 18.04.2011, Engagiert Aktuell, http://www.engagiert-aktuell.de/magazin/beitrag/erste-studie-zu-geldauflagen-zuweisungen-der-justiz ,zuletzt augerufen am 1.07.2013;

Kommentare:
Wolfgang Stückemann, Rechtsanwalt, Notar und Vorstandsvorsitzender des Deutschen Spendenrats e.V.:
„Die Rechenschaftsberichte der gemeinnützigen Vereine, wie sie das Geld verwendet haben, sollten für die Bürger zugänglich sein. Denn die Öffentlichkeit ist das beste Organ, um etwaige schwarze Schafe – bei den Vereinen und den Richtern – aufzuspüren.“

Steven Hanke, Journalist und Autor des MAZ-Artikels „Die Spendierroben“:
„Das Thema der Vergabepraxis von Geldern aus Strafprozessen ist meiner Meinung nach sehr relevant und in den Medien viel zu wenig beleuchtet. Es wird nicht genügend thematisiert, obwohl es gerade für Lokaljournalisten und überregional veröffentlichende Journalisten gleichermaßen von Interesse ist.“