2008: Top 7

Pauschale Berichterstattung über Entwicklungsländer

Deutsche Medien berichten undifferenziert über Entwicklungsländer, wodurch häufig ein falsches Bild entsteht. Ein Beispiel dafür ist die Berichterstattung über HIV-Infektionen in afrikanischen Ländern südlich der Sahara, in denen die Krankheitsraten sehr unterschiedlich sind. Selten wird jedoch so differenziert berichtet. Stattdessen werden allgemeine Aussagen über Aids in „Schwarzafrika“ gemacht. Dabei könnte eine hintergründige Berichterstattung Lösungsstrategien für Länder mit tatsächlich hohen Infektionsraten aufzeigen

Sachverhalt & Richtigkeit

Bei der Auswahl der Nachrichten aus dem Ausland, insbesondere aus Entwicklungsländern, orientieren sich deutsche Medien an Nachrichtenfaktoren. Nur wenige Nachrichten schaffen es überhaupt in die Medien, die meisten haben Krieg, Hunger oder andere Katastrophen zum Thema. Hinzu kommt eine starke Tendenz zur Pauschalisierung. S

o entstehen verzerrte und falsche Vorstellungen von diesen Ländern. Konkret: Es wird – beispielhaft für die Region südlich der Sahara – über ein Land mit besonders hoher HIVInfizierten- Rate berichtet (Nachrichtenfaktoren Sensation/Emotion). Aber es wird nicht darüber aufgeklärt, dass in den Nachbarländern die HIV-Infizierten-Rate niedriger ist.

So entsteht der Eindruck, sie sei in allen Ländern gleich hoch und jedes Land südlich der Sahara habe die gleichen Schwierigkeiten, die Verbreitung des HI-Virus zu bekämpfen. Das trifft jedoch nicht zu. Die südlichsten Länder in Afrika haben die höchsten Infizierten-Raten zwischen 12 und 26 Prozent, wohingegen die Länder in Äquatornähe und nördlich vom Äquator deutlich niedrigere Infizierten-Raten zwischen 0,38 und 6,3 Prozent aufweisen.

Weder solche regionalen Unterschiede, noch die Lösungsstrategien der Aidsproblematik kommen an die Öffentlichkeit, wie das Beispiel Uganda zeigt. Dort waren vor zwanzig Jahren noch 30 Prozent der Bevölkerung infiziert, jetzt sind es nur noch 6 Prozent.

Das Problem der Generalisierung lässt sich genauso an anderen genannten „afrika-typischen“ Themen aufzeigen. Südlich der Sahara liegen 41 Länder. Nach dem Konfliktbarometer des Heidelberger Instituts für Internationale Konfliktforschung aus dem Jahr 2008 herrscht in neun Ländern eine ernsthafte Krise und in drei Ländern Krieg.

Natürlich haben ernsthafte Krisen und Kriege auch auf die Nachbarländer Auswirkungen, beispielsweise was Flüchtlingsfragen betrifft. Aber der Eindruck, jedes Land südlich der Sahara sei von Krisen und kriegerischer Gewalt geprägt, ist falsch. Nach dem Prinzip: „Bad news is good news“ setzen sich die „negativen“ Themen durch. Diese Logik greift nicht nur in der Berichterstattung über Afrika, sondern generell in der Auslandsberichterstattung.

Relevanz

Eine derart ungenaue Darstellung kann zu falschen Vorstellungen über Entwicklungsländer führen, wie das Beispiel HIV-Infektionen zeigt. Für Immigranten aus Entwicklungsländern, die in Deutschland leben, ist es von Vorteil für ihre Integration, wenn die deutsche Bevölkerung sich ein positiveres und weniger verzerrtes Bild von ihrer Heimat machen kann.

Vernachlässigung

Am Beispiel der Berichterstattung über Aids in Afrika zeigt sich, dass nur wenige Medien differenziert berichten. In den Beiträgen auftauchende Zahlen werden meist nicht erklärt und sind wenig aussagekräftig, weil keine Vergleichspunkte gegeben werden. Eine Veränderung, also ein Anstieg oder ein Abfall der HIV-Infizierten- Rate, ist deshalb oft nicht erkennbar. Länderübergreifende Vergleiche werden fast gar nicht vorgenommen, sodass schnell der Eindruck entsteht, die Situation sei überall gleich oder sehr ähnlich.

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Quellen

Wolfgang Dechsler: „Gefährliche Gewohnheiten. Die 17. Weltaidskonferenz ist zu Ende gegangen: Warum es in Afrika kaum Fortschritte gibt“. 10.8.2008, Der Tagesspiegel

Johannes Dieterich: „Der Partykönig erzürnt Swasiland. MSwati III. feiert, das Volk leidet / Aufstand in der afrikanischen Monarchie“. 6.9.2008, Frankfurter Rundschau und Stuttgarter Zeitung

Angelika Heyer: „Suppenküche braucht Unterstützer. Preissteigerungen für Grundnahrungsmittel gefährden Hochheimer Projekt in Namibia“. 5.8.2008, Allgemeine Zeitung

Thomas Knemeyer: „Botsuana sorgt sich um Zeit nach den Diamanten“, 24.11.2008, Die Presse

Rlokvolo: „Von der Bank ins Waisenhaus. Dieter Krebs setzt sich mit der StiftungBaby Haven für Aids- Waisen in Namibia ein“. 13.8.2008, Frankfurter Rundschau

Statistisches Bundesamt: „Bevölkerung und Erwerbstätigkeit Ausländische Bevölkerung. Ergebnisse des Ausländerzentralregisters“, 18.2.2008

Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung, Konfliktbarometer vom 15.12.2008

Horand Knaup, Spiegel-Redakteur in Afrika, Gespräche am 27.10.2008, 9.11.2008 und 12.11.20008

Hans Rosling; Professor of International Health-Institute Karolinska Stockholm und Initiator der Datenbank Gapminder, Gespräch am 10.11.2008

„Gapminder“, www.gapminder.org:

Datenbank, mit der Daten zur Entwicklung der Weltbevölkerung in unterschiedlichen Kategorien abgerufen werden können.

Nicole Scherschun, Freie Journalistin für die Deutsche Welle und Verfasserin einer Diplomarbeit zur Berichterstattung über Afrika, Gespräch am 13.11.2008

Winfried Schulz, Universität Erlangen-Nürnberg, Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft, Gespräch am 6.11.2008

Kommentare

Veye Tatah, Gründerin des Africa Positive e.V. und Herausgeberin des Africa Positive Magazins:

„Die Berichterstattung über Afrika in deutschen Medien ist vernachlässigt. Die gegebene Berichterstattung ist darüber hinaus einseitig auf negative Themen wie Gewalt oder Krieg beschränkt. Aus der inhaltlichen Einseitigkeit der Berichterstattung ergibt sich außerdem ein undifferenziertes Bild, weil die deutschen Medien meist nur im Allgemeinen über Afrika berichten: Daraus ergibt sich das Bild, Afrika sei EIN Land und nicht ein Kontinent. Eine differenzierte Berichterstattung über einzelne afrikanische Länder wird vernachlässigt. Das liegt nicht daran, dass es zu wenig Korrespondenten gibt, sondern an einem ausgeprägten Desinteresse der deutschen Medien an afrikanischen Themen.“

Nicole Scherschun, Freie Journalistin für die Deutsche Welle und Verfasserin einer Diplomarbeit zur Berichterstattung über Afrika:

„Es gibt keine Vernachlässigung. In Bezug auf Afrikas Bedeutung in Deutschland taucht es häufig in den Medien auf. Es stimmt schon, dass die Berichterstattung zu undifferenziert ist. Die Themenauswahl von vorrangig Krisen, Krieg und Gewalt ist schon einseitig, das ist allerdings auch durch die tatsächliche Situation auf dem Kontinent bestimmt.“

Horand Knaup, Afrika-Redakteur beim Nachrichtenmagazin Der Spiegel:

„Es gibt wenige Nachrichten-Korrespondenten in Afrika, weil es erstens teuer ist, sie zu bezahlen, insbesondere ihre Reisen zu finanzieren, und weil es zweitens nicht besonders kommod ist, in Afrika zu arbeiten. Drittens ist der Stellenwert Afrikas in Deutschland einfach gering. Die Kosten-Nutzen-Relation fällt für viele Redaktionen, zumal wenn sie unter dem Druck sinkender Anzeigenerlöse stehen, gegen Korrespondenten vor Ort ins Gewicht.“