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MEADS: Auf welche Berater verließ sich die Bundesregierung?

Laut einem WDR-Fernsehbeitrag hat die rot-grüne Regierung vor ihrer Entscheidung, das umstrittene Raketen-Abwehrsystem MEADS mitzufinanzieren, drei Politikberater konsultiert, die Verbindungen zum beteiligten EADS-Konzern hatten. Die anteiligen Entwicklungskosten für MEADS belaufen sich für Deutschland auf voraussichtlich eine Milliarde Euro. 2008 steht die Entscheidung über die Beschaffung an. Die Verbindungen wurden nur in einem Bericht des WDR-Magazins „Monitor“ aufgedeckt. Eine weiter gehende Berichterstattung, eine Überprüfung der vorgelegten Analysen oder eine breite öffentliche Diskussion über die Notwendigkeit des Rüstungsprojekts stehen aus.

Sachverhalt & Richtigkeit

Die rot-grüne Bundesregierung hat im April 2005 beschlossen, sich neben den USA und Italien an der Entwicklung des Raketenabwehrsystems MEADS (Medium Extended Air Defense System bzw. Mittleres erweitertes Luftabwehrsystem) zu beteiligen. Die Entwicklung soll voraussichtlich 2013 abgeschlossen werden, wobei deren Gesamtkosten mit mindestens 4 Milliarden Euro veranschlagt sind.

Die USA tragen davon 47%, Italien 18% und Deutschland ist zu einem Viertel, also ca. mit einer Milliarde Euro, an den Kosten beteiligt. Insgesamt wird der Bund jährlich rund 125 Millionen Euro berappen müssen.

Bereits 2008 soll über die Beschaffung der MEADS-Systeme entschieden werden, obwohl diese bei reibungslosem Entwicklungsverlauf frühestens 2014 einsatzbereit wären. Je nach Schätzung, Zahl der beschafften Einheiten und Bestückung mit PAC-3-Raketen könnten weitere Kosten von 3-12 Milliarden Euro entstehen.

MEADS soll dazu in der Lage sein, Kurz- und Mittelstreckenraketen mit einer Reichweite von 1000 Kilometern abzufangen. Zu den Vorteilen gegenüber dem bestehenden PATRIOT-System zählt die Fähigkeit, Raketen und Flugkörper in einem Winkel von 360 Grad zu erfassen, und die erhöhte Transportabilität der Einheiten. Das System könnte sich daher einerseits dazu eignen, mögliche Angriffs- und Anschlagsziele zu verteidigen, andererseits könnte es auch bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr mobilen Schutz leisten.

Kritiker wie Bernd Kubbig (HSFK), Sascha Lange (SWP) oder der ehemalige Luftwaffengeneral Hermann Hagena werfen dem System vor, dass es auf eine Bedrohungslage zugeschnitten sei, die seit Ende des Warschauer Pakts nicht mehr existiert, da im Umkreis von 1000 Kilometern für Deutschland keine Bedrohung besteht.

Schutz bei Auslandseinsätzen wäre bei der momentanen Lage eher durch die Investition in gepanzerte Fahrzeuge zu gewährleisten. Der Fähigkeitsgewinn durch MEADS könne zudem durch Erweiterungen von PATRIOT erzielt werden, was eine Ersparnis in Milliardenhöhe bedeuten würde.

Neben dem militärischen Nutzen des Systems stand auch dessen Finanzierung im Fokus der Kritik. Nach Auskunft des Bundesrechnungshofs sind die laufenden Entwicklungskosten unkalkulierbar, da für Deutschland nicht die Möglichkeit besteht, diese einzusehen.

Für den Fall, dass die Entwicklung teurer wird als veranschlagt, droht laut Vertrag sogar ein zwischenzeitlicher Entwicklungsstopp, der nur durch eine weitere Finanzspritze beendet werden kann. Vielfach wurde auch vermutet, dass die Entscheidung, sich an MEADS zu beteiligen, ein „politischer Kuhhandel“ sei, da sie hauptsächlich auf eine Verbesserung der deutsch-amerikanischen Verhältnisse nach dem „Nein“ zum Irakkrieg gezielt habe.

Im Rahmen der Entscheidungsfindung wurden unter anderem Analysen und Gutachten renommierter Politikberatungsinstitute wie der DGAP (Deutsche Gesellschaft für auswärtige Politik e.V.) oder ISA (Institut für Strategische Analysen) herangezogen, die eine Investition befürworteten und letztendlich mit ausschlaggebend für den Beschluss waren.

Unter anderem holte das Bundesministerium für Verteidigung (BMVg) Urteile der Verteidigungsexperten Prof. Holger Mey (ISA), Prof. Joachim Krause (Institut für Sicherheitspolitik Universität Kiel) und Christoph Grams (DGAP/Berliner Forum Zukunft) ein. Alle genannten betonten in ihren Publikationen die sicherheitspolitische Notwendigkeit einer Mitentwicklung und zukünftigen Anschaffung von MEADS.

Allerdings ist fraglich, ob die Experten und die Institute, denen sie angehören, eine sachliche und unabhängige Beurteilung des Militärprojekts gewährleisten konnten, da in allen drei Fällen offensichtliche Verbindungen zwischen ihnen und dem Luft- und Raumfahrtkonzern EADS (European Aeronautic Defence and Space Company) bestanden.

Hintergrund: Die Entwicklung von MEADS wird zwar von der amerikanischen MEADS International Inc. geleitet, allerdings ist die EADS daran mittelbar über die Rüstungsfirma LFK-Lenkflugkörpersysteme beteiligt und somit einer der Hauptprofiteure eines Entwicklungsauftrags.

Holger Mey nahm zum Entscheidungszeitpunkt, d.h. Anfang 2005, nach Aussagen des Magazins Monitor neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit beim ISA auch eine leitende Position bei der EADS ein. Joachim Krause vom ISUK (Institut für Sicherheitspolitik Universität Kiel) moderiert für die EADS gelegentlich exklusive Hintergrundgesprächskreise, bei denen auch Bundestagsabgeordnete zugegen sind.

Christoph Grams schrieb seine Doktorarbeit bei Professor Krause, die Druckkosten seiner ersten publizierten Studie zum Thema MEADS wurden von der EADS gesponsert. Das Berliner Forum Zukunft, das Grams mittlerweile leitet, wird maßgeblich von der EADS mit Spendengeldern unterstützt, dafür bietet es EADS-Angehörigen eine Bühne für Veranstaltungen, die nicht zuletzt auch von Bundestagsabgeordneten besucht werden. Diese Spendengelder sind allerdings als gemeinnütziger Beitrag steuerlich absetzbar und durch das Vereinsrecht vor öffentlicher Einsichtnahme geschützt.

An den oben genannten Einzelpersonen und Instituten werden enge Verbindungen zu der EADS deutlich. Die Frage, ob die EADS tatsächlich durch Spendengelder oder gezielte Förderung einzelner Wissenschaftler mittelbar Einfluss auf politische Entscheidungsprozesse genommen hat, bleibt offen.

Letztendlich lässt sich nicht belegen, wie stark die Verquickung von Wissenschaft und Industrie war. Die zu Rate gezogenen Experten betonen ausdrücklich ihre wissenschaftliche Unabhängigkeit von etwaigen Nebenbeschäftigungen für die Industrie oder deren Spendengeldern.

Allerdings weisen einige der vorgelegten Gutachten, die MEADS befürworteten, erhebliche Mängel auf, die ihre wissenschaftliche Qualität in Zweifel stellen. Herr Grams bezieht sich in seiner für die DGAP publizierten Studie in einer Fußnote auf MEADS-Entwickler, um die technischen Vorzüge des Systems zu erörtern. Von einer neutralen Prüfung des Sachverhalts kann zumindest auf formaler Ebene keine Rede sein.

Außerdem rechtfertigt Grams die Notwendigkeit von MEADS durch Bedrohungsszenarien, die äußerst konstruiert – wenn nicht gar abstrus – wirken. Beispielsweise könnten sich zum „Märtyrertod entschlossene” Terroristen mit einem zur Raketenabschussstation umfunktionierten Frachtschiff der deutschen Küste ungehindert nähern und Ziele im Inland anvisieren. Zur Erinnerung: MEADS kann nur Raketen abfangen, die aus einem Umkreis von 1000 Kilometern gestartet wurden.

Joachim Krause dagegen sieht in seiner 2005 publizierten Analyse potentielle zukünftige Gegner in Weißrussland, Israel, Libyen und einem wieder erstarkten Irak, der schon bald über Massenvernichtungswaffen verfügen könnte.

Diese Beispiele legen nahe, dass es um die wissenschaftliche Qualität und die Plausibilität der Analysen weitaus schlechter bestellt ist als um die Phantasie ihrer Autoren. Ob dadurch eine Scheinrechtfertigung für MEADS erzielt werden sollte, ist natürlich nicht zu beweisen und nur zu vermuten.

Der Sachverhalt kann also nur eingeschränkt bestätigt werden. Der Lobbyismusverdacht gegenüber Grams, Krause und Mey ließ sich nicht erhärten. Die Möglichkeit, dass bei einer Doppelfunktion als Wissenschaftler und Industriezugehöriger Interessenskonflikte entstehen, ist dennoch nicht völlig auszuschließen.

Ebenso ist es nicht möglich zu belegen, dass sich die EADS Expertise von renommierten Instituten und Wissenschaftlern zu Nutze macht, um politische Prozesse zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Allerdings sind einige der zu MEADS veröffentlichen Studien so mangelhaft, dass den jeweiligen Urhebern zumindest Nachlässigkeit wenn nicht gar Inkompetenz zu unterstellen ist.

Der Bundestag hat einem Projekt zugestimmt, das unter Experten und Politikern umstritten war und das teilweise auf Basis von Publikationen, die niemals hätten berücksichtigt werden dürfen, gründet. Die Institute ISUK und DGAP haben in diesem Fall schlampige Arbeit geleistet und sollten zukünftig einer kritischeren Prüfung unterzogen werden.

Relevanz

Es ist bedenklich, dass die Argumentationen von Politikberatern nicht immer auf ihre Schlüssigkeit und Sorgfalt überprüft werden. Im Falle von MEADS haben Grams und Krause schlampige Arbeit geleistet, die auch der Mantel der Wissenschaft nicht überdecken kann.

Schlimm ist, dass diese Texte dennoch ernst genommen wurden. In Zeiten knapper Kassen werden Milliarden für die Entwicklung und die daraus mit Sicherheit resultierende Beschaffung eines Raketenabwehrsystems ausgegeben, das militärisch vielleicht überflüssig und in seinen Fähigkeiten nicht unbedingt alternativlos ist. Gerade deshalb hätten sämtliche Publikationen einer genaueren Prüfung unterzogen werden müssen, anstatt blind dem Renommee anderer zu vertrauen.

Das Thema MEADS spiegelt auch die Tendenz wider, dass es zu immer stärkeren Verquickungen zwischen Wissenschaft und Industrie kommt. Das ist insbesondere dann bedenklich, wenn die Wirtschaft auf diesem Weg Einfluss auf die Politik nimmt, indem sie sich der Expertise von Wissenschaftlern zur Verfolgung eigener Ziele bedient.

abei nimmt nicht nur der Ruf der betreffenden Institute Schaden, sondern auch die Politik. Da diese in Detailfragen häufig auf den sachlichen und umfassenden Rat von Experten angewiesen ist, könnte dieser Umstand im Einzelfall zu Fehlentscheidungen führen. Politische Sachzwänge wären dann möglicherweise wirtschaftlichen Interessen untergeordnet.

Die Relevanz des Themas besteht darin, dass sich der Bund offensichtlich nicht jede Ausgabe gründlich genug überlegt und dem Steuerzahler möglicherweise eine unnötige Milliardeninvestition aufgezwungen hat, für die anderswo wieder gekürzt wird.