2009: Top 3

Kriegsberichterstattung lenkt von zivilen Friedensstrategien ab

Zivile Konfliktbearbeitung als Alternative zu militärischer Intervention wird öffentlich kaum diskutiert, obwohl sie Krisenregionen befrieden kann. Erfolgreiche Beispiele hierfür sind der Nepal-Konflikt oder die Loslösung der baltischen Staaten von der Sowjetunion. Doch Medien berichten selten über kontinuierliche Verhandlungen und konstruktive Prozesse wie Runde Tische oder präventive Diplomatie, da Journalisten häufig auf Gewalt und spektakuläre Ereignisse achten. Gerade weil sich Deutschland weltweit militärisch in Konflikten engagiert, sollten zivile Alternativen öffentlich gemacht werden.

Sachverhalt & Richtigkeit:

Militärische Intervention in Krisenregionen erreicht nicht immer das Ziel, Frieden zu schaffen – Irak, Palästina und Afghanistan zeigen dies deutlich. Zivile Konfliktbearbeitung bietet alternative Lösungsansätze. Friedliche Konfliktbearbeitungsmaßnahmen, ob zur Prävention, Deeskalation oder Nachsorge, haben in vielen Ländern Erfolg – was von der Öffentlichkeit jedoch kaum wahrgenommen wird.

Ein Beispiel für das erfolgreiche Wirken ziviler Konfliktbearbeitung ist der Friedensprozess in Nepal, der mit dem Friedensabkommen im Jahr 2006 nach mehr als zehn Jahren Bürgerkrieg seinen Höhepunkt fand. Zahlreiche zivile Akteure trugen vor allem durch Vermittlungsarbeit, der Bildung einer großen Koalition für die Friedensverhandlungen, der Ausarbeitung alternativer Verfassungsvorschläge sowie regionalen Aktionen wie Friedensmärschen zur Beendigung der gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Regierungstruppen und Maoisten bei. Auch im Baltikum wurden 1991 nach der Erlangung der Unabhängigkeit Estlands und Lettlands zivile Präventivmaßnahmen ergriffen, die einen Konflikt zwischen der Bevölkerung und den russischen Minderheiten verhindern konnten.

Relevanz:

Deutschland engagiert sich zunehmend in Krisenregionen weltweit. Die Bundesregierung begründet die Steigerung der Ausgaben für Militär und Rüstung im Jahr 2009 mit zahlreichen zusätzlichen Aufgaben der Bundeswehr in internationalen Einsätzen. Der Öffentlichkeit wird dieses Engagement von Seiten vieler Politiker, aber auch häufig der Medien als notwendig vermittelt. Über die Möglichkeiten und das Potenzial ziviler Konfliktbearbeitung als Alternative zu (zivil-)militärischem Handeln wird hingegen kaum informiert, obwohl der Öffentlichkeit auch diese Handlungsoption nahe gebracht werden müsste.

Der Friedensforscher Andreas Buro argumentiert, dass aufgrund der fortgeschrittenen militärischen Entwicklung im Falle eines eskalierenden Konflikts die gesamte Weltgemeinschaft bedroht sei. Es gehe heute angesichts der großen weitweiten Probleme – Klima, Hunger, Flüchtlinge – darum, kooperative Verfahren der Konfliktbewältigung zu entwickeln und zu etablieren.

Vernachlässigung:

Generell leidet die Berichterstattung über Konflikte oft an fehlenden Hintergründen und Ereignisfixierung: Erst wenn es zählbare Verletzte oder Tote gibt, wenn konkrete militärische Einsätze beginnen, wenden sich Medien Konflikten zu. Die Medien berichten zwar immer wieder über die Arbeit ziviler Organisationen durch die Vorstellung einzelner Hilfsprojekte. Insbesondere Regionalzeitungen portraitieren regelmäßig Menschen aus ihrer Region, die sich in Krisengebieten engagieren. Dieses Engagement wird jedoch nur selten mit einer konkreten Konfliktlösung in Verbindung gebracht. Die Tatsache, dass an dem Friedensprozess in Nepal zivile Akteure und Organisationen großen Anteil hatten, wurde in kaum einem Bericht erwähnt.

Als Ursache für diese Vernachlässigung nennen Experten vor allem die fehlende Dramatik ziviler Konfliktbearbeitung. Krieg trägt „Event-Charakter“, der Medien unter Berücksichtigung der Nachrichtenfaktoren Dramatik und Skandalisierung entgegenkommt. Die Berichterstattung über lang andauernde Vermittlungsversuche ziviler Akteure und deren Versuche zur Überwindung der komplexen Konfliktursachen setzt hingegen bedingt tiefer gehende Recherche und langfristige Konfliktbeobachtung voraus. Das Wirken ziviler Konfliktbearbeitung ist zudem kaum konkret messbar und weniger offensichtlich als das Ergebnis militärischer Intervention.

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Quellen:

Andreas Buro: „Das Monitoring-Projekt. Zivile Konfliktbearbeitung – Gewalt- und Kriegsprävention: Die Alternativen der Friedensbewegung zum militärischen Konfliktaustrag“,Der Politologe, Friedensaktivist und Aachener Friedenspreisträger 2008 gibt seit 2006 in Zusammenarbeit mit dem Bündnis „Kooperation für den Frieden“ Dossiers heraus, in denen ausdifferenzierte Vorschläge zur zivilen Konfliktbearbeitung in bestimmten internationalen Krisenherden ausgearbeitet sind.

Tobias Debiel/Volker Matthies: „Krisenprävention – mehr Fragen als Antworten? Eine Zwischenbilanz zur deutschen Entwicklungs-, Außen- und Sicherheitspolitik“, www.inwent.org/E+Z/zeitschr/ez900-9.htm:Akute Krisen finden starke Beachtung in den Medien, wodurch Druck zu politischem Handeln entsteht; zivile Krisenprävention findet hingegen kaum Beachtung.

Uli Jäger: Zivile Interventionen in Krisen- und Kriegsgebieten. Institut für Friedenspädagogik Tübingen. Darstellung der Formen konstruktiver friedlicher Konfliktbearbeitung

Annabelle Houdret: Wege der Zivilen Konfliktbearbeitung. Die Rolle von Nichtregierungsorganisationen im Bürgerkrieg Nepals. Saarbrücken, 2008

Karl-Heinz Krämer: Aktuelle politische Lage in Nepal: Schwierige Bemühungen um einen Neubeginn. Südasien-Institut, Universität Heidelberg, 2006

Martin Singe, „Kommitee für Grundrechte und Demokratie“, Gespräch am 22.4.2009

Kommentare:

Prof. Dr. Tobias Debiel, Professor für Internationale Beziehungen:

„Die Öffentlichkeit kann durchaus viel mit gelungenen Initiativen anfangen. Sie müssen nur konkret genug dargestellt werden. Die Botschaft ist, dass sich präventives Handeln lohnt. Das wäre auch ein Gegenmodell zu scheiternden Militäreinsätzen und der damit verbundenen Gleichgültigkeit oder Hoffnungslosigkeit.“

Michael Gleich, Initiator des Journalistenprojekts Peace Counts:

„Versagen, Misslingen, Scheitern lässt sich eindeutig beschreiben. Krieg hat Event-Charakter, das macht es den Journalisten einfach. Wer über Friedensprozesse berichtet, hat Unfertiges im Blick, Menschen, Organisationen und Gesellschaften, die sich auf den Weg machen.“

Dr. Annabelle Houdret, Politologin:

„Es ist generell ein Problem der Medien, dass sie eher über negative Entwicklungen berichten als über positive. Eine zusätzliche Hürde für zivile Maßnahmen ist, dass sie im Gegensatz zu militärischer Intervention häufig nicht öffentlich stattfinden, sondern eher im Hintergrund wirken. Eine Konfliktlösung gelingt zudem meist durch eine Mischung aus vielen verschiedenen Faktoren, die nicht voneinander abtrennbar sind. Der konkrete Erfolg ziviler Maßnahmen wird dadurch schwerer sichtbar. Gelungene zivile Konfliktbearbeitung kommt aufgrund dieser Umstände in den Medien viel zu kurz.“