Günter Wallraff zum Geburtstag

eigene Aufnahme

INA-Ehrenmitglied Günter Wallraff feiert Geburtstag. Der Investigativ-Journalist wird 80 Jahre alt. Unterdrückte Nachrichten und vernachlässigte Themen sind seine Lebensaufgabe. Eine kleine persönliche Würdigung.

Mit dem Journalismus verhält es sich bei Günter Wallraff ähnlich wie mit dem Tischtennisspielen: Beides beherrscht er auf seine völlig individuelle Art, ohne es jemals so richtig gelernt zu haben. Und gegen wen hat Wallraff nicht schon alles Tischtennis gespielt: Liedermacher Wolf Biermann war dabei, der aktuelle Gesundheitsminister Lauterbach, auch ein veritabler Bildzeitungs-Chefredakteur. Chancen hat gegen Wallraff an der Tischtennisplatte eigentlich keiner. Seine Strategie ist die kontrollierte Defensive: Gegner kommen lassen, Ball retournieren, beim Anderen den Fehler erzwingen.

Im Journalismus ist es eher nicht die kontrollierte Defensive, sondern die unkontrollierte Offensive, die Günter Wallraffs Stil ausmacht: Erstmal sehen, was passiert, das Juristische (und manchmal auch: das medienethische) kann man immer noch hinterher klären.

Seine erste Reportage ist buchstäblich im Schützengraben entstanden: Der „Schütze“ Wallraff hatte die Kriegsdienstverweigerung vergeigt und musste gegen seinen Willen bei der Bundeswehr antreten. Er wehrte sich auf seine Art mit einer Reportage, die, damals schon, wirklich „ganz unten“ spielte, im Schützengraben beim Manöver, bei hirnfreien Übungen und geistlosen Strategieschulungen zur „ABC-Kriegsführung“. Vielleicht ist Wallraff damals schon, beim Schreiben seines „Protokolls aus der Bundeswehr“ (1963) die Idee zu seiner Methode gekommen, die ihn nachmals berühmt machen sollte. Denn er fühlte sich ja gar nicht als Soldat, er spielte nur den „Schützen“ Wallraff, um darüber berichten zu können. So weigerte er sich zehn Monate lang standhaft, ein Gewehr in die Hand zu nehmen und kündigte stattdessen die Veröffentlichung seines Bundeswehrtagebuchs an. Gegen Veröffentlichungsverzicht bot man ihm daraufhin die Freistellung von der Armee an, was Wallraff aber ablehnte. Stattdessen kam ihm die neurologisch-psychiatrische Abteilung des Bundeswehr-Krankenhauses Koblenz zu Hilfe, die ihm eine „abnorme Persönlichkeit“ attestierte und ihn als „untauglich für Krieg und Frieden“ ausmusterte.

„[…] man muss sich verkleiden, um die Gesellschaft zu demaskieren, muss täuschen und sich verstellen, um die Wahrheit herauszufinden“.

(„Ganz unten“, Vorwort)

Nach der Bundeswehrzeit arbeitete der gelernte Buchhändler zwei Jahre in diversen Großbetrieben, unter anderem in einem Stahlwerk von Thyssen. Über diese Arbeiten schrieb Wallraff seine ersten „Industriereportagen“ (so hieß später der Sammelband mit diesen Artikeln) und veröffentlichte sie in der Mitgliederzeitschrift der IG Metall. 

In den Personalabteilungen und Chefetagen der Firmen, über die er geschrieben hatte, sollen sogenannte Wallraff-Steckbriefe gehangen haben: Für weitere Reportagen musste Wallraff in andere Identitäten schlüpfen und sich kostümieren. 

So kam es auch zu seiner vielleicht berühmtesten, aber auf jeden Fall folgenschwersten Reportage: Als „Hans Esser“ schleuste er sich in die Hannoveraner Redaktion der Bildzeitung ein und schrieb darüber sein Buch „Der Aufmacher“. Über das Innenleben des Boulevardjournalismus und seiner Methoden war bis dahin nicht viel bekannt, die „Bild“ aber das erklärte publizistische Feindbild der 68er-Generation.

Den größten Erfolg am Buchmarkt hatte Wallraff in den 1980er-Jahren mit „Ganz unten“. Als „Türke Ali“ zog Wallraff durch die Absteigerjobs der Republik und machte unhaltbare Arbeitsbedingungen, unterirdische Bezahlung und systematischen Rassismus öffentlich. Das Buch gilt bis heute als das am häufigsten verkaufte Sachbuch der Bundesrepublik Deutschland. Es wurde in 38 Sprachen übersetzt.

Seine Gegner waren nicht zimperlich: Wallraff wurde beschattet, sein Telefon abgehört, er wurde mit Prozessen überzogen. Letztlich hat er die allermeisten Verfahren gewonnen. Der Bundesgerichtshof urteilte, wenn es um gravierende Missstände gehe, habe die Öffentlichkeit ein Recht, darüber informiert zu werden, auch wenn es unter Täuschung oder Identitätswechsel zustande gekommen sei. Dieser Spruch wird auch als „Lex Wallraff“ bezeichnet.

Im Jahr 2015 hat die Initiative Nachrichtenaufklärung (INA) e.V. zusammen mit dem Namensgeber den „Günter-Wallraff-Preis“ ins Leben gerufen. Ausgezeichnet werden einmal im Jahr Menschen, die sich für kritischen Journalismus, für Zivilcourage und nicht zuletzt auch für Journalismuskritik eingesetzt haben.

Im Schwedischen gibt es sogar den Ausdruck „Wallraffing“ für gerade jene Methode, undercover Missstände aufzudecken. Einige solche Missstände möchte der Jubilar auch in der Zukunft noch angehen. Und auch das Tischtennisspielen lässt sich der 80-Jährige nicht nehmen: Vorhand, Rückhand, Punkt. Alles Gute, Günter Wallraff!

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