Die Investigative Linsen-Suppe

Die versteckte Kamera wird für sehr unterschiedliche Recherchen eingesetzt und die Ergebnisse sind oft zweifelhaft. Ein Überblick über den Einsatz der versteckten Kamera als Rechercheinstrument.

Chicago im Sommer 1977, wenige hundert Meter der Chicago Avenue entfernt öffnet eine neue Bar. Kühles Bier, frische Burger, auf den ersten Besuch unterscheidet sich die Bar nicht von anderen, doch die „Mirage“ Bar am Lake Michigan wird in die Geschichte des investigativen Journalismus eingehen. Besitzer der Bar ist die Chicago Sun Times, eine der zwei großen Tageszeitungen für Chicago. Die Bar ist kein Treffpunkt für durstige Journalisten – das „Mirage“ wird zu dem Geburtshaus der verstecken Kamera als journalistisches Recherchemittel.

Versteckte Kameras

Abhörgeräte, Videokameras und Undercover-Journalisten protokollierten im „Mirage“ die Vorgehensweise Chicagoer Behörden, denen immer wieder Bestechung und unsaubere Arbeitsweisens vorgeworfen wurden. Auch ins Mirage kamen die Angestellten der Chicagoer City Hall fast täglich um Schmiergelder zu kassieren um eine der vielbegehrten Alkohol-Lizenzen an den Pub zu erteilen.

Die Recherche-Ergebnisse veröffentlichte die Chicago Sun Times ein halbes Jahr später. Die Resonanz war gewaltig und der öffentliche Druck auf die Stadthalter so groß, dass es neben zahlreichen Entlassungen auch gesetzliche Änderungen gab. Die Chicago Sun Times gewann für ihre Recherche zahlreiche Awards – der Pulitzer Preis aber blieb ihnen verwehrt. Das Komitee für die größte journalistische Auszeichnung der investigativen Recherche in den USA konnte die Art und Weise der Informationsbeschaffung letztlich nicht gutheißen.

Modernes Spionage-Mittel

Seitdem hat sich viel getan und heimliche Filmaufnahmen ‚schmücken‘ viele Magazine. Längst gilt für viele Medien-Formate der Einsatz versteckter Kameras als „Eye-Catcher“. Über die Bedenklichkeit der heimlichen Videoaufnahmen wird wenig spekuliert. Die gesetzliche Grundlage in Deutschland fordert ein hinreichendes öffentliches Interesse zum Einsatz der modernen Spionage-Mittel.

Besonders Verbrauchermagazine sehen dieses Interesse ständig und überall: Spricht mein Pizzabäcker um die Ecke denn wirklich italienisch? Wer wäscht sich nach dem Toilettengang die Hände? Diese absurd klingenden Beispiele liefen so tatsächlich im Fernsehen, mit Wackelbildern, Gedächtnisprotokoll und verzerrten Gesichtern. Trotzdem täuschen Beiträge mit versteckter Kamera bei den Zuschauern besondere Authentizität vor.

Aufklärung oder Voyeurismus?

In einem Interview mit dem Journalist (Ausgabe 4/2009) sagt Ulrich Meyer, Moderator von „Akte 09“ auf Sat.1: „Aus Sicht des Publikums adelt die versteckte Kamera eine Sendung und macht Beiträge zu Geschichten, die offensichtlich von mutigen, investigativen Journalisten stammen.“ Wie mutig es nun aber von Journalisten ist eine angeblich schwangere Darstellerin durch eine vollgestopfte Bahn zu schicken um zu prüfen, von wem und wie oft ihr ein Sitzplatz angeboten wird, sei dahingestellt. Der Einsatz der versteckten Kamera gilt oft als Inszenierungsmittel und überschreitet nicht selten die Grenze zum Voyeurismus.

Wahr ist jedoch: Die Realität lässt sich nur schwer nachstellen und tatsächlich ist es bei Verbraucherthemen hilfreich die Recherche durch einen Selbstversuch zu prüfen. Dabei sollte die heimliche Bildaufnahme allerdings nur zur Bestätigung einer vorausgegangenen intensiven Recherche genutzt werden. Das Bildmaterial kann so die Recherche stützen und den nötigen letzten Beweis liefern. Dass die versteckte Kamera aber nur als Stilmittel in einer Art geskripten Reality-Sendung zum Einsatz kommt, spricht gegen die journalistische Grundhaltung.

Rechtsbeispiele:

Das für den Undercover-Journalismus wohl bekannteste Fallbeispiel ist die verdeckte Recherche Günther Wallraffs als Hans Esser bei der Bild-Redaktion in Hannover. Nachdem der Bundesgerichtshof für Wallraff und die Veröffentlichung seines Buches „Der Aufmacher“ entschieden hatte, unter anderem weil sein Buch die „Fehlentwicklung eines Journalismus“ aufzeige, verbot das Bundesverfassungsgericht Jahre später die Verbreitung des Redaktionsprotokolls, das unter besonderem Schutz stehe. Wie hätte der Fall ausgesehen, hätte Wallraff in den Redaktionen und im Einsatz für die Bild-Zeitung eine versteckte Kamera dabei gehabt und statt eines Buches einen Dokumentarfilm veröffentlicht?

Der Fall Mülln

Eine Entscheidung des Oberlandgerichts Hamm aus dem Jahr 2004 zeigt, das die Frage nach der Aufbereitung der Bilder viel schwerer wiegt als die, ob das versteckte Filmen generell rechtmäßig ist oder nicht. Der Tierschützer und freie Journalist Friedrich Mülln hatte sich für fünf Monate als Tierpfleger in das Tierversuchslabor „Covance Laboratories GmbH Münster“ eingeschlichen und dort mehr als 40 Stunden Filmmaterial gesammelt.

Das Unternehmen, das unter anderem Medikamententest an Affen durchführt, verfügte über alle für diese Arbeiten erforderten gesetzlichen Befugnisse. Dennoch sammelte Mülln brisantes Material – und das rechtwidrig. Denn laut seines Arbeitsvertrags war er verpflichtet keinerlei Bilder zu machen oder Informationen nach außen zu geben.

Seine heimlichen Aufnahmen wurden im ZDF-Format „frontal 21“ sowie bei Sat.1 und bei Pro 7 („Sam“ und „taff“) in Beiträgen unterschiedlich verwertet. Als es zu einem Rechtsstreit zwischen dem Unternehmen und den Journalisten kam, entschied das Oberlandesgericht für eine sorgfältige Aufbereitung des Recherchematerials: Während der bei „frontal 21“ gelaufene Beitrag nicht rechtswidrig ist, „weil es zur Kontrollaufgabe der Presse gehört, auf Missstände von öffentlicher Bedeutung hinzuweisen“, wurde die Verbreitung der gezeigten Filmaufnahmen von Pro 7 und Sat.1 verboten.

Die Begründung: Wegen „irreführender Schnittführung“ und „falscher Kernaussage“ erzeugten diese Darstellungen einen „verfälschenden Gesamteindruck“. Eine „verantwortungsvolle Güter- und Interessensabwägung“ zwischen Persönlichkeitsschutz (Fa. Covance) und öffentlichem Informationsinteresse lässt sich aber nicht mit „verfälschenden Begleittexten oder durch suggestive Schnittführung“ legitimieren. Hier das ganze Urteil.

Der Fall RTL „Extra“

Dass die Redaktionen selten Ergebnis-offen arbeiten bestätigte jüngst ein Beitrag mit verstecktem Dreh des RTL Magazins „Extra“. Denn meist scheint im vorab klar, was die Bilder bringen müssen: Eine fiese Abzocke, ein hilfloser Verbraucher, ein wackelndes Bild. Im Fall des „Extra“ Magazins gingen die mutigen Redakteure einem durch den Tod des Popstars Michael Jacksons scheinbar höherem Informationsinteresse nach: Wie leicht komme ich an verschreibungspflichtige Beruhigungsmittel? „Wie leicht“ das geht, wurde in einer Düsseldorfer Arztpraxis getestet. Der fertige Beitrag zeigte eine stark verkürzte Fassung des Beratungsgesprächs, bei dem der Arzt am Ende auf starkes Drängen der falschen Patientin das gewünschte Mittel verschrieben wurde. Der Düsseldorfer Arzt, der laut RTL ausreichend unkenntlich gemacht wurde, wurde von einem Patienten erkannt und zog vor Gericht.

In einem Eilverfahren verbot das Düsseldorfer Landesgericht dem Sender weitere Ton- und Filmaufnahmen in der Praxis sowie eine weitere Ausstrahlung der Bilder. Medien- und Rechtsexperten erwarten in Zusammenhang mit diesem Fall erhebliche Auswirkungen auf die Praxis der TV-Stationen. Das Hamburger Abendblatt titelte im Juli 2009: „Versteckte Kameras vor dem Aus? Kein Dreh mehr ohne Einwilligung“.

RTL hat bereits Berufung eingelegt, der Sender fühlt sich der Pressefreiheit beraubt. Der Fall wird in den Medien längst als Präzedenzfall gehandelt, der über die rechtlichen Möglichkeiten des verdeckten Drehs in Zukunft entscheiden wird. Es wäre wenig wünschenswert wenn aufgrund „solcher dämlichen Pseudoheldentaten für die Blockwart-Magazine der TV-Sender“ die versteckte Kamera gänzlich als Recherchemittel verboten würde. Den einen oder anderen Kollegen würden versteckte Filmaufnahmen gewisser Redaktion sicher brennend interessieren….

Der juristische Standpunkt:

Besteht ein hinreichendes öffentliches Interesse ist die Aufnahme von Bildern und Videos mit versteckter Kamera zulässig. Eine Ausnahme besteht bei Bildaufnahmen, die den höchstpersönlichen Lebensbereich des Gefilmten betreffen und zugleich in einem vor Einblicken besonders geschützten Raum gemacht werden (StGB § 201a). Hier ist schon der Versuch strafbar.

Generell ist bei der Aufnahme, Weitergabe und Verbreitung der Bilder die Persönlichkeitsrechte zu berücksichtigen, siehe § 22, § 23 KUG. Als Konsequenz müssen alle identifizierenden Bildinhalte unkenntlich gemacht werden. Einzige Ausnahme bildet ein zeitgeschichtliches Ereignis.

Immer strafbar ist die Aufnahme von Ton (StGB § 201). Seit Juni 2004 ist auch der Besitz und Betrieb versteckter Kameras die das Bildsignal per Funkt übertragen durch § 90 TKG verboten.

Links zum Thema:

http://satundkabel.magnus.de/medien/artikel/update-rtl-aerger-um-heimliches-filmen-pressefreiheit-beschnitten.html

http://www.wb-law.de/news/allgemein/1018/lg-duesseldorf-erlaesst-einstweilige-verfuegung-gegen-rtl/

http://www.pro-medienmagazin.de/fernsehen.html?&news[action]=detail&news[id]=2355

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