Die Gentechnik-Lobby in der EU-Lebensmittelbehörde

Eigentlich sollte das Thema “ Verbindungen der Gentechnik-Industrie mit den Behörden der EU“  in drei Tagen bei unser Jurysitzung zur Wahl stehen – als ein in den Medien vernachlässigt, aber für die Gesellschaft sehr relevantes Thema. Denn die meisten Europäer lehnen den Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen ab und halten ihn für gesundheits- und umweltschädigend. Die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA allerdings hat in ihren Reihen viele Experten, die eng mit der Gentechnikindustrie verbandelt sind. Ihre Entscheidungen sind also mehr zweifelhaft – haben aber viel Einfluss. Das alles ist in den letzten Wochen regelmäßig  und ausführlich Medienthema (zB. in der SZ und bei Spiegel Online) gewesen, denn als die Chefin vom europäischen Lebensmittel-Lobbyverband FoodDrinkEurope EFSA-Vorstand werden sollte, wurde die Kritik sehr laut.

Auf die TOP 10 der vernachlässigten Themen Deutschlands schafft es das Thema daher nicht. Aber wir haben noch andere spannende Themen auf unserer Liste, die nach der Wahl am Donnerstag sofort aufs Blog kommt. Zur EFSA gibt es jetzt schon mehr zu lesen

Gentechnisch veränderte Pflanzen können lange Dürreperioden überstehen, Schädlinge abwehren und mehr Ernte abwerfen als ihre Artgenossen. Für Mensch und Umwelt kann das auch negative Folgen haben. Welche Risiken Lebensmittel aus gentechnisch veränderten Pflanzen mit sich bringen, soll das Gentechnik-Gremium der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) bewerten. Die Hälfte der angeblich unabhängigen Experten hat allerdings Verbindungen zu Lebensmittelkonzernen wie Monsanto, Syngenta und BASF – was den Wert ihrer Entscheidungen erheblich in Frage stellt.

Sachverhalt & Richtigkeit

Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat die Aufgabe, die Europäische Kommission, das Europäischen Parlament und die EU-Mitgliedsstaaten im Hinblick auf Rechtsvorschriften für Lebensmittel- und Futtermittelsicherheit zu beraten. Über die Zulassung einer neuen gentechnisch veränderten Pflanze entscheiden zwar Kommission und Parlament, doch diese richten sich dabei nach den Empfehlungen der EFSA. Denn die Gremien der EFSA setzen sich aus wissenschaftlichen Experten zusammen, die mögliche Risiken in ihrem Fachbereich besonders gut einschätzen können sollen.

Die Unabhängigkeit der EFSA wird jedoch von verschiedenen Seiten angezweifelt. So veröffentlichte der europäische Bürgerbeauftragte im Dezember 2011 eine Stellungnahme, in der die EFSA deutlich kritisiert wird und strengere Maßnahmen gegen so genannte „Revolving Doors“ – Personen, die sowohl bei der Gesetzgebung bzw. Beratung und in der Industrie involviert sind – gefordert werden. Der EFSA wird vorgeworfen, dass zehn von einundzwanzig Mitgliedern ihres Gremiums für genetisch veränderte Organismen (GMO) in enger Verbindung zur Lebensmittel-Industrie oder zu Gentechnik-Lobbyorganisationen stünden.

Laut einer Liste der Nichtregierungsorganisation Corporate Europe Observatory (CEO), sind das Harry Kuiper, Joe Perry, Jeremy Sweet, Detlef Bartsch, Jean-Michael Wal, Jozsef Kiss, Patrick du Jardin, Gijs A. Kleter, Howard Davies und Hans Christer Andersson. Einige arbeiten etwa mit dem International Life Sciences Institute (ILSI) zusammen, das sich überwiegend aus Beiträgen von Lebensmittelunternehmen finanziert, die die Gentechnik befürworten. Auch geht aus Berichten von Corporate Europe Observatory und der Nichtregierungsorganisation Testbiotech hervor, dass mehrere Mitglieder an Forschungsprojekten beteiligt waren, die von Lebensmittel- oder Chemiekonzernen, wie Nestle, BASF, Bayer Cropscience, Monsanto, Kraft und Unilever finanziert wurden. Die INA-Recherchen bestätigen dies – und zeigen, dass mindestens zehn Personen ihren Lebensunterhalt in Gentechnikindustrie verdienen und auf Veranstaltungen und in Beiträgen für gentechnisch veränderte Pflanzen und Lebensmittel werben.

Der Vorsitzende des Gentechnikgremiums Harry Kuiper ist zum Beispiel Mitarbeiter bei ILSI und kooperierte dort laut Testbiotech mit Vertretern von Konzernen wie Monsanto, Dupont, DowAgroSciences, Syngenta und Bayer in Projekten, die zu einer vereinfachten Marktzulassung von gentechnisch veränderten Pflanzen führen sollen.

Joe Perry, Vizevorsitzender des Gremiums, hat am Agrarforschungsinstitut Rothamsted Research gearbeitet, welches laut Corporate Europe Observatory von Syngenta, BASF, Bayer und Monsanto gesponsert wird. Detlef Bartsch machte in den 90er Jahren PR für den amerikanischen Gentechnikkonzern Monsanto und trat 2002 in einem Werbefilm für Genmais auf.

Angesichts dieser teils engen Verbindungen zur Industrie erscheint es fraglich, wie unabhängig und wissenschaftlich das Gentechnik-Gremium der EFSA die Risiken der gentechnisch veränderten Pflanzen und Lebensmittel tatsächlich einschätzen kann. Die Interessenskonflikte der Mitglieder werden auf der Internetseite der EFSA veröffentlicht und die Mitglieder müssen darüber hinaus bei jeder Sitzung des Gremiums spezielle Interessenskonflikte angeben, die sie im Hinblick auf die Tagesordnungspunkte beeinflussen könnten.

Aus Sicht der EFSA reichen diese Maßnahmen, sowie die Unterzeichnung eines „Commitment to Independence“ aus, um die Unabhängigkeit der Mitglieder zu gewährleisten. Laut der Pressesprecherin Lucia de Luca sei die Unabhängigkeit auch dadurch gesichert, dass jede Entscheidung vom gesamten Gremium, und nicht nur von einem Mitglied, getroffen werde. In den Gutachten und Empfehlungen bleiben die Interessenskonflikte jedoch unerwähnt.

Eine Veröffentlichung der Interessenskonflikte ohne weitere Konsequenzen stellt nicht sicher, dass die Entscheidungen des Gremiums unabhängig von wirtschaftlichen Interessen getroffen werden. Denn die EFSA-Mitglieder und ihre wirtschaftlichen Verbindungen stehen nicht im Fokus einer kritischen Öffentlichkeit, ihre Entscheidungen werden in der Regel übernommen

 Relevanz

61 Prozent der Europäer wollen nicht, dass die Entwicklung gentechnisch veränderter Pflanzen gefördert wird und mehr als die Hälfte meinen, dass deren Anbau für künftige Generationen sogar bedenklich sein könnte – das zeigt eine Eurobarometerumfrage der europäische Kommission von 2010.

Die EFSA soll uneigennützig die Interessen von Verbrauchern schützen, indem sie Produkte auf mögliche Risiken untersucht. Sie hat beratende Funktion und erstellt Gutachten und Empfehlungen für politische Entscheidungsträger wie die Europäische Kommission, das Europäische Parlament und die EU-Mitgliedsstatten. Diese müssen sich zwar nicht nach den Gutachten der EFSA richten – so verbot etwa Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner den Anbau der Maissorte MON810 der Firma Monsanto, weil das Bundesumweltministerium diese Sorte als Gefahr für die Umwelt einstufte, obwohl die EFSA sie freigegeben hatte – doch in der Regel tun sie es. Umso wichtiger ist es, dass sie ihre Entscheidungen unabhängig und nach bestem Wissen trifft.

Fehlentscheidungen der EFSA können soziale und ökonomische Risiken, aber auch Gefahren für die Umwelt und die Gesundheit der Konsumenten nach sich ziehen und sind daher für uns in Europa und für kommende Generationen von großer Bedeutung. Was in Brüssel passiert, muss mehr ins Blickfeld der Öffentlichkeit gelangen. Es geht alle Europäer etwas an.

Vernachlässigung

Seit einigen Wochen wird viel und ausführlich über die EFSA, ihre Strukturen und ihre Mitglieder berichtet – journalistische Kontrolle, die hoffentlich dauerhaft sein wird. Denn obwohl die EFSA eine der wichtigsten Behörden in Sachen Lebensmittelsicherheit in Europa ist, wurde zuvor über sie – wie über alle EU-Behörden – in deutschen Medien relativ wenig berichtet. Wenn sie in den Medien auftauchte, wurde sie meist nur nebenbei erwähnt. Mit ihrer Funktion beschäftigten sich wenige Berichte und noch weniger kritisch mit den Experten, die in ihren Arbeitsgruppen Empfehlungen für europäische Entscheidungsträger erarbeiten.  Selbst verschiedene Tagungen in Brüssel, in denen es unter anderem um die Unabhängigkeit der EFSA ging, fanden kaum einen Weg  in die Berichterstattung deutscher Medien und das, obwohl der europäische Ombudsman die Kritik sogar öffentlich gemacht hat. Außerdem fand das Thema oft „nur“ in den Wissenschaftsformaten der Medien Platz. Mit Lobbyisten Mella Frewen als Vorstands-Vorschlag fand das Thema EFSA jetzt Eingang in die aktuellen Nachrichten und die Politikteile.

Quellen:

 Martin Pigeon, Rechercheur bei Corporate Europe, Telefonat und E-Mail Austausch am 20.12.2011

Corporate Europe: „ Approving the GM potato: conflicts of interest, flawed science and fierce lobbying”, 11.2011. URL: http://www.corporateeurope.org/sites/default/files/publications/Amflora_COI_report_2011.pdf und: “EFSA, Conflicts of Interest on board“, 23.2.2011. URL:  http://www.corporateeurope.org/news/efsa-conflicts-interest-board

Christoph Then, Geschäftsführer von Testbiotech, Gespräch am 20.12.2011

Testbiotech: „Europäische Lebensmittelbehörde EFSA – Spielwiese der Gen-Industrie, 1.12.2010. URL: http://www.testbiotech.de/sites/default/files/EFSA_ILSI_Spielwiese.pdf

Jost Maurin, Redakteur taz: „EU-Kontrollstellenchefin über Gentherapie. ‚Alle Arbeiten mit der Industrie‘“, 31.1.2011. URL:  http://www.taz.de/!65132/ und Kommentar am 16.1.2012

P. Nikiforos Diamandouros, Europäischer Ombudsmann, verfasst eine Beschwerde an die EFSA, veröffentlicht am 7.12.2011. URL: http://www.testbiotech.de/sites/default/files/decisionOmbudsman_0.pdf

EFSA, Antwort auf die Beschwerde des europäischen Ombudsmans, veröffentlicht am 13.12.11 URL: http://www.efsa.europa.eu/en/edinterviews/docs/corporateombudsman111213.pdf

Lucia de Luca, Senior Media Relation Officer der EFSA, Antwort auf unsere Fragen am 11.01.2012

BR2 – IQ, Wissenschaft und Forschung: „Wer kontrolliert die Gen-Konzerne? – Verflechtungen zwischen Aufsicht und Industrie“, 03.12.2010.

ARD – Kontraste: „Verbraucher ohne Schutz. Umstrittene Behörde für Lebensmittel-sicherheit“, 03.11.2011. URL: http://www.ardmediathek.de/ard/servlet/content/3517136?documentId=8659426

 

Kommentare:

 Jost Maurin, Redakteur, taz:

„Die Medien müssen intensiver über die Verflechtungen der Efsa-Experten mit der Industrie berichten. Die Behörde hat selbst eingeräumt, dass sie stark auf Wissenschaftler mit Verbindungen zur Wirtschaft angewiesen ist. Forscher mit Verbindungen zu Verbraucher- oder Umweltverbänden dagegen spielen so gut wie keine Rolle. Dabei ist die Efsa eine der wichtigsten Behörden in Sachen Lebensmittelsicherheit in Europa – obwohl sie oft nur Fachleuten bekannt ist.“

Wiebke Rögener-Schwarz, freie Wissenschaftsjournalistin:

Es ist unangemessen und inakzeptabel, wenn ein so großer Anteil der Experten in den GMO-Panels mit einschlägigen Industrieunternehmen enge Verbindungen pflegt.  Dies widerspricht der Intention einer unabhängigen  Begutachtung. Zwar kann es gerechtfertigt sein, einzelne Experten aus der Gentech-Industrie  einzubeziehen, da deren Fachwissen wertvoll sein kann. Der Anteil industrienaher Experten sollte allerdings deutlich weniger als die Hälfte jedes Panels ausmachen. In etwa gleichem Umfang wären dann auch ausgewiesene Gentechnik-kritische Experten, etwa von  NGOs, Verbraucherverbänden etc., in die Panels aufzunehmen.“

Christoph Then, Testbiotech, nach eigenen Angaben ein Institut für unabhängige Folgenabschätzung in der Biotechnologie:

„Über die Kritik des europäischen Ombudsmanns wurde zwar in EU-Fachorganen berichtet – in den deutschen Medien aber kaum. Im Ergebnis gibt es bisher keine breite öffentliche Diskussion, wie die EFSA auf diese Vorgänge reagiert und welche Konsequenzen sich auf politischer Ebene ergeben müssten.“

 

1 Kommentar zu Die Gentechnik-Lobby in der EU-Lebensmittelbehörde

  1. Als studierender Gartenbauer möchte ich meinen Senf noch mit abgeben:

    Die enge Verbindung des Gremiums zur Industrie ist vor allem am gefährlichsten, wegen Patentstreitigkeiten usw.
    Im Worst Case könnte jedem Landwirt das Schicksal von Percy Schmeißer drohen.

    Ansonsten finde ich die grüne Gentechnik nicht sonderlich gefährlich. Es gibt bei Gentechniken drei Gefahren:
    Toxizität: Diese kann man durch Lebensmittelanalysen schnell ausschließen.
    Allergenes Potential: Hier ist es schon deutlich schwieriger, da gerade die Herkunft und Entwicklung von Allergien noch nicht komplett bekannt ist. Im Worst Case sind nun eine Menge Leute durch Auskreuzung allergisch bedenklicher Pflanzen selbst gegen die Wildtypen allergisch. Jedoch kann man in der Praxis durch Studien dieses Risiko sehr sehr stark minimieren. Man kann ja sogar Pflanzen züchten die in Zukunft selbst für allergene Leute genießbar sind.
    Menschliche Resistenzbildung von Antibiotika der menschlichen Bakterien im Magen-Darm-Trakt. Im Worstcase sind dann viele wichtige Antibiotikaformen unwirksam gegen menschliche Erkrankungen. Antibiotikaresistenzgene werden bei der Markerselektion nach der Züchtung benötigt, können aber mittlerweile durch andere Marker ersetzt werden (was hoffentlich auch überall so praktiziert wird).

    Für die Umwelt ist das Gefahrenpotential anders:
    Kuru gesagt ist es nur dann gefährlich, wenn in Kulturpflanzen bedeutende Vorteile eingebaut werden, und sich diese auf die Wildtypen auskreuzen. Worst Case: Die Wildtypen sind total im Vorteil und verdrängen nun andere Pflanzen in der Natur.
    Wenn jedoch nur das allergische Potential von Hartweizen WEGgezüchtet wird, dann hat der Wildtyp von Hartweizen eigentlich keinen Vorteil, da dass allergische Potential in der Natur doch eher unbedeutend ist.

    Man könnte noch länger drüber schreiben, doch was ich sagen will: Gentechnik ist nicht schwarz weiß. Man kann für die Natur bedeutende Veränderungen machen, oder eher unbedeutende, welche nur für den Menschen wichtig sind (z.B. Allergien oder Zusammensetzung der Inhaltsstoffe). Weder die praktizierte Vorgehensweiße von Monsanto in Südamerika ist richtig, noch die generelle Ablehnung von z.B. Greenpeace. Durch natürliche Mutation könnten ähnlich artige Veränderungen von selber eintreten, was einfach nur viel zu lange dauern würde, deswegen sollte man die grüne Gentechnik immer abhängig von der Kultur und von der veränderten Eigenschaft bewerten.

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