Die Frage muss erlaubt sein… Warum lebt ein SS-Mörder unbehelligt in Deutschland, und niemand hakt wirklich kritisch nach?

Am Holocaust-Gedenktag ließ Marcel Reich-Ranicki den Bundestag verstummen. Rund vier Wochen später, auf der Gedenkfeier für die Opfer der Neonazi-Mordserie, rührte ein trauernder Vater seine Zuhörer zu Tränen. Beide Ereignisse gingen durch die Medien und mit ihnen die Bekundungen prominenter Politiker, dass Faschismus in Deutschland keinen Platz habe und bekämpft werden müsse.

Der gesellschaftliche Wert beider Veranstaltungen steht wohl außer Frage, und auch die Aufmerksamkeit, die ihnen in den Medien zuteil wurde, scheint dem Anlass angemessen. Dennoch kann man die Flut der Schlagzeilen auch kritisch sehen, weil sie beispielhaft für eine Tendenz steht, die in der medialen Berichterstattung um sich greift: Inszenierte Ereignisse und ritualisierte Handlungen schaffen es immer wieder spielend auf die Agenda von Presse und Rundfunk, während fragwürdige Zustände und problematische Entwicklungen nur allzu oft unbeachtet bleiben.
Thematisch nah dran an Ranickis Rede und auch am Auftritt des trauernden Ismail Yozgat liegt etwa der Fall des Nazi-Kriegsverbrechers Klaas Carel Faber. Er lebt seit Jahrzehnten unbehelligt in Deutschland, obwohl er in den Niederlanden mindestens 22 Menschen umgebracht hat und von einem niederländischen Gericht zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Die Niederlande kämpfen seit Jahren um seine Auslieferung und fordern alternativ dazu eine Vollstreckung der Strafe in Deutschland. Weder das eine noch das andere ist bisher geschehen.

Im Nachbarland wird das Ringen um Fabers Haftstrafe von den Medien aufmerksam verfolgt, und auch hierzulande haben überregionale Zeitungen in den vergangenen Jahren immer mal wieder über den Fall berichtet. Allerdings: Die deutschen Medien haben nicht mehr geliefert, als eine Zusammenfassung der Position der deutschen Strafverfolgungsbehörden: Faber ist Deutscher, weil ein Führererlass aus dem Jahre 1943 ausländischen Mitgliedern deutscher Kampfverbände wie der SS automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit zugesprochen hat. Und die eigenen Bürger liefert Deutschland nicht aus. Ein eigenes Ermittlungsverfahren gegen den ehemaligen SS-Mann wurde in der Bundesrepublik zwar in den 50er Jahren eingeleitet. Doch das Landgericht Düsseldorf ließ die Untersuchungen 1957 noch vor Beginn der Hauptverhandlung einstellen, weil es an Beweisen dafür mangelte, dass Fabers Taten im juristischen Sinne „Morde“ waren.

Noch 55 Jahre später wirkt diese Entscheidung nach. Die Strafverfolgungsbehörden an Fabers derzeitigem Wohnort Ingolstadt sehen sich nicht in der Lage Faber zu behelligen. Denn: Die damalige Entscheidung des Düsseldorfer Gerichts habe eine Sperrwirkung und schließe eine Vollstreckung der in Holland verhängten Strafe hierzulande aus.

Zugegeben, der Fall Faber ist kompliziert. Und doch hätten die Medien hier mehr leisten können als Argumente und Erklärungen wiederzugeben. Jeder einzelne Punkt in der Argumentationskette scheint doch – zumindest gefühlt – den Bekundungen zuwider zu laufen, dass Faschismus in Deutschland keinen Platz hat und vehement bekämpft wird. Statt einen Rechtswissenschaftler hinzuzuziehen oder die bis heute bestehende Gültigkeit von Nazi-Gesetzen tatsächlich zu hinterfragen, fraßen die Leitmedien den Behörden aus der Hand, was die zu verfüttern bereit waren.

Kritische Fragen hätten sich indes tatsächlich gelohnt: Ein Brief der Bundesjustizministerin an die Bayerische Staatsministerin der Justiz aus dem Jahr 2010 offenbart das. Demnach ist die Darstellung der Staatsanwaltschaft Ingolstadt alles andere als wasserdicht. In dem Schreiben, das der Initiative Nachrichtenaufklärung vorliegt, äußert Sabine Leutheusser-Schnarrenberger höchst selbst Zweifel am Vorgehen der bayerischen Behörde: „Unstreitig dürfte auch sein, dass die Entscheidung des Landgerichts Düsseldorf keinen endgültigen Strafklageverbrauch zur Folge hatte, sondern für eine etwaige neue Strafverfolgung lediglich eine beschränkte Sperrwirkung entwickelte. Daher stellt sich die Frage, ob die Entscheidung aus dem Jahr 1957 tatsächlich eine Entscheidung war, die gemäß § 49 Absatz 1 Nummer 5 IRG die Übernahme der Vollstreckung ausschließt.“

Jetzt, im Jahr 2012, da der ehemalige SS-Mann Faber sein 90. Lebensjahr vollendet hat, tut sich noch einmal etwas in dem Fall. Das ist allerdings eher der Initiative der Bundesjustizministerin geschuldet als aufmerksamen Medien. Sie sind ihrer Chronistenpflicht nachgekommen, mehr aber auch nicht.

1 Kommentar zu Die Frage muss erlaubt sein… Warum lebt ein SS-Mörder unbehelligt in Deutschland, und niemand hakt wirklich kritisch nach?

  1. …und erst letzte Woche haben die elektronischen Medien zwar über den Verfassungsbruch des NRW-Haushaltes durch Rot-Grün und vieler deutscher Gerichte beim sog.“Deal“, siehe Fall Jens Rohde, berichtet, NICHT kommentiert!

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